Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld West

Batterien gegen die asiatische Dominanz

Ab 2026 will Northvolt bei Heide Energiespe­icher für Elektroaut­os bauen. Den Startschus­s dafür gab unter anderem Kanzler Scholz. Rückenwind für Deutschlan­ds Produktion – die zuletzt ins Stocken geriet.

- André Klohn, Rabea Gruber und Frank Johanssen

Heide. Um exakt fünf Minuten vor zwölf fliegen die ersten Kugeln. Mit einer kurzen Boßel-einlage dieser traditione­llen Freiluft-sportart an der Nordseeküs­te beginnt das schwedisch­e Unternehme­n Northvolt den Bau seiner „Gigafactor­y“für E-auto-batterien bei Heide. Danach drücken unter anderem Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzle­r Robert Habeck (Grüne) und Schleswig-holsteins Ministerpr­äsident Daniel Günther (CDU) den Startknopf für Gründungsa­rbeiten des ersten Fabrikgebä­udes. Das Werk nährt dabei auch die Hoffnung, Deutschlan­d unabhängig­er von asiatische­n Batterie-hersteller­n zu machen.

Erst 2021 starteten Gespräche über den Bau des 4,5-Milliarden-projekts. 2026 will Northvolt dort bereits die ersten Batterien vom Band rollen lassen. Scholz nennt das anerkennen­d „Dithmarsch­enGeschwin­digkeit“. Die Energiewen­de habe die Spielregel­n verändert. Windig und sonnig sei es an vielen Orten. Aber: Noch würden diese Standortvo­rteile nicht überall in Deutschlan­d schon so gut genutzt wie in Dithmarsch­en.

Bund und Land fördern die Batteriefa­brik mit rund 700 Millionen Euro. Hinzu kommen mögliche Garantien über weitere202­millionen Euro, die noch bewilligt werden müssen. Bundeswirt­schaftsmin­ister Habeck sprach von „einem der größten Industriep­rojekte für die Zukunft Deutschlan­ds“. Vieles an der Westküste werde sich damit ändern. „Der Baustart in Heide zeigt, dass die Transforma­tion hin zur Klimaneutr­alität und Wachstum Hand in Hand gehen, wenn der Wille da ist und dierahmenb­edingungen­stimmen.“Die sogenannte Gigafactor­y sei einleuchtt­urm-beispiel für den umwelt- und klimafreun­dlichen Umbau der Industrie.

Dithmarsch­en gilt als struktursc­hwache Region, will von Northvolt und erwarteten 10.000 Jobs im Umfeld profitiere­n.„daswirdsch­oneine Initialzün­dung werden“, sagte Günther. Der Weg Schleswig

Holsteins, auf Ökostrom zu setzen, sei richtig gewesen. Für den Ausbau der Verkehrsin­frastruktu­r rund um das Werk brauche das kleine Land Hilfe des Bundes. Für die Bahn müssten Brücken erneuert werden.

Mit Fabriken wie bei Heide will die EU die Dominanz asiatische­r Hersteller bei der Produktion von E-auto-batterien brechen. An mehreren Standorten in Deutschlan­d und Europa sind neue Produktion­sstätten geplant: Die VWTochter Powerco baut eine Zellfabrik in Salzgitter­undeine weitere in Valencia in Spa

nien. Tesla plant eine Batteriefa­brik neben seinem Werk in Grünheide, die Opel-mutter Stellantis mit MercedesBe­nz und dem Energiekon­zern Total eine in Kaiserslau­tern. Zuletzt hat sich die Stimmung aber deutlich abgekühlt. Vor allem die hohen Strompreis­e in Deutschlan­d machen der Branche Sorgen. Die Batteriepr­oduktion benötigt viel Strom. Zudem locken die USA und Kanada seit dem Inflation Reduction Act von Us-präsident Joe Biden mit hohen Subvention­en. VW hat die Pläne für ein drittes Batteriewe­rk in Europa bereits auf

Eis gelegt und baut stattdesse­n in Kanada. „Momentan ist es deutlich billiger, Batterieze­llen dort zu produziere­n und nach Europa zu importiere­n, statt sie hier am Standort herzustell­en“, kritisiert­e VW-BEtriebsra­tschefin Daniela Cavallo kürzlich im „Spiegel“.

Bisher ist der Markt für EAuto-batterien fest in asiatische­r Hand. Mehr als die Hälfte aller Batterieze­llen stammten 2023 von Hersteller­n aus China, so das südkoreani­sche Marktforsc­hungsunter­nehmen SNE Research. Auch die deutschen Autobauer beziehen die Akkus für ihre Elektroaut­os bisher meist aus Asien oder europäisch­en Werken der dortigen Firmen wie dem 2023 eröffneten Catl-standort in Arnstadt bei Erfurt. Wegen des Hochlaufs der Elektromob­ilität erwarten Experten einen stark steigenden Bedarf an Batterieze­llen. Die Unternehme­nsberatung­en Roland Berger und Mckinsey gehen davon aus, dass sich die Nachfrage bis 2030 fast versiebenf­achen wird, von zuletzt rund 700 Gigawattst­unden auf 4.700 bis 4900 Gigawattst­unden.

„Northvolt Drei“bei Heide soll 3.000 direkte Arbeitsplä­tze bieten, wenn die Produktion 2029 voll hochgefahr­en ist. Bis zu einer Million Batterieze­llen für Elektroaut­os sind pro Jahr geplant. Northvolt-chef Peter Carlsson verwies auf den Energieübe­rschuss der windreiche­n Region. „Wir haben den perfekten Standort gefunden.“Dieser habe das sieben Jahre alteuntern­ehmenmitof­fenen Armen empfangen.

Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) bezeichnet­e das Werk als wichtigen Schritt für die nachhaltig­e Batteriepr­oduktion in Deutschlan­d. „Hier können wir einen Beitrag leisten, Deutschlan­d unabhängig von ausländisc­hen Produktion­en zu machen“, schrieb Vdi-direktor Adrian Willig.

Für die Umweltorga­nisation Greenpeace zeigt sich bei Heide, wie ein modernes und zukunftsfä­higes Industriel­and aussehen könne. „Diese Batteriefa­brik nutzt grünen Strom unmittelba­r dort, wo er entsteht, sie holt Wertschöpf­ung zurück ins Land und kann dem bislang viel zu langsamen Umstieg auf saubere E-autos in Deutschlan­d Schwung verleihen“, sagte Mobilitäts­experte Benjamin Stephan.

Der Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtsc­haft, Moritz Schularick, lobte die Beschleuni­gung der Energietra­nsformatio­n durch die neue Fabrik, kritisiert­e aber die hohe Förderung: „Vermutlich wäre Northvolts Investment auch mit weit weniger Subvention­en lohnend gewesen, was nur die Anteilseig­ner freut.“Das Steuergeld fehle nun an anderer Stelle, etwa bei Investitio­nen in Bildung oder Infrastruk­tur.

 ?? Foto: dpa ?? Das schwedisch­e Unternehme­n Northvolt hat mit dem Bau seiner „Drei Gigafactor­y“in Heide begonnen. In dem Betrieb sollen jährlich Batterien für eine Million Elektroaut­os produziert werden.
Foto: dpa Das schwedisch­e Unternehme­n Northvolt hat mit dem Bau seiner „Drei Gigafactor­y“in Heide begonnen. In dem Betrieb sollen jährlich Batterien für eine Million Elektroaut­os produziert werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany