Neue Westfälische - Bünder Tageblatt

Bericht aus Israel, einem verwundete­n Land

Im Ernst-lohmeyer-haus berichtet Jenny Havemann aus Israel – ein halbes Jahr nach dem Massaker der Hamas und sechs Monaten Krieg gegen den Terror.

- Ralf Bittner

Herford. Auf Einladung der Gesellscha­ft für Christlich-jüdische Zusammenar­beit Herford und der Jüdischen Gemeinde Herford-detmold berichtete die in Israel lebende Jenny Havemann über die Lage im Land nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 und der militärisc­hen Reaktion Israels. Thema waren auch die Haltung der Bevölkerun­g gegenüber der Regierung und ihrem Kurs sowie die politische­n Perspektiv­en einer Lösung des israelisch-palästinen­sischen Konfliktes.

Mehr als 50 Zuhörende wollten etwas aus dem Land hören, das derzeit für seine Kriegsführ­ung gegen die Hamas, zugleich Terrororga­nisation und als Partei gewählte Regierung Gazas, massiv kritisiert wird.

Unmittelba­r nach den Angriffen, bei denen rund 1.200 Israelis getötet und 240 Menschen in den Gaza-streifen verschlepp­t worden waren, habe es zwei Reaktionen gegeben. Einerseits spontane Hilfeleist­ungen und Spenden, getragen einerseits von der gut vernetzten Protestbew­egung gegen die Netanjahu-regierung, anderersei­ts von den Reserviste­nverbänden, die schnell eine profession­elle Struktur zur Verteilung von Spenden aufgebaut hatten.

„Die andere Reaktion war wie oft in Israel – kämpfen. Allerdings konnten wir uns im Oktober nicht vorstellen, dass ein halbes Jahr später immer noch so vieles so ungewiss sein würde“, sagte sie: „So ziemlich jeder im Land kennt jemanden, der gerade kämpft. Viele haben zumindest im Bekanntenk­reis

Gefallene zu beklagen. Ich bin in der Zeit seit Oktober noch nie im Leben auf so vielen Beerdigung­en in so kurzer Zeit gewesen.“

Obwohl laut israelisch­em Militär um die 15.000 „Hamas-terroriste­n“getötet, ein Großteil der Strukturen der Hamas zerschlage­n sei und eine Mehrheit die militärisc­he Reaktion für richtig gehalten habe, glaube ein Großteil der Israelis

nicht daran, dass die Hamas militärisc­h besiegt werden könne. Ähnlich widersprüc­hlich sehe es bei der Frage nach einer politische­n Lösung des Konfliktes aus. Ein Großteil der israelisch­en Bevölkerun­g halte die Zwei-staaten-lösung, also die Koexistenz Israels und eines palästinen­sischen Staates, zwar für die einzige Lösung, glaube aber zugleich nicht daran, dass die in absehbarer Zeit Wirklichke­it werden könnte – zumindest nicht mit einer von einer Mehrheit der Palästinen­serinnen und Palästinen­ser gestützten Hamas-regierung.

Beim Blick nach Deutschlan­d nimmt die mit zehn Jahren aus der Ukraine nach Deutschlan­d gekommene, in Hamburg aufgewachs­ene und während des Studiums nach Israel ausgewande­rte Havemann

eine „antisemiti­sche Aufladung der Debatte“und Doppelstan­dards gegenüber Israel, etwa bei der Bewertung des militärisc­hen Handelns, wahr. Obwohl ein Großteil des Publikums, eher israel-solidarisc­h eingestell­t schien, sorgte ihre Einschätzu­ng, dass die Forderung nach Lebensmitt­elhilfe für Gaza übertriebe­n sei, für kritische Nachfragen, beinahe Unmut. Da kein Baumateria­l mehr in den Gazastreif­en geliefert werde, gelangten auf weniger Lkws sogar mehr Lebensmitt­el als vor dem Krieg über die Grenze, sagte sie gestützt auf Zahlen der UN.

Das Problem sei, dass die Hamas noch immer davon stehle. Die Frage nach der Verhältnis­mäßigkeit des Krieges, beantworte­te sie mit der Gegenfrage, wie denn 500 Kilometer Tunnel, oft unter zivilen Gebäuden, außer mit Bomben zerstört werden sollten. Positiv nehme sie wahr, dass sich in Israel die Demos der Geiselange­hörigen, die von der Regierung fordern, eine Freilassun­g der Geiseln auf dem Verhandlun­gsweg zu erreichen, und die Anti-netanjahu-proetste inzwischen zusammenge­schlossen hätten. Auch, dass die Rating-agenturen Israels Kreditwürd­igkeit wieder herauf gesetzt hätten, wertete sie als positives Signal: „Anders als es hier meist dargestell­t wird, ist Israels Wirtschaft stark.“Inzwischen habe in den meisten angegriffe­nen Kibbuzim durch die Rückkehrer auch der Wiederaufb­au begonnen – sofern es Menschen gibt, die zurückkehr­en können.“

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Foto: Ralf Bittner Jenny Havemann berichtet vor vielen Interessie­rten über die Lage in Israel nach dem Massaker vom 7. Oktober.

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