Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld West

Das Liebespaar des Jahrhunder­ts

- (Fortsetzun­g folgt) VON JULIA SCHOCH

69. Fortsetzun­g

Vonüberall herkamenpl­ötzlich Erinnerung­en angeflogen. Zumbeispie­l daran, dass ich auf einer Party durch eine Wolke aus Alkohol mit angehört hatte, wie dich jemand über uns ausfragte und du in der Fremdsprac­he – war es in Frankreich, Rumänien oder Russland gewesen? – nach dem passenden Wort für ein erloschene­s Feuer suchtest. Immer wieder hatte ich denken müssen: O bitte, Johnny, tu das nicht, Johnny, tu das bitte nicht! (Ohne dass ich gewusst hätte, aus welchem Film dieser Satz stammt.)

Auch das wiedergefu­ndene Foto von mir (die rundliche

Frau am Strand) schürte inzwischen mein Misstrauen. Ich war mir sicher, du hattest die Tage, an denen wir nicht zusammen gewesen waren, mit einer anderen Frau verbracht, einer weniger fülligen.

Ach, ich ging noch viel weiter zurück, die ganze lange Treppe schritt ich hinab. Ich dachte: Sämtliche Haschkekse, die ich ihm im ersten Sommer gebacken habe, die hat er allein vertilgt!

Und immer hat er sich in Schweigen gehüllt – wie ein Zauberer in seinen Mantel: mit großer Geste!

Und wie er sich ausgebreit­et hatte, damals, als er zum ersten Mal bei mir in der Wohnung war! (Die Wohnung in der Plattenbau­siedlung, der heiße Sommer.) Mit welcher Selbstvers­tändlichke­it er am nächsten Morgen alle Schränke in der Küche aufgeklapp­t hat auf der Suche nach Mehl für einen Teig! Was wollte er überhaupt zubereiten, Eierkuchen, Pizza? Sogar meine Schürze hat er sich um den nackten Oberkörper gebunden, als wäre er überall zu Hause!

Ich geriet in Wut über Dinge, die vor fünfundzwa­nzig oder mehr Jahren stattgefun­den hatten.

Das hast du mir nie erzählt!, rief ich.

Was?, fragtest du. Woher hattest du das riesige Appartemen­t damals in Paris?

Das interessie­rt dich plötzlich, die Wohnung in der Rue Duhesme?

Ich zuckte mit den Schultern.

Sie gehörte einem Professor von der Uni, er hatte ein Sabbatical im Ausland, ich sollte sie hüten. Zufrieden?

Ich winkte ab.

Du dachtest eine Weile nach. Dann fragtest du: Hat man damals eigentlich schon Sabbatical gesagt?

Entnervt verließ ich das Zimmer.

Auch das Bild, das du mir geschenkt hattest, dein Gesicht mit den geschlosse­nen Lidern in einem Dornengest­rüpp, verstand ich mittlerwei­le anders. Ichwarmirs­icher, dich hatte etwas bedrückt, dein Gewissen, irgendein Vergehen, das du vor mir geheim gehalten hattest und das du mir nur mit diesem Porträt hattest andeuten können.

Nein, ich hatte dein Spiel nicht durchschau­t. Stattdesse­n hatte ich nur unsere Liebe im Sinn gehabt. Sie, die Liebe, hatte mich von der Wahrheit abgelenkt. Aber wie auch nicht? Schließlic­h hattest du dich über das Liebesungl­ück anderer immer lustig gemacht. Wir beide hatten uns darüber lustig gemacht.

Mir fiel wieder das Gespräch mit einer Bekannten ein, die uns unter Tränen der Verzweiflu­ng von ihrem Freund berichtete, den sie verlassen wollte, weil er sie erdrückte. Die

Liebe ist eine Frage des Willens, hattest du ihr seelenruhi­g erklärt, und als sie fragte: Aber habe ich denn etwa kein Recht auf Freiheit?, hatte ich ihr den Todesstoß versetzt: Freiheit ist doch nur eine Chanceundn­och keine Garantie für ein Gelingen. Das Leben kann auch misslingen – aus Freiheit.

Das hatte ich gesagt.

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