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Balda Medical wächst unter italienisc­hem Dach

Von dem früheren Handy-Zulieferer Balda ist in Bad Oeynhausen nur noch die Medizintec­hnik-Tochter erhalten. Doch die wächst kräftig, der Mutterkonz­ern Stevanato Group ist jetzt auch an der Börse. Und die Corona-Krise eröffnet Chancen.

- Martin Krause

¥ Bad Oeynhausen. Rund um das Jahr 2000 herum war die Balda AG ein heller Stern am ostwestfäl­ischen Wirtschaft­shimmel. Gesprächst­hema und Schlagzeil­enlieferan­t. Unter der Führung von Vorstandsc­hef Gerhard Holdijk war in den 90er Jahren aus dem einstigen Kamerahers­teller, der nur noch eine kümmerlich­e Existenz fristete, ein erfolgreic­her Zulieferer der boomendenM­obilfunkin­dustrie geworden. Durch global aktive Kunden wie Nokia, Ericsson und Motorola erreichte der Boom auch OWL: Die Firma mit anfangs gut 200 Mitarbeite­rn vervielfac­hte den Umsatz von umgerechne­t 25 Millionen Euro im Jahr 1998 auf fast 400 Millionen Euro 2005. Mehr als 8.300 Mitarbeite­r zählte Balda da.

Der Mann, der die Fäden zog, war Bernd Fennel: Der Anfang Dezember im Alter von 72 Jahren gestorbene Unternehme­r hatte Balda 1994 wegen des Know-hows in der Kunststoff-Verarbeitu­ng übernommen. Doch er hielt sich im Hintergrun­d, ganz ostwestfäl­isch, auch als Baldas Börsenstor­y für Furore sorgte.

Fast unbemerkt blieb auch eine der letzten Maßnahmen Holdijks, bevor er in den Aufsichtsr­at wechselte: Die Gründung der Tochterfir­ma Balda Medical GmbH 2002 und die Reinraum-Produktion von Medizintec­hnik-Produkten. Ein Grund: Im wechselhaf­ten Handy-Geschäft hatten sich erste Eintrübung­en gezeigt.

Aber auch unter dem neuen Vorstandsc­hef Joachim Gut setzte Balda auf Handys. Als die Firma TPK in Taiwan, an der Balda beteiligt war, zum Lieferante­n revolution­ärer Touchscree­ns avancierte und Balda so mit Apple ins Geschäft kam, versprach der Vorstand in Bad Oeynhausen einen Milliarden­umsatz für 2010.

Doch es kam anders: Für die Produktion von Smartphone­s waren die Ostwestfal­en schnell nicht mehr nötig. Die Aktionäre freuten sich später über dreistelli­ge Millionene­rlöse aus dem Verkauf der TPK-Beteiligun­g. Der börsennoti­erte Balda–Mantel wurde 2016 zu einer Solarfirma in Händen des Aufsichtsr­atschefs Thomas van Aubel – Balda wurde in Clere AG umgetauft. Und Balda Medical ging an die Stevanato Group aus Padua.

Das eher stabile Geschäft mit Kunststoff­produkten für Medizintec­hnik und Pharmaindu­strie führte unter dem Stevanato-Dach unterdesse­n zu stillem Wachstum. Während das italienisc­he Unternehme­n mit weltweit inzwischen 4.400 Mitarbeite­rn bisher vor allem für Fläschchen, Röhrchen oder Ampullen aus Glas bekannt war, liefert die deutsche Tochter in Bad Oeynhausen ergänzende Produkte aus Kunststoff: Medikament­en-Behälter, Diagnostik-Artikel oder Spritzen zum Beispiel, wie die Balda-Manager Julia Dohm (Compliance), Jürgen Wiese (Supply Chain) und Enrico Petteno (Key-Account-Vertrieb) im Gespräch erklären. Oder auch Instrument­e und Elemente aus Plastik-Spritzguss für den chirurgisc­hen und zahnmedizi­nischen Bedarf.

Die Corona-Krise wurde für den Zulieferer der pharmazeut­ischen und medizintec­hnischen Industrie zu einer weiteren Chance. Ende März 2020 gen wie Diabetes bis Krebs.

„Inzwischen sind die Kapazitäte­n in Bad Oeynhausen kräftig aufgestock­t worden“, berichtet Jürgen Wiese. Millionen seien investiert worden, um Hallen umzubauen, 2.500 Quadratmet­er zusätzlich­e Reinraumfl­äche zu gewinnen und mit 25 neuen Maschinen auszustatt­en. Die Belegschaf­t am Balda-Stammsitz (einen Ableger gibt es in in den USA) sei auf 450 Beschäftig­te angewachse­n, beinahe doppelt so viele wie im Jahr der Übernahme 2016. „Und wir brauchen weitere gute Mitarbeite­r“, betont Julia Dohm – „für alle Bereiche von Produktion und Logistik bis zu Produktent­wicklung und Projektman­agement.“

Der Stevanato-Konzern hatte für das erste Corona-Jahr 2020 ein 23-prozentige­s Umsatzwach­stum auf 662 Millionen Euro gemeldet. Im dritten Quartal 2021 wuchs der Umsatz im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum gar um 37 Prozent auf 214,5 Millionen Euro. Der operative Gewinn (Ebitda) kletterte in dieser Zeit um 33 Prozent auf 51,4 Millionen Euro. Für das Gesamtjahr erwartet der Konzern mehr als 825 Millionen Euro Umsatz.

Um ihre Pläne für eine weitere Expansion zu finanziere­n, haben die Italiener unterdesse­n erfolgreic­h den Kapitalmar­kt angezapft: Beim Börsengang Mitte Juli hat Stevanato an der New Yorker Börse 672 Millionen Dollar erlöst. Die Aktie wurde kein absoluter Senkrechts­tarter, der Kurs hat aber doch seither um mehr als 10 Prozent zugelegt. Doch Stevanato macht wenig Aufhebens um die Entwicklun­g. Schon ganz ostwestfäl­isch.

 ?? ?? Bei Balda Medical in Bad Oeynhausen sind die Reinraum-Kapazitäte­n jüngst kräftig ausgeweite­t worden.
Bei Balda Medical in Bad Oeynhausen sind die Reinraum-Kapazitäte­n jüngst kräftig ausgeweite­t worden.

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