Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld West
Wenn Schauspieler zu viel Zeit haben
Mit „Die vierte Wand“greift das Theaterkollektiv „Bäklaba“ein sensibles Thema auf – nämlich Künstler, die zu Hause sitzen. Warum einer jetzt nicht mal mehr eine Hose tragen könne.
¥ Bielefeld. Ein Stück, das davon handelt, dass Schauspieler sich selbst reflektieren, weil sie „nicht mehr relevant“sind, zu Hause sitzen und zu viel Zeit dafür haben, ist gerade so etwas wie ein Feindbild für Theaterliebhaber. Dieses Motiv hat auch das „Kollektiv Bäklaba“in ein am Theaterlabor uraufgeführten Stück aufgenommen, doch erst gegen Ende des Stückes, welches auf ziemlich unterhaltsame Weise der Frage nachgegangen ist, was das ganze Theater soll.
„Die vierte Wand“heißt das von Peter Neugschwentner verfasste Zweipersonenstück, Untertitel: „Für Mama“. Auf die Frage, für wen man Theater spielen solle, habe er bei einem Seminar einmal geantwortet „für meine Mutter“, erzählte Neugschwentner nach der Aufführung, und wie er dafür ziemlich ausgelacht worden sei. Da stehe der junge österreichische Autor und Theaterpädagoge aber immer noch dazu.
Zu oft habe sich, auch bei der Entwicklung des Stückes mit seinen Darstellern, ein Thema in den Vordergrund geschoben, nämlich dass erfolgreiche Theaterpersonen „in ihr Metier geboren sein“müssten. Jedenfalls scheint diese imaginäre Barriere in den Schauspielhäusern Neulinge immer wieder zu konfrontieren und in ihrem Selbstzweifel zu bestärken. Natürlich, das mit der Mutter ist auch nicht immer so einfach, womit das Schauspiel seinen Ausgang nimmt: in ihrer endlosen Sorge und Fürsorglichkeit hackt sie darauf rum, dass das mit dem Theaterspielen doch zu nichts führe. Was sie dennoch antreibe, die Bühne zu suchen, lassen Josef Bäcker und Predrag Kalaba durch ihre Schauspielerpersonen erläutern. Ob es nun die „großen Themen“oder die kleinen, privaten, scheinbar banalen seien. Am Theater sei man ein Mensch, es ist Demokratie, man dürfe streiten.
Also: üben. Festfahren darf man sich nicht. Das bringt nicht, das wird jeder aus seinem Alltag bestätigen können, gerade derzeit.
Und dann tun sie es tatsächlich: Sie bauen auf der Bühne eine Mauer, zum wabernd-pulsierenden Soundtrack, den Nicole Ehrlich für das Stück entwickelt hat, und begleitet von Archivaufnahmen von historisch trennenden Bauprozessen, die von Thomas Handke eingespielt werden, der noch so einige Videotricks aus dem Ärmel zaubern wird. Und sie lassen sich von Zuschauenden dabei helfen. Von wegen „vierte Wand“zwischen Schauspielern und Publikum, wie sei von Theoretikern konstruiert wurde.
Nun ja, die gab es wirklich, zur Zeit der Kontaktbeschränkungen, Livestream-Kamera und Videoschirm konnten daran rein gar nix ändern. Er könne keine Hose mehr tragen, lässt Josef Bäcker seine Bühnenfigur lamentieren, sei zu Hause zu lange ohne herumgelaufen. Und findet jetzt Erlösung in einem griechischen Umhang. Wie in der Zeit als alles begann mit diesem ganzen Theater.
Es ist sehr wünschenswert, dass das Theaterkollektiv bald wieder etwas vorspielen kann, egal worüber, auch und gerade für „Leute, die normal nicht ins Theater gehen“.