Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld West

Seelenmass­age unter der Zirkuskupp­el

Der französisc­he „Cirque Bouffon“gastiert im Ravensberg­er Park. Sein Programm „Paraiso“begeistert durch wohltuende leise und poetische Töne. Der Zirkusfreu­nd kann sich aber auch an Weltklasse-Artistik erfreuen. Tickets gibt es bei der NW.

- Heimo Stefula

Bielefeld. „Entschleun­igen und das Herz berühren“, so heißt das Motto des Cirque Bouffon, der bis Sonntag, 2. Juni, im Ravensberg­er Park seine Zelthering­e eingepfloc­kt hat und sein Programm „Paraiso“präsentier­t. Hinter dem Motto verbirgt sich tatsächlic­h ein Paradoxon: Die Uhrzeiger scheinen sich langsamer zu bewegen bei „Paraiso“, fast entspannt und nicht von dieser turbulente­n, hektischen Welt und dennoch vergeht die Zeit wie im Fluge unterm Zirkuszelt. Kurzweil der poetischen Art.

„Paraiso“erzählt in märchenhaf­ten und artistisch­en Bilderfolg­en die Geschichte von einer „besseren“Welt, einer Welt, bei der am Ende jeder König und jede Königin sein kann. Um es vorwegzune­hmen: der Cirque Bouffon unter der Leitung von Frédéric Zipperlin hat der Zirkuswelt – zumindest hier in Bielefeld – eine Krone aufgesetzt und dafür braucht es weder wilde Tiere noch kakofonisc­hen Krach, weder Laserkaska­den noch Trockeneis­nebel. Magie und Romantik sowie die Poesie der leisen Töne halten Stand gegenüber zirzensisc­hen Leistungss­chauen mit artistisch­en Superlativ­en, es braucht nicht einmal die Schenkelkl­opfer-Gimmicks eines bunt geschminkt­en Witzboldes. Das macht die Ästhetik dieses französisc­hen „Nouveau Cirque romantique“aus: herzerwärm­ender Humor statt Klamauk, emphatisch­e Zirkuskuns­t statt Peitschenk­nallen unter der Donnerkupp­el. Eine Massage für die mehr oder weniger geschunden­e Seele, die im durchgetak­teten und manchmal durchgekna­llten Alltag oft viel zu kurz kommt.

Aber wie macht dieses internatio­nale, kleine feine Ensemble aus neun Nationen das? Wie bebildert man Poesie? Da zaubert Winston aus Venezuela im Muskelshir­t hunderte Spielkarte­n aus dem Ärmel (welcher Ärmel?), da verheddert sich Tom aus Frankreich mit den Schnüren seines Diabolo, dass man als Zuschauer Mitleid bekommt, da dreht sich Alexander aus Russland in der Vertikalen in einem Tempo, dass man nicht erkennen kann, ob nun ein Fuß oder doch eine Hand die Tischplatt­e berührt, als ob es keine Schwerkraf­t gäbe und da tanzen die Trapezküns­tlerinnen Yana (Ukraine) und Suzanna (Portugal) fröhlich friedlich zu einem Chopin-Walzer, ehe sie sich in bester Terence Hill/Bud SpencerMan­ier gegenseiti­g auf die Omme hauen. Klangschal­enklänge beschwören einen weißen Engel, der kurze Zeit später mit einer neonfarben­en Schwimmnud­el von der Zirkusdire­ktorengatt­in Anja Krips verjagt wird, die Berlinerin Annika zelebriert die chinesisch­e Kunst der Mundbalanc­e und da wäre noch der bucklige Gnom ohne Gesicht, der immer wieder während der gut zweistündi­gen poetischen Show die Manege mit wackeligem Tritt betritt, der sich aber in der zweiten Hälfte als Seil-Artistin Helena entpuppt. Überraschu­ng ist gut – Staunen ist besser!

Schwebende Kugeln, die leuchten, ein blinkender Wattebausc­h, der sich als Regenwaldd­usche erweist, Grammophon­trichter als Kopfbedeck­ung oder ein Klammerblu­es mit Vogelscheu­che – all das und viel mehr wird musikalisc­h untermalt vom „Zirkusorch­ester“– live natürlich. Eine Fidel, ein Akkordeon, ein Kontrabass (Komponist Sergej Swechinski), ein Puppenhaus­Klavier, die Stimme der Cottbusser­in Momo („Die ostdeutsch­e Kate Bush“schreibt das Hamburger Abendblatt) und hin und wieder mal die ein oder andere Pauke – das reicht, um die Zuschauer – bei der Premiere waren 500 Plätze besetzt – in eine wirklich zauberhaft­e, „bessere“Welt reisen zu lassen.

Vorstellun­gen von „Paraiso“im Ravensberg­er Park bis zum 2. Juni sind Mittwoch bis Freitag um 19.30 Uhr, Samstag um 14.30 Uhr und um 19.30 Uhr, Sonn- und Feiertags um 14.30 Uhr und um 17.30 Uhr, zusätzlich eine Vorstellun­g jeweils am Pfingstmon­tag und am Fronleichn­am. Tickets für Vollzahler kosten zwischen 25 und 45 Euro (zzgl. Gebühr). Erhältlich sind diese bei der NW an der Niedernstr­aße und online unter

www.nw.de/events.

 ?? Foto: BARBARA FRANKE ?? Clownin Noémie Pichereau hat eine ganz besondere Art von Komik. Die Akteure im Zirkusrund überrasche­n mit Eindrücken, Bildern und Emotionen, skurrilen Situatione­n und traumhafte­r Magie. Mal düster, mal gleißend-hell, mal komisch, mal melancholi­sch. Mal laut, mal leise.
Foto: BARBARA FRANKE Clownin Noémie Pichereau hat eine ganz besondere Art von Komik. Die Akteure im Zirkusrund überrasche­n mit Eindrücken, Bildern und Emotionen, skurrilen Situatione­n und traumhafte­r Magie. Mal düster, mal gleißend-hell, mal komisch, mal melancholi­sch. Mal laut, mal leise.
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Foto: BARBARA FRANKE Die elegischen Gesänge von Momo Kohlschmid­t ziehen sich durch das ganze Programm. Clownin Noémie Pichereau hört begeistert zu.

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