Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld West
Erika Westerheide wird 100 – und blickt auf ein bewegtes Leben zurück
Aufgrund einer Erkrankung verbringt sie ihren Jubeltag im Krankenhaus. Aber sie will nachfeiern. „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“, sagt sie.
¥ Bielefeld. Rüstig und zumeist optimistisch hat sie die verschiedenen Lebensdekaden in ihrer Heimatstadt Bielefeld gemeistert. Als Tochter einer elsässischen Köchin und eines ostwestfälischen Bauunternehmers aus Horn-Bad Meinberg ist sie in den Nachkriegswirren des Ersten Weltkriegs geboren. Bis heute kann sie ihren Geburtsort und ihre kleine Heimat in der großen Stadt Bielefeld, die Bleistraße und den fünften Kanton nie vergessen. Heute feiert Erika Westerheide ihren 100. Geburtstag.
Ihr Geburtshaus gibt es immer noch mit dem großen Garten und dem Schuppen und den Werkstätten. Ihr Sohn Rolf Westerheide ist als Architekt und Stadtplaner immer noch begeistert, wenn sie von den unsichtbaren Dingen, die Orte in ihrer Lebensgeschichte ausmachen, erzählt, sagt er der
Erst kürzlich schimpfte sie bei einer Rundfahrt mit ihrem Sohn durch das Viertel über die sogenannte „braune Zeit“und berichtete, wie die SA die Arbeiter und andere Bürger durch die Bleichstraße jagte, und wie sie von ihrer Mutter von der Straße gezerrt wurde, erzählt er.
Immer noch warnt Erika Westerheide vor dem Vergessen der Vergangenheit und dem unsäglichen Leid an den vielen jüdischen Familien – mit vielen hat sie die Schulbank gedrückt, so Rolf Westerheide.
Erika Westerheide blickt auf ein bewegtes Leben zurück und da sie bis heute laut ihrer Familie gerne und viel erzählt, weiß die auch einiges mehr über den Alltag der Weimarer Republik, den Zweiten Weltkrieg und die optimistische Nachkriegszeit.
Sie erzählt, als sie noch sehr klein war, gab es auf einmal Radio zu hören, das war Anfang der 1920er Jahre. Für die erste Fernsehsendung musste sie noch 31 Jahre warten, so alt sind nun ihre Enkel. Nur die Digitalisierung ist ihr bis heute unbegreiflich geblieben und die dynamische Technikentwicklung entlockt ihr manchmal den Satz: „Hier gehöre ich nicht mehr hin.“
Trotz eines turbulenten Lebens habe sie nie aufgehört, sich für Neues zu begeistern und Wünsche und Träume für die Zukunft zu haben — welche alte Dame will schon mit 93 noch ein neues Auto haben? Das konnte ihr Sohn noch so gerade noch verhindern.
Aufgrund einer Erkrankung verbringt sie ihren Geburtstag im Krankenhaus – aber sie will nachfeiern.