Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld West
Man vergisst nicht, wie man schwimmt
Folge 20
Wir beschlossen, die typischen Plätze abzufahren. Aufdemmarktplatz saßen Leuteunter Markisen, schlürften Limonade und leckten Zitroneneis, das ihnen über die Waffeln auf die Finger rann. Ambrunnen spielten Kinder. Aus Kastenwagen heraus verkauften der Fleischer und der Käsehändler Schinken und Gouda. Hier war sie nicht.
Auch nicht in der Einkaufspassage oder am Spielplatz hinter dem Parkhaus, den die Alkis in Beschlag genommen hatten, und auch nicht oben auf dem Parkdeck, wo man unter strahlend blauem Himmel einen perfekten Blick über Bodenstein hatte.
Das Panorama reichte vom Industriegebiet hinter uns über das Freibad bis zum Wald und zur Naab und zur Janus-statue. Man sah von meinem Wohnviertel zum Festplatz, der auf der anderen Seite, außerhalb der Stadtgrenze lag. Auf dem Festplatz erahnte man ein Zelt, etlichecontainerundwohnwagen, wasausderentfernung aussah wie eine zusammengewürfelte Miniaturwelt. Der Zirkus.
„Lass mal im Skatepark gucken“, schlug Viktor vor und schoss die sechsstöckige Parkhausabfahrt wieder nach unten. Ich trat die Rücktrittbremse meines BMX in jeder Kurve.
Der Skatepark lag zwischen Freibad und Stadtpark und war überraschend modern angelegt. Es gab einen Pool und eine Halfpipe, dazu verschiedene Hindernisse aus Eisen und Beton. Umgeben war das Gelände auf drei Seiten von Mauern, die übersät waren mit Graffitis. Das Geräusch von Gummirollen auf Teer und klackenden Achsen hörten wir, noch bevor wir die Anlage erreichten.
Einmädchenundzwei Jungs, alle ein paar Jahre älter als wir, lungerten im Schatten der Rampe, ein dritter mit kurzen Dreadlocks fuhr über den Court, sprang auf eine Reling, wobei Schweißperlen von seinem nackten Oberkörper stoben. Seine drahtige Statur ließ jeden Muskel erkennen, sein Sixpack spannte sich bei jeder Bewegung. Ohne zu schlingern, landete er den Trick. Wie ich bei Tony Hawk, dachte ich.
Die Jungs jubelten, das Mädchen warf ihm einen Luftkuss zu. Das war Dave, der coolste Typ im ganzen Landkreis.
Wirsetztenunsunter einer Birke auf einenrasenstreifen, und Viktor grüßte in Daves Richtung, der mit den Fingern ein Salutieren andeutete, bevor er zu seinen Freunden rollte. Die Jungs klatschten ab, das Mädchen küsste ihn und umfasste ihn dabei an der Hüfte.
Viktor zog eine kleine Flasche Volvic aus seinem Beutel, trank und reichte sie mir, wobei er mit dem Kinn in Richtung der anderen wies. „Daveistsocool, oder? Dievomhighandmighty wollen den jetzt sponsern.“
„Vom Klamottenladen? Übelst lässig!“„Der hat ein Leben. Wenn der nicht vögelt, dann skatet er oder kifft.“
„Heftig.“
Viktor lehnte sich gegen den Birkenstamm. „Hier ist die Rothaarige auch nirgends“, sagte er, schlug die Beine übereinander, richtete sich aber sofort wieder auf, als er bemerkte, dass Dave zu uns herüberschlurfte.
Dave hatte mit seinen Eltern eine Zeit lang gegenüber von Viktor gewohnt, und Viktor hatte, das behauptete er zumindest, Dave öfter CDS amcomputerseines Vaters gebrannt. Imgegenzug kannte ihn Dave, was absolut krass war.
„Hey“, grüßte der Skater, der sich jetzt ein Shirt über die Schultern gelegt hatte.
„’s geht?“, sagte Viktor. Er und Dave klatschten ein. Schnipsinger. Ziemlich laut.
Dave und ich schlugen ebenfalls ein, nur rutschte ich mit dem Daumen ab, sodass lediglich ein Reiben zu hören war.
Dave wischte sich die Hand ab, wobei er „Alles geht, Vik“, antwortete und mich unschlüssig ansah.