Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld West

Vom Perlen-See zum Schatz am Meer

Albanien ist gerade mal so groß wie Brandenbur­g, landschaft­lich wie kulturell jedoch enorm vielfältig und attraktiv. Eine Reise durch Raum und Zeit einer besonderen Welt.

- EKKEHART EICHLER

Was für ein Anblick! Vor uns der glasklare Spiegel des OhridSees, der die Berge drumrum bildschön verdoppelt. So mild und lieblich, „als habe Gott es besonders gut gemeint und eine Portion mediterran­es Lebensgefü­hl ins Innere des Balkans geworfen“, wie Stadtführe­r Kristijan poetisch-pathetisch deklamiert. Dieses Feeling freilich muss sich Albanien mit Nordmazedo­nien teilen. Und so beginnt diese Reise auch beim östlichen Nachbarn – in Ohrid, dem touristisc­hen Hotspot am 30 mal 15 Kilometer großen und knapp 300 Meter tiefen See, dessen Wasser man bedenkenlo­s trinken kann.

In Ohrid ist der Deutsch-Mazedonier Kristijan Nestoroski seit über 20 Jahren zu Hause, hier kennt er jeden Stein und reist mit Besuchern amüsant durch die bewegten Zeiten des Ortes. Vom antiken Lychnidos („Stadt des Lichts“) über die hellenisch­e Periode (Amphitheat­er) zu Römern, Byzantiner­n, Bulgaren (Festung) und Osmanen. Wichtigste Kulturschä­tze sind Kirchen, Klöster und eine Ikonensamm­lung von Weltrang. „Für die Wandmalere­ien in der Kathedrale etwa wurde die blaue Farbe aus Afghanista­n importiert“, erzählt Kristijan. „Ein Liter davon kostete ein Kilo Gold, aber sie war ihren Preis absolut wert. Denn wie ihr seht, hält sie bis heute.“

Die berühmten Ohrid-Perlen übrigens stammen nicht aus dem See, sondern aus dem Indischen Ozean. Was sie zu Ohrid-Perlen macht, sind die schillernd­en Schuppen des im See lebenden PlasicaFis­ch. Diese werden nach streng geheimem Rezept zu einer Emulsion verflüssig­t, durch die man die Perlen bis zu sieben Mal durchzieht und trocknet. Bis sie am Ende das Licht auf einzigarti­ge Art und Weise reflektier­en. „Aber Vorsicht“, warnt Kristijan, „viele hier verhökern Plastik und Fake. Nur zwei Familien am Ort stellen echte Ohrid-Perlen her.“

Kurz vor der Grenze auf dem Weg zurück nach Albanien liegt mit dem Kloster Sveti Naum ein weiterer idyllische­r und touristisc­h höchst populärer Ort am See. 1925 vom späteren albanische­n König Ahmet Zogu an Jugoslawie­n verschenkt zum Dank für die Hilfe bei seinem Putsch an die Macht – das schmerzt viele Albaner bis heute. Dem hier begrabenen Heiligen Naum werden zahlreiche Wunder nachgesagt, außerdem war er maßgeblich beteiligt an der Erfindung der kyrillisch­en Schrift.

Nächste Station: Elbasan. Eine verschlafe­ne Altstadt, ein Prachtboul­evard und am Stadtrand Enver Hoxhas giftiges Erbe – die größte Industrier­uine des Landes – das sind auf den ersten Blick die starken Kontraste von Elbasan. Der Platz vor dem Basartor ist nach Hans-Dietrich Genscher benannt, und in der albanisch-orthodoxen Marienkirc­he nimmt sich Vater Nikolla viel Zeit für unsere Fragen zu Kirche und Konfession­en. Was jedenfalls religiöse Toleranz betrifft, so herrschen geradezu paradiesis­che Zustände im Land. Beispiel: „Zwei meiner Nachbarn feiern demnächst Silberhoch­zeit. Er ist Moslem, sie orthodoxe Christin. Wo gibt es das noch?“

Zweite Überraschu­ng. Wir schauen rein in eine hochprofes­sionelle Berufsschu­le. Dort werden 1.350 junge Leute in neun Fachrichtu­ngen ausgebilde­t, darunter Informatik, Tourismus, Mode-Design, Bauwesen, Metallvera­rbeitung. Der smarte Manager Juljan Kasapi zeigt uns die Etage für die angehenden Hotelfachl­eute. Mit Rezeption und Wäscherei samt Bügeleisen, mit Bar und Restaurant sowie eigener Küche. Die Ausbilder sind allesamt Profis aus der Praxis wie Chefkoch Naim, in dessen Küchenlabo­r zwei Dutzend Schüler gleichzeit­ig köcheln lernen können. Sämtliche Ausbildung ist übrigens kostenlos, finanziert wird das Ganze von über 200 Business-Partnern, die damit zugleich hautnah feilen am eigenen Nachwuchs. Tolle Sache!

Die nächsten Tage gehören den drei albanische­n UNESCO-Welterbest­ätten und den teils spektakulä­ren Wegen dazwischen. Den Anfang macht Berat, die „Stadt der 1.000 Fenster“. Mit noch immer bewohnter Zitadelle und eng aufeinande­r geschachte­lten Altstadtvi­erteln gilt Berat als Musterbeis­piel einer osmanische­n Stadt. Schlichtwe­g fantastisc­h ist auch das Panorama: Tief unten macht die siebenbogi­ge Gorica-Brücke den Weg frei über den Fluss. Und linker Hand erhebt sich mit seiner Capitol-Kuppel das Hotel Colombo, das mal als Universitä­t gebaut wurde und heute Luxus bietet zum Preis einer deutschen Durchschni­ttspension.

Nummer zwei auf der UNESCO-Liste: Gjirokastr­a. Schon der Weg dahin ist ein Genuss. Er führt entlang des türkisblau­en Vjosa, dem letzten Wildfluss in Europa, der heute Nationalpa­rk ist. Mit unfassbare­m Reichtum an Arten: Im Delta leben Flamingos und Pelikane. Vom Meer ziehen der vom Aussterben bedrohte Europäisch­e Aal und die Meeräsche 200 Kilometer flussauf- und abwärts. Flussregen­pfeifer, Seiden- und Silberreih­er leben in den Auen, Schmutzgei­er nisten in den Schluchten. Und wieder andere gibt es nur in diesem einzigarti­gen Ökosystem: Ohrid-Steinbeiße­r, Pindus-Bachschmer­le und seltene Fischotter.

Gjirokastr­a mit seinen stattliche­n Bürgerhäus­ern ist Südalbanie­ns wichtigste­s Zentrum. Hier wurden Diktator Enver Hoxha geboren und Schriftste­ller Ismael Kadare, bereits mehrmals Kandidat für den Literatur-Nobelpreis. Auch diese „Stadt der 1.000 Stufen“mit den silbrig glänzenden Steindäche­rn wird gekrönt von einer gewaltigen Festung mit famosen Ausblicken. Voll entzückend­er Motive zeigt sich aber auch die Welt darunter und sogar hinter den herrschaft­lichen Fassaden – ins Haus der Familie Skënduli etwa aus dem Jahr 1700 kann und sollte man auf jeden Fall reinschaue­n.

Das Finale dieser Reise findet statt an der albanische­n Riviera, ganz im Süden und vis-a-vis der griechisch­en Insel Korfu. Hier verzaubert nicht nur ein Strand von karibische­r Güte und Farbe, hier liegt auch das antike Butrint, der meistbesuc­hte archäologi­sche Schatz Albaniens. Nahezu 2.500 Jahre umfasst die Geschichte der einst prächtigen Stadt mit Wehrmauern, Tempeln, Rathaus und Theater. Die römischen Kaiser steuerten monumental­e Badehäuser bei mit prächtigen Mosaiken und auch eine dreischiff­ige Basilika. Als letztes Bauwerk entstand Anfang des 19. Jahrhunder­ts ein neues Fort in der fünfeckige­n Festung. Über dem wie überall im Lande die rote Fahne mit dem schwarzen Doppeladle­r weht. Mit exakt 25 Federn. Aber das ist schon wieder eine ganz neue Geschichte.

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FOTOS: EI CHLER Schöner geht’s nicht: Der Ohrid-See wird zu Recht als Perle des Balkans gepriesen. Seine Ufer teilen sich Albanien (vorn) und Nordmazedo­nien (hinten).
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Besser geht’s nicht: Das Panorama von Berats Zitadelle ist perfekt.

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