Neue Westfälische - Bünder Tageblatt
Frühlingserwachenauflipari
Aufdenliparischeninselnfröntdiezeitdemmüßiggangineinerprächtigennaturkulisseausvulkan,meerundpflanzen. Keinchichi,dafüreinsamekiesstrände–perfektfürindividualisten.
Si, abbiamo sempre andare: „Wir fahren immer“, verspricht Lorenzo. Dann hebt er die buschigen Augenbrauen und blickt auf eine Seekarte. Das gelte aber nur, wenn Wind und Wellendieschiffebissalinaoder Stromboli durch lassen, rudert er zurück. Wetterlaunen könne er nicht vorhersagen. Auf Lipari sei er zwar Organisationschef für Ausflugsfahrten zu den benachbarten sizilianischen Inseln, Herr der Winde sei er aber nicht. Stimmt.
Dieses göttliche Amt hatte den Fantasien Homers zufolge Zeus nämlich Äolus übertragen. Der Gott, nach dem die Äolischen Inselnimtyrrhenischenmeerbenannt sind, war eine Art Wetterboss von Gottes Gnaden mit Service-befugnissen. Als Odysseus bei Lipari strandete, brachteäolusdemirrfahrereinpaarsäcke voll Wind. Lorenzos Dankbarkeitübersolchepräsentewürdensichingrenzenhalten:zuviel Wind sei nicht gut fürs Geschäft. Weil aber von Frühjahr bis Herbstnureineleichtebriseweht, kommen Lorenzo und seine Gäste meistens auf ihre Kosten.
Für Siziliens Tourismus sind die Liparischen Inseln nur Randerscheinungenimmeer,fürdieinsulanereineexistenzfrage.indem Archipel frönt die Zeit dem Müßiggang, von Reisenden fordert sie aber einen hohen Stundentribut. Nach Ankunft mit dem Flugzeug in Catania sind zusätzliche Euros und der Rest des Tages für den Transfer zum Umsteigehafen Milazzo plus Schifffahrt nach Lipari einzuplanen.
Das Nachtleben der Insel beschränkt sich auf wenige Musikbars. Kein Glamour, kein Chichi. Dafür einsame, tief liegende kantigekiesstrände,diemitdemmotorbootodergeschickeinerbergziege über Kletterpfade zu erreichen sind: Verwunschene Winkelvonherberschönheit,dieerika,rosmarinundmyrtemitihren Düften und Farben beleben.
Schönsterausgangspunktdiehügelige Lipari-stadt zu erkunden, ist der kleine Hafen Martina Corta am Fuße eines spanischen Kastellsmitderakropolis.inderhafenbar Il Gabbiano serviert Mimmo den coolsten Granita auf der Insel: Ein typisch sizilianisches Sorbet aus Sirup mit viel Zitronensaft und Gebäck. Mit etwas Glück treffen Reisende dort am Nachmittagseñorasieglindeund lauschen ihren Erzählungen und Tippsvonderinselwelt.ineinem Urlaubvor35jahrenverliebtesich die blonde Frau aus Niederbayern in einen sizilianischen Naturburschen, später in die Liparischen Inseln. bewohnten Festung mit archäologischemmuseum.liebhaberhoherkochkünstekehrenabendsam Fuße der Anlage im hundertjährigen Ristorante Filippino ein. Drachenkopfallaghiottanachlipariartserviertderkellneraufder mit Blumen geschmückten Terrasse. Die täglich wechselnde Speisekarte orientiert sich an der nächtlichen Ausbeute der Fischerboote. Freilich, die stolzen Preise für die kulinarischen Extravaganzen und das stilvolle mediterrane Ambiente passen sich dem Niveau dieses Traditionsrestaurants an.
„Kennt Ihr den heißesten Platz der Liparischen Inseln?“Das Wirtsehepaar Odette und Antoniolächeltvielsagend:„derbefindet sich auf dem Meer, über dem ständig aktiven Vulkankrater des Stromboli!“Antonio sei mitihrimhelikopterindenhimmel geflogen. Dort habe er ihr über dem brodelnden Feuerschlund den bestimmt feurigsten Heiratsantrag auf den Liparischen Inseln gemacht, lächeltdie42-jährige.dasseidramatischundsokitschigschöngewesen wie in einem Liebesfilm.
Wer dem fauchenden Berg auf der gleichnamigen Insel ins „rote Auge“sehen, Geld für den Höhenflug aber sparen möchte, schließt sich einer Bergtour über steile Pfade an. „Vorsicht, die Luft in 900 Meter ist dünn und der Aufstieg kein Spaziergang“, warnt Antonio. Weniger trittfesten oder höhentauglichen Entdeckern empfiehlt er einen Abstecher mit dem Schiff zur Feuerstraße Sciara del Fuoco. Dabei sollten Passagiere Versprechen wie „der Vulkan arbeitet immer“nicht missdeuten. Zwar verrichtet der Stromboli als „Leuchtturm“im Mittelmeer
einen wichtigen Job, beim Feuerspucken gönnt sich der Rieseaberpausen–oderdickegraue Wolkenüberdemgipfelverschluckenseineleuchtendeglut.wenn er kommt, dann gewaltig: So wie 1950 in Rossellinis Melodram „Stromboli“, das Ingrid Bergmannweltberühmtmachteundsie im richtigen Leben mit dem Regisseureineskandalumwitterteaffäre eingehen ließ. Eine Gedenktafel an dem restaurierten Liebesnest in der Via Vittorio Emanueleerinnertandenfilm.isteinmal kein Feuerwerk über dem 2.400 Meter hohen „Fünf-sterne-vulkan“
zu sehen, hat Stromboli auch am Boden seine Reize: Weiße Dörfer an pechschwarzen Stränden, versteckte Buchten, Einsamkeit, tiefklares Wasser und garantiert keine hupenden Autos.
Ein bisschen Kino ist auch auf der von zwei Vulkankegeln geprägten Insel Salina. Naturaufnahmen in Michael Radforts Film „Il Postino“(1994), einer ergreifenden Freundschaftsgeschichte zwischeneinembriefträgerundeinem Poeten, haben Salinas Tourismus einen Schub gegeben. Immer noch veranlasst der Spielfilm Touristen das zu tun, was sie auf der Insel keinesfalls unterlassen sollten: Das grüne pflanzenreiche Island vom Wasser aus zu erkunden.
Vom Hafen Santa Marina schippern Schiffe nach Pollara. Abseits der filmreifen Hafenbucht windet sich ein Schotterweg zu einem mit Pflanzen umwucherten erdfarbenen Haus. In „Der Postmann“war das einsame Castelloeineskunstmalersdiewohnund Arbeitskulisse des im Exil lebenden chilenischen Dichters Pablo Neruda. Viel Aufhebens macht man über den cineastischen Schauplatz in urwüchsiger Kulisse aber nicht. Auf Salina offenbart sich die Natur im Frühling wie einaufgeblättertesbilderbuchvoll verschwenderischer Farben. Alles ist unberührt, unverbaut und weit, hatte Sieglinde gesagt. Da würde ein „Il Postino“-tourismus nur stören. Hier bewegt sich jeder wie in seinem eigenen Film, sucht auf kleinen oder großen Wanderungen das individuelle Abenteuer.
Wenn auf dem Monte Fossa delle Felci letzte Morgennebel durch das Gesträuch streichen, am Himmel ein leichtes Rot emporklimmt und kühle Luft die Hänge des seit 13.000 Jahren erloschenen Vulkans überzieht, ist die bestezeit,umsalinaaufsdachzu steigen.auchohnetrekking-qualitäten gelingt ein müheloser Aufstieg vom Inselörtchen Valdichiesa.vierstundenlangdauertdiegemächliche Rucksacktour vorbei an jahrhundertealten Steineichen, gigantischen Farnen und duftendem Eukalyptus. Raschelt es mal im Geäst, nimmt nur ein Wildkaninchen Reißaus. Dann wieder nur Stille. Bald geben Baumkronen und struppiges Buschwerk den Blick frei über das glatte tiefblaue Meer zu den wilden Steilküsten der Äolischen Inselgruppe.
Allmählichblinzelngoldenestrahlen der Morgensonne durch das Geäst. Um diese Zeit klingeln auf Lipari am Piccolo Porta die Schiffsglocken für Ausflüge nach Stromboli und Salina. Ein laues Lüftchen weht. Ein paar Wolken hängensteifundträgeamhimmel.„si, wir fahren“, sagt Lorenzo.