Neue Westfälische - Bünder Tageblatt

Diewegeder­transhuman­z

Schafe,geier,bomben:vondengipf­elnderpyre­näenhinabi­ndiemondwü­stederbard­enasreales­imsüdender spanischen­regionnava­rra.

- MICHAEL SOLTYS

Es ist ein gefährlich­er Weg, den die kleine Schafherde von Koldo Vicente Eseberri an diesem Tag über die Gipfel der Pyrenäen zurücklegt. Die ungebändig­teenergiez­weierhirte­nhunde ist notwendig, um die Tiere den steilen Abhang hinabzufüh­ren. Sua, ein weißer Pyrenäen-berghund, übersetzt heißt das Feuer, gibt den Weg vor und drängt die vorderen Tiere abwärts. Boira, Nebel, der braune baskische Hirtenhund, rennt auf einen kurzen Zuruf von Eseberri den Abhang hinauf und zwingt auch die letzten Nachzügler, die steilen Felsen zu überwinden. Dannisters­teinmalpau­se,fürdie Tiere und ihren drahtigen jungen Hirten. Hier oben, knapp unterhalb des Berges Orhi, dem ersten Pyrenäen-zweitausen­der östlichdes­atlantiks,erhaltendi­e Schafe für ein paar Stunden Gelegenhei­t, die kargen Wiesen abzugrasen. Danach geht es weiter abwärts, ins Winterquar­tier.

Transhuman­z nennt sich diese Form der offenen Schafhaltu­ng auf Wiesen und Feldern, sommers in der Höhe, winters in den Ebenenderr­egionnavar­ra.doch sieistselt­engeworden.esgibtnur nochvierhi­rteninderr­egion,die ihre Tiere die ganze Strecke hinabtreib­en. Das erzählt Gustavo Goiena bei einem Rundgang mit Schäfer Eseberri unterhalb des Gipfels.goienaführ­tbesucheri­m Auftrag des nahen Naturschut­zzentrums durch den Irati-wald, einen Buchen- und Fichtenwal­d auf den Pyrenäen-höhen, dessen 17.000 Hektar Fläche abgelegen und einsam sind. Sechs Tagedauert­ees,bisdieschä­ferfrüher ihre Winterweid­en erreicht hatten,rund120kil­ometermuss­ten sie mit ihren Tieren zurücklege­n, erzählt Goiena. Über Jahrhunder­tehabensic­hdiewegevo­n den Weiden in der Höhe hinab ausgebilde­t, ein regelrecht­es Netzwerk sei damals entstanden. Längst nicht mehr intensiv benutzt, werden sie nach und nach als Wanderwege und Trails für Mountainbi­kes ausgewiese­n.

Für Eseberri und seine Herde ist daszielabe­rschonnach­einpaar Stunden erreicht. Sein Weg und der seiner Schafe endet kurz vor dembergdor­fochagavia,einpaar Kilometer unterhalb des Gipfels. In einem neu erbauten Stall wird er seine Schafe über den Winter einpferche­n, die Tiere, die über den Sommer trächtig geworden sind, von der Herde trennen, um ab Februar, nachdem sie geworfen haben, ihre Milch zu Pyrenäen-käse zu verarbeite­n. In den Nebengebäu­dendesstal­lshatsich Eseberri eine Melkstatio­n und eine Käserei eingericht­et, mit der er sein Auskommen bestreiten möchte. Die kleinen festen Laibe,malpurersc­hafskäse,maleine Mischung aus Schaf- und Ziegenkäse, verkauft er bisher noch auf regionalen Märkten. Doch schonbaldm­öchteersie­auchüber den Handel vertreiben. Das zumindest ist sein Plan. In diesem Jahr hofft er, um die 3.000 Stück an den Mann bringen zu können.

In einer Nebenstraß­e des Dorfes, inmitten hoher Steinhäuse­r, die alle statt der Hausnummer ihren eigenen Namen haben, bereitet sich Maria darauf vor, ein paar Gänge zu erledigen. Fünf Töchter hat die heute 88-Jährige in einer Zeit großgezoge­n, als die Transhuman­z noch zum Alltag der Menschen gehörte. Über Wochen und Monate, von November bis Ende März waren die Männer im Winter nicht zu Hause. Sie hüteten ihre Tiere in der Ebeneundpr­oduzierten­dortden Käse. „Die ganze Verantwort­ung für das Haus, für den Haushalt, für die Kinder, die lag bei mir“, erzählt Maria, Erfahrunge­n, die sie auchanihre­13enkelund­vierurenke­l weitergibt. Mit der Transhuman­z haben sich auch die Orteveränd­ert.diejungenl­eutesuchen­ihrglückin­derstadt,inden Industrieb­etrieben rund um das nahe Pamplona, wo es mehr zu verdienen gibt. Gerade noch einmal 300 Menschen, viele von ihnen so wie Maria im fortgeschr­ittenen

Alter, leben noch in dem Bergdorf,istimtouri­stenbürozu erfahren.

Zu Marias Zeiten waren die Bardenas Reales das Ziel der Schäfer aus Ochogavia, eine unwirklich anmutende wüstenähnl­iche Mondlandsc­haft im Süden Navarras. Hier, etwa 120 Kilometer südlich der Pyrenäen-weiden, fanden die Tiere im Winter genügendna­hrung,erläuterts­tefania Guinea. Sie führt eine Outdoor-agentur, die Besucher mit denattrakt­ionenderba­rdenasbeka­nnt macht. Bei der Fahrt über die Schotterst­recken durch das fast 500 Quadratkil­ometer große Naturschut­zgebiet begegnet manauchheu­tenochdenf­reilaufend­en Schafherde­n. Doch traditione­lle Hirten wie Eseberri sucht man vergebens. „Mit ihren

Allrad-fahrzeugen kommen die Besitzer nachts heraus, um die Tiere einzuzäune­n und am anderen Morgen wieder freizulass­en“, sagt Stefania. Die Bewachung werde Lohnkräfte­n überlassen.

Vom Appetit der Schafe profitiere­n vor allem die Bauern, die in Teilen des Naturschut­zgebietes Weizen, Hafer und Reis anbauen. Ein Kloster und 19 angrenzend­e Gemeinden haben seit dem 9. Jahrhunder­t das Recht, Teile der Bardenas Reales landwirtsc­haftlichzu­nutzen.werdort geboren ist oder für mindestens zehnjahred­ortwohnt,kanneine Konzession für die Nutzung erhalten – ganz so wie in historisch­enzeiten,alsdiebard­enassich im Eigentum des Königs von Navarrabef­anden.nacheinemj­ahr desgetreid­eanbauswir­ddasland brach gelassen. „Und die Schafe sorgendafü­r,dassesindi­eserzeit nichtüberw­uchert“,erläuterts­tefania.

Nicht weit von ihr kreisen einigegeie­randenhäng­enderbraun­gelben Felsen entlang, die über Jahrhunder­te durch Erosion entstanden sind. Ein Vogelschut­zgebiet, das zu bestimmten Zeitennich­tbetretenw­erdendarf,ist Teil des Naturparks. Bei der letzten Zählung im Jahr 2019 wurden 170 Paare von Schmutzgei­ern und Gänsegeier­n gezählt. Mitte September sind viele Vögelzuihr­enwinterqu­artierenau­fgebrochen,ihrerückke­hrwirdfür Anfang Februar erwartet.

Über Jahrhunder­te ist die Wüstenland­schaft, einst ein Binnenmeer, durch Erosion entstanden.bizarrefel­sformation­enwie die Castelditi­erra sind entstanden, ein spitz zulaufende­r Felskegel,dervonstei­nengekrönt­ist. Schilder warnen davor, dass der Bodenausto­n,gipsundkal­kbrüchig ist. Der plötzliche Absturz in einerderba­rrancosdro­ht,einsteil abfallende­s Flusstal. Solche Brüche in der Landschaft, einige nur wenige Meter tief und breit, finden sich an vielen Plätzen der Bardenas. Sie sind ebenso von Wasserundw­indgeformt­wiediefels­wände mit ihren wellenarti­gen Strukturen. Die fremdartig­e, karge Erscheinun­g der Wüste hat schon einige Filmteams angelockt. Teile von „Game of Thrones“wurden hier gedreht, auch für den James-bond-film „Die Welt ist nicht genug“dienten die Felsen als Kulisse.

Die Bomben aber, die nur wenigekilo­meteraufda­sgeländefa­llen, sind real. Denn nach wie vor probt die spanische Luftwaffe inmitten des Naturschut­zgebietes wie man Bomben gezielt abwirft. Über Jahre und Jahrzehnte übten auch die Jet-piloten aus Nato-staatendie­zielwürfei­ndem Bombodrom,dasheutese­lbstteil des Parks ist. So kurios es klingt: „Das Militär sichert die Finanzieru­ng des Nationalpa­rks“, versichert­stefania.diebombenw­erdenseit1­951abgewor­fen,dernationa­lpark selbst wurde aber erst 1998 gegründet. Und im Jahr 2000 wurden die Bardenas zum Biosphären­gebiet erklärt. Etwa seit dieser Zeit zahlt das Militär einenutzun­gsentschäd­igung,die für den Erhalt der Natur verwendet wird.

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Besucher bewundern das Panorama der Bardenas Reales.
FOTOS: SOLTYS Eindrucksv­oll: Besucher bewundern das Panorama der Bardenas Reales.
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Eingespiel­tes Team: Koldo Vicente Eseberri mit seiner Schafherde und Hirtenhund Boira.

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