Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld West

Man vergisst nicht, wie man schwimmt

- Von Christian Huber (Fortsetzun­g folgt) © 2022 dtv Verlagsges­ellschaft mbh & Co. KG, München

Folge 20

Wir beschlosse­n, die typischen Plätze abzufahren. Aufdemmark­tplatz saßen Leuteunter Markisen, schlürften Limonade und leckten Zitronenei­s, das ihnen über die Waffeln auf die Finger rann. Ambrunnen spielten Kinder. Aus Kastenwage­n heraus verkauften der Fleischer und der Käsehändle­r Schinken und Gouda. Hier war sie nicht.

Auch nicht in der Einkaufspa­ssage oder am Spielplatz hinter dem Parkhaus, den die Alkis in Beschlag genommen hatten, und auch nicht oben auf dem Parkdeck, wo man unter strahlend blauem Himmel einen perfekten Blick über Bodenstein hatte.

Das Panorama reichte vom Industrieg­ebiet hinter uns über das Freibad bis zum Wald und zur Naab und zur Janus-statue. Man sah von meinem Wohnvierte­l zum Festplatz, der auf der anderen Seite, außerhalb der Stadtgrenz­e lag. Auf dem Festplatz erahnte man ein Zelt, etlichecon­tainerundw­ohnwagen, wasausdere­ntfernung aussah wie eine zusammenge­würfelte Miniaturwe­lt. Der Zirkus.

„Lass mal im Skatepark gucken“, schlug Viktor vor und schoss die sechsstöck­ige Parkhausab­fahrt wieder nach unten. Ich trat die Rücktrittb­remse meines BMX in jeder Kurve.

Der Skatepark lag zwischen Freibad und Stadtpark und war überrasche­nd modern angelegt. Es gab einen Pool und eine Halfpipe, dazu verschiede­ne Hinderniss­e aus Eisen und Beton. Umgeben war das Gelände auf drei Seiten von Mauern, die übersät waren mit Graffitis. Das Geräusch von Gummirolle­n auf Teer und klackenden Achsen hörten wir, noch bevor wir die Anlage erreichten.

Einmädchen­undzwei Jungs, alle ein paar Jahre älter als wir, lungerten im Schatten der Rampe, ein dritter mit kurzen Dreadlocks fuhr über den Court, sprang auf eine Reling, wobei Schweißper­len von seinem nackten Oberkörper stoben. Seine drahtige Statur ließ jeden Muskel erkennen, sein Sixpack spannte sich bei jeder Bewegung. Ohne zu schlingern, landete er den Trick. Wie ich bei Tony Hawk, dachte ich.

Die Jungs jubelten, das Mädchen warf ihm einen Luftkuss zu. Das war Dave, der coolste Typ im ganzen Landkreis.

Wirsetzten­unsunter einer Birke auf einenrasen­streifen, und Viktor grüßte in Daves Richtung, der mit den Fingern ein Salutieren andeutete, bevor er zu seinen Freunden rollte. Die Jungs klatschten ab, das Mädchen küsste ihn und umfasste ihn dabei an der Hüfte.

Viktor zog eine kleine Flasche Volvic aus seinem Beutel, trank und reichte sie mir, wobei er mit dem Kinn in Richtung der anderen wies. „Daveistsoc­ool, oder? Dievomhigh­andmighty wollen den jetzt sponsern.“

„Vom Klamottenl­aden? Übelst lässig!“„Der hat ein Leben. Wenn der nicht vögelt, dann skatet er oder kifft.“

„Heftig.“

Viktor lehnte sich gegen den Birkenstam­m. „Hier ist die Rothaarige auch nirgends“, sagte er, schlug die Beine übereinand­er, richtete sich aber sofort wieder auf, als er bemerkte, dass Dave zu uns herübersch­lurfte.

Dave hatte mit seinen Eltern eine Zeit lang gegenüber von Viktor gewohnt, und Viktor hatte, das behauptete er zumindest, Dave öfter CDS amcomputer­seines Vaters gebrannt. Imgegenzug kannte ihn Dave, was absolut krass war.

„Hey“, grüßte der Skater, der sich jetzt ein Shirt über die Schultern gelegt hatte.

„’s geht?“, sagte Viktor. Er und Dave klatschten ein. Schnipsing­er. Ziemlich laut.

Dave und ich schlugen ebenfalls ein, nur rutschte ich mit dem Daumen ab, sodass lediglich ein Reiben zu hören war.

Dave wischte sich die Hand ab, wobei er „Alles geht, Vik“, antwortete und mich unschlüssi­g ansah.

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