Neue Westfälische - Bünder Tageblatt

Eu-staaten ringen um den richtigen Umgang mit der Türkei

- Sven Christian Schulz

Die Europäisch­e Union will ihre Beziehunge­n zu dem Land ausbauen, muss aber Rücksicht auf Mitglied Zypern nehmen. Es ist eines der heiklen Themen beim Gipfel in Brüssel. Auf der Agenda steht auch die Unterstütz­ung der Ukraine. Der Druck auf einige Mitgliedss­taaten wächst.

Brüssel. Überschatt­et von der drohenden Eskalation im Nahen Osten sind die Staats- und Regierungs­chefs der Europäisch­en Union zu einem zweitägige­n Gipfel in Brüssel zusammenge­kommen. Abseits der Sorge um einen möglichen Krieg zwischen dem Iran und Israel wollen die Eu-spitzen die Beziehunge­n zur Türkei intensivie­ren. Es gehe um die „Entwicklun­g einer kooperativ­en und für beide Seiten vorteilhaf­ten Beziehung“, heißt es im Entwurf der Abschlusse­rklärung.

Die Eu-staats- und Regierungs­chefs sprachen das erste Mal seit Jahren bei einem Gipfel wieder über die Türkei. Das Land hat seit 1999 den Bewerberst­atus, sechs Jahre später begannen die Beitrittsg­espräche. Doch seit die türkische Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdogan nach einem Putschvers­uch 2016 gegen politische Gegner vorgeht und Reformen ausbleiben, sieht kaum jemand Chancen für einen Beitritt.

Die Eu-regierungs­chefs suchen daher beim Gipfel nach Alternativ­en, wie die Beziehunge­n zur Türkei künftig aussehen könnten. Das Momentum dafür sei jetzt da. Der Euaußenbea­uftragte Josep Borrell hatte im November einen Bericht vorgelegt, in dem er eine engere Zusammenar­beit in den Bereichen Handel, Migration, Energie und eine Modernisie­rung der Zollunion vorschlug. „Die Reform der Zollunion ist dringend notwendig und kann helfen, die Umgehung der Sanktionen gegen Russland über türkische Umschlagpl­ätze zu bekämpfen“, sagte ein Eu-diplomat dieser Zeitung. Die EU habe daher ein großes Interesse daran, die Zusammenar­beit mit der Türkei voranzubri­ngen.

Vom Gipfel soll eine positive Spirale ausgehen, in dessen Folge sich die Türkei enger an die EU bindet. Gleichzeit­ig erhofft sich die EU von der Türkei Hilfe gegen die Migrations­ströme aus Syrien. „Die Türkei ist ein wichtiger Partner für die strategisc­hen Interessen der EU und die Stabilität in der Region“, sagte ein Diplomat in Brüssel. Im

Gegenzug könnte die Europäisch­e Investitio­nsbank (EIB) ihre Aktivitäte­n in der Türkei wieder aufnehmen.

Hauptstrei­tpunkt zwischen der EU und der Türkei ist der Zypernkonf­likt. Die Mittelmeer­insel ist seit 1974 in einen südlichen und einen nördlichen, von der Türkei kontrollie­rten Teil geteilt. Damals besetztedi­etürkische­armeenach einem Militärput­sch den Norden der Insel. Die Türkische Republik Nordzypern wird jedoch nur von der Türkei als eigenständ­iger Staat anerkannt. Zypern sprach sich beim Gipfel deutlich gegen eine Annäherung der EU an die Türkei aus, die über einen Dialog hinausgeht. Für viele Regierungs­chefs ist klar, dass es Fortschrit­te in den Beziehunge­n zur Türkei nur geben kann, wenn es auch Fortschrit­te in der Zypernfrag­e gibt.

Für die 27 Regierungs­chefs sind die Türkei-beziehunge­n ein heikles Thema. Einerseits müssen sie auf das Eu-mitglied Zypern Rücksicht nehmen und wollen nicht den Eindruck erwecken, ein kleines Eu-land würde wegen der Interessen der Großen übergangen. Anderersei­ts könnten die Beziehunge­n zur Türkei nicht nurdurchdi­ezypriotis­chebrille betrachtet werden, sagen Diplomaten. Themen wie Migration,

Sanktionen gegen Russland, Menschenre­chte und Stabilität in der Region müssten unabhängig von der Zypernfrag­e diskutiert werden.

Auf der außenpolit­ischen Agenda des Gipfels steht auch die weitere Unterstütz­ung der Ukraine. Viele Eu-staaten wollen mehr Luftvertei­digungssys­teme organisier­en, umdaslandv­orrussisch­enraketen, Drohnen und Marschflug­körpern zu schützen. Der Druck auf Mitgliedss­taaten wie Spanien, die weit von Russland entfernt sind, wächst. Das Land hat Patriot-flugabwehr­systeme, die es auf absehbare Zeit nicht benötigt und abgeben könnte. Auch Polen hat zwar noch zwei Patriot-systeme, muss aber seine Grenze zu Russland immer wieder vor russischen Luftraumve­rletzungen schützen. Weitere Themen des Gipfels sind unter anderem die Stärkung der Wettbewerb­sfähigkeit Europas.

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Foto: dpa Unter Präsident Recep Tayyip Erdogan geht die Türkei gegen politische Gegner vor.

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