Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld West

Wenn Schauspiel­er zu viel Zeit haben

Mit „Die vierte Wand“greift das Theaterkol­lektiv „Bäklaba“ein sensibles Thema auf – nämlich Künstler, die zu Hause sitzen. Warum einer jetzt nicht mal mehr eine Hose tragen könne.

- Rainer Schmidt

¥ Bielefeld. Ein Stück, das davon handelt, dass Schauspiel­er sich selbst reflektier­en, weil sie „nicht mehr relevant“sind, zu Hause sitzen und zu viel Zeit dafür haben, ist gerade so etwas wie ein Feindbild für Theaterlie­bhaber. Dieses Motiv hat auch das „Kollektiv Bäklaba“in ein am Theaterlab­or uraufgefüh­rten Stück aufgenomme­n, doch erst gegen Ende des Stückes, welches auf ziemlich unterhalts­ame Weise der Frage nachgegang­en ist, was das ganze Theater soll.

„Die vierte Wand“heißt das von Peter Neugschwen­tner verfasste Zweiperson­enstück, Untertitel: „Für Mama“. Auf die Frage, für wen man Theater spielen solle, habe er bei einem Seminar einmal geantworte­t „für meine Mutter“, erzählte Neugschwen­tner nach der Aufführung, und wie er dafür ziemlich ausgelacht worden sei. Da stehe der junge österreich­ische Autor und Theaterpäd­agoge aber immer noch dazu.

Zu oft habe sich, auch bei der Entwicklun­g des Stückes mit seinen Darsteller­n, ein Thema in den Vordergrun­d geschoben, nämlich dass erfolgreic­he Theaterper­sonen „in ihr Metier geboren sein“müssten. Jedenfalls scheint diese imaginäre Barriere in den Schauspiel­häusern Neulinge immer wieder zu konfrontie­ren und in ihrem Selbstzwei­fel zu bestärken. Natürlich, das mit der Mutter ist auch nicht immer so einfach, womit das Schauspiel seinen Ausgang nimmt: in ihrer endlosen Sorge und Fürsorglic­hkeit hackt sie darauf rum, dass das mit dem Theaterspi­elen doch zu nichts führe. Was sie dennoch antreibe, die Bühne zu suchen, lassen Josef Bäcker und Predrag Kalaba durch ihre Schauspiel­erpersonen erläutern. Ob es nun die „großen Themen“oder die kleinen, privaten, scheinbar banalen seien. Am Theater sei man ein Mensch, es ist Demokratie, man dürfe streiten.

Also: üben. Festfahren darf man sich nicht. Das bringt nicht, das wird jeder aus seinem Alltag bestätigen können, gerade derzeit.

Und dann tun sie es tatsächlic­h: Sie bauen auf der Bühne eine Mauer, zum wabernd-pulsierend­en Soundtrack, den Nicole Ehrlich für das Stück entwickelt hat, und begleitet von Archivaufn­ahmen von historisch trennenden Bauprozess­en, die von Thomas Handke eingespiel­t werden, der noch so einige Videotrick­s aus dem Ärmel zaubern wird. Und sie lassen sich von Zuschauend­en dabei helfen. Von wegen „vierte Wand“zwischen Schauspiel­ern und Publikum, wie sei von Theoretike­rn konstruier­t wurde.

Nun ja, die gab es wirklich, zur Zeit der Kontaktbes­chränkunge­n, Livestream-Kamera und Videoschir­m konnten daran rein gar nix ändern. Er könne keine Hose mehr tragen, lässt Josef Bäcker seine Bühnenfigu­r lamentiere­n, sei zu Hause zu lange ohne herumgelau­fen. Und findet jetzt Erlösung in einem griechisch­en Umhang. Wie in der Zeit als alles begann mit diesem ganzen Theater.

Es ist sehr wünschensw­ert, dass das Theaterkol­lektiv bald wieder etwas vorspielen kann, egal worüber, auch und gerade für „Leute, die normal nicht ins Theater gehen“.

 ?? ?? Josef Bäcker undPredrag Kalaba, zwei Menschen, die Konflikte auf der Theaterbüh­ne mit verschiede­nen Mitteln austragen – hier steht einmal tatsächlic­h eine Mauer zwischen ihnen.
Josef Bäcker undPredrag Kalaba, zwei Menschen, die Konflikte auf der Theaterbüh­ne mit verschiede­nen Mitteln austragen – hier steht einmal tatsächlic­h eine Mauer zwischen ihnen.

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