Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld West
Im Schokoladen-Paradies
Die Schweiz besucht man wegen ihrer hohen Berge und des leckeren Käses. Aber dort wurde vor 150 Jahren auch die Tafelschokolade aus Milch erfunden. Und wie kam die Schokolade in das einst arme Bergland? Eine Spurensuche.
Der allererste Kakao kam aus Spanien“, erzählt Stephanie Greiner während ihrer „süßen Stadtführung“durch Basel. „Das belegen Verzeichnisse von Apotheken aus dem 17. Jahrhundert. Damals wurde Kakao in der Apotheke verkauft. Man mischte ihn mit Kräutern oder trank ihn als heiße Gewürzschokolade. Manche sind auch daran gestorben – aber nur, wenn jemand Gift in den Kakao gemischt hatte. Der überdeckte das Gift.“
Bei Schokolade ging es häufiger um Leben und Tod. Als 1578 ein Schiff aus Mittelamerika in Spanien anlegte und neben Edelsteinen auch „Xocolatl“an Bord hatte, war Kaiser Karl V. einer der Ersten, der von dem „bitteren braunen Wasser“kosten durfte. Bald wurde Zucker hinzugefügt, so dass die Damengesellschaften offenbar nicht genug davon bekommen konnten. Es hieß, sie seien von einer Sucht befallen. Teufelsgetränk, schimpfte die Kirche, heimtückischer Trank, der das Blut übermäßig erhitze. Todsünden seien zu beklagen. Doch man nannte es auch „Göttergeschenk“. Denn schaumig gerührte Schokolade war während der Fastenzeit erlaubt. Auch die französische Königin Marie-Antoinette trank vor dem Gang zur Guillotine noch ein Tässchen, erzählt Stephanie, die sich in der Schokoladen-Geschichte auskennt. Ursprünglich unternahm die Schweizerin mit kolumbianischen Wurzeln ihre Schoko-Safaris durch Basel nur mit Freunden. Mittlerweile lädt sie alle Interessierten dazu ein.
Basel mit seiner Lage am Fluss spielt eine wichtige Rolle in der Schweizerischen SchokoladenGeschichte. 1859 gründeten Kaufleute eine Handelsgesellschaft und sandten Missionare nach Ghana, wo es keine Kakao-Tradition gab. Was ursprünglich als eine Art Entwicklungsprojekt angelegt war, mündete während eines halben Jahrhun
Workshop bei Cailler im Genuss-Kanton Fribourg: derts in schwunghaftem Handel. „Schweizer Schokolade wird zu einem Symbol für Wohlstand, der zum großen Teil außerhalb der Landesgrenzen erworben worden ist,“erklärt die Wirtschaftshistorikerin Andrea Franc – während sie durch den Garten des Missionshauses führt.
Es stammt aus der Zeit, als die künftigen Missionare Sprachen lernten und in Geografie, Ethnologie, Geschichte, in medizinischen Grundlagen und Fotografie auf ihren Einsatz in Afrika vorbereitet wurden. 1893 kam der erste Sack ghanaischen Kakaos von Amsterdam über den Rhein nach Basel in ein Lager am Hafen. Es war die Zeit der industriellen Revolution und damit auch der Schokoladen-Pioniere. Philippe Suchard erfand eine Maschine zum Mischen von Zucker und Kakaopulver, Daniel Peter die bekannte Tafel Milchschokolade und Rodolphe Lindt deren bezaubernd zarten Schmelz. Lindt war als Weiberheld verrufen und habe nur seine Rendezvous im Kopf gehabt. Dabei vergaß er vermeintlich, die Rührmaschine auszuschalten. So fand er am Montagmorgen bei seiner Rückkehr die viele Stunden gerührte und damit überaus zarte Schokoladenmasse vor. Diese Geschichte wird von Experten jedoch ins Reich der Legenden verwiesen.
Sechzehn Schokoladen-Produzenten der Schweiz sind im Verband „Chocosuisse“organisiert, die jährlich 200.000 Tonnen Schokolade herstellen. „Rund drei Viertel davon für den Export – vor allem nach Deutschland“, sagt Direktor Urs Furrer. „Sechzig Prozent der benötigten Kakaobohnen kommen immer noch aus Ghana. Die Stiftung des Verbandes unterstützt lokale Bauern vor Ort mit Schulen, Weiterbildung, in der Forschung, beim Gesundheitsschutz und in Fragen der Nachhaltigkeit.“
Furrer zieht Parallelen zwischen Kakao und Wein – was die Anbaugebiete mit ihrer jeweiligen Bodenbeschaffenheit betrifft, denn „der Kakaobaum nimmt ganz viel vom Boden auf“, sagt er. Eine Schokolade mit Bohnen aus Java schmecke würzig, eine aus Madagaskar eher blumig. Auch umliegend wachsende Pflanzen wie Bananen oder Orangen hätten Einfluss. Ein Stück hochwertiger Schokolade enthält bis zu 500 verschiedene Aromen: ob als Tafel, Riegel, Hohlfigur, Praline oder in flüssiger Form, ob dunkel, milchig oder weiß. Jeder Schweizer gönnt sich pro Jahr rund zehn Kilo. Die Zahl in Deutschland ist ähnlich hoch.
Die süße Köstlichkeit – deren Ruf sich durch Soldaten und Alpentouristen verbreitete – ist Teil der nationalen DNA. Auch während der Corona-Pandemie blieben Schokoshops durchgehend geöffnet. Schokolade gilt als Grundnahrungsmittel. Landauf, landab: von Zürich über Luzern und Bern bis in die französische Region La Gruyère laden Museen, Erlebniswelten, Workshops und Showrooms ein, mehr über Herkunft, Herstellung, Veredelung und Degustation zu erfahren. Jährlich kommen Hunderttausende. Auch im Kunstmuseum Basel findet man in Glasvitrinen Installationen aus brauner Masse – vermeintlich Schokolade – von keinem Geringeren als Joseph Beuys.