Neue Westfälische - Bünder Tageblatt
„Vielesuchennachentspannungundausgleich“
Lichtundklangsindzunehmenddigital.matthiasstroblundmartinherbstverbindenbei„liquidlight&electronicsound“imkinokamerabeidesauf analogeweisemiteinander.dochwasgenaubedeutetdas?undwarumerfreutsichdieanalogetechnikweiterhin–oderwieder–großerbeliebtheit?
Herrstrobl,herrherbst,lichtund Klang hat die Menschen schon immer fasziniert. Beides miteinanderkombiniertziehtdieleutequasi magnetisch an. Warum?
MARTIN HERBST: Beim Hören undsehenwerdenzeitgleichzwei Sinne angesprochen, die auch Emotionen auslösen. Da kommt einiges zum Tragen.
MATTHIASSTROBL: Genau.der Sehsinn ist ja das wichtigste Sinnessystem des Menschen, und wenn dann noch das Hören hinzukommt,istdasgehirnganzgut beschäftigt. Diese enge Beziehung war schon sehr früh in der Menschheitsgeschichte erlebbar. Zumbeispieldiebuntenkirchenfenster, in die das Licht hineinleuchtet,unddannsingtderchor – da hatten bereits ein paar Generationen vor uns erhebende Erlebnisse. Auch das Beobachten von langsamen, fließenden Bewegungenwiewolkenodereinem Wasserfall führt im Zusammenspielmitdemsounddernaturzu einem meditativen Zustand.
Wenn man es herunterbricht: Was sind denn eigentlich Licht und Klang – und wie viele Farben und Töne kann man erzeugen?
STROBL: Physikalisch ausgedrückt, sind beides Wellenlängen,alsoschwingungen.wievielefarbenesgibt,isteinefrageder Bewertungsmatrix. Denn anders als am Computerbildschirm, ist das Spektrum der Nuancierung in der Natur und in der analogen Welt nahezu unendlich.
HERBST: Bei den Tönen haben wir in unserem Kulturkreis mit unserer Tonleiter die zwölf bekannten Töne. Aber rein physikalisch ist das natürlich längst nicht alles – das sind halt Frequenzen. Es gibt den Kammerton A mit 440 Hertz, aber all das, was zwischen den Tönen ist, sind auch Töne, die in anderen Kulturen auch eingesetzt werden.
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich vieles von analog hin zu digital entwickelt. Viele sprechen immer von Digitalisierung, aber was bedeutet das überhaupt?
HERBST: Klang beschreibt als Schwingung immer eine Sinuskurve, die bei der Digitalisierungaufdiewerte1und0runtergebrochen wird. Dabei entsteht ein gewisser Verlust, es wird also nie ganz exakt sein.
STROBL: Auf der visuellen Ebene ist es ähnlich. Im Grunde wird das Visuelle in ein Schema hinein gepresst, in dem Dinge verlorengehen.einmonitorkannnur eine begrenzte Zahl von Farben darstellen.indermusikkenntdas jeder, der schon mal seine Tonaufnahmen als MP3 umgewandeltundgemerkthat,dassdasnatürlichdasgleicheliedist,aberetwas dabei verloren gegangen ist.
Wassinddenndanndievorteiledes Digitalen?
STROBL: Reproduzierbarkeit, Speichermöglichkeit und Geschwindigkeit – aber man muss sich im Klaren sein, dass dadurch die Einzigartigkeit verlorengeht.eskommtdaraufan,was einem wichtiger ist.
Alle reden über KI – welche Rolle spielt das bereits jetzt in der Musikund Projektionsszene?
HERBST: Es gibt ja bereits einen altenbeatles-song,dermitkiaufgemöbelt wurde. Außerdem gibt esprogramme,dieeineeigene,zu Hause erstellte Komposition genauso klingen lassen können wie zum Beispiel Queen. Diese Anwendungen werden weiter entwickelt und ich kann mir vorstellen, dass wir irgendwann Lieder im Radio hören mit der Stimme von Sängern, die längst tot sind. Ob das sinnvoll ist, ist natürlich eine andere Frage.
STROBL: KI ist eine umfassende Datenbankvondingen,dieesbereits gibt und die dann unter speziellen Algorithmen neu kombiniertwerden.wirmachenbeitnl in unserem täglichen Schaffen ja auch viele Digitalprojektionen
Ich denke, dass es eine gewisse Sehnsucht nach demechtenund Authentischen gibt.“
und wissen, dass es viel schneller geht, bestimmte Bilder zu erzeugen und Figuren oder Landschaften abzubilden. Aber eigentlich ist es am Ende ein seelenlosesprodukt,dasimmereinendesigner braucht, der die Richtung festlegt. Was Martin und ich in unserem Programm machen, könntedagegenniedurcheineki ersetztwerden,weileserstindem Augenblickentsteht,indemesauf der Leinwand sichtbar wird.
Generell scheint es eine allgemeine Rückbesinnung auf die analoge Technik zu geben. Warum?
HERBST: In der elektronischen Musikszene ist schon länger ein Comeback der analogen Synthesizer zu beobachten. Die Musikerhabengerneeinendirektenzugriffaufknöpfeundgenießendie
Spannung des Unerwartbaren, weil man nicht immer ganz genau weiß, was passiert. Das dürfte sicher einer der Gründe sein.
STROBL: Ich denke, dass es eine gewissesehnsuchtnachdemechten und Authentischen gibt, weil viele „künstliche“Produktionen etwas beliebig, oberflächlich und seelenlos wirken, und weil man mit solch einer althergebrachten Analogtechnik wie unserem Projektor ein Stück Seele in das Seherlebnis zurück gibt.
Die Idee für den Lightmotiv-projektor entstand vor 30 Jahren, das Produktistseit25jahreninderöffentlichkeitpräsent.wiehabensich die Reaktionen der Zuschauer in dieser Zeit verändert?
STROBL: Die Aufführungen laufen natürlich immer noch in der Kategorie„specialinterest“,dasist keine massentaugliche Unterhaltung. Aber wenn ich mich zurück erinnere, welche Leute sich dem vor 25 Jahren für länger als eine halbe Stunde hingegeben haben, dann bin ich schon eher in einem Party-kontext um drei Uhr morgens.dassesjetztleutegibt, die Eintritt bezahlen, um sich in einenkinosaalzusetzenundsich das eine Stunde lang anzuschauenunddieoffenbarausdenunterschiedlichsten Bevölkerungsschichten und Altersgruppen kommen – das ist eine Entwicklung, die ich mir vor 25 Jahren nicht hätte träumen lassen.
Was machen Sie eigentlich genau an diesem Abend?
HERBST: Musik und Licht. Also ich mache mit analogen und digitalen Synthesizern elektronische Musik, zu der das, was Matthias macht, sensationell passt.
STROBL: Ich mache eine Makro-abbildung von Flüssigkeitsreaktionen in analoger Technik, deshalb hat sie keine Pixelauflösung und auch keine Bildwiederholungsrate wie alle Displays oderbeamer,diewirkennen.das Ganze erzeugt eine gewisse Ruhe,mankannentspannthinschauen, die Augen werden nicht müde. Dann gibt es diese Petrischale,inderdieflüssigkeitendurchmischt und direkt auf die Leinwand übertragen werden. Jede dieser Schalen hat eine Lebensdauerzwischenzehnminutenund einerhalbenstunde.indieserzeit machtmaneinereisevonsehrminimalistisch und einfach bis hin zugroßerkomplexitätmitvieldynamik. Die Besucher werden mitgenommendurchdieweltdersich ständig verändernden Flüssigkeiten.natürlichabgestimmtaufdie Musik. Es ist visuelle Unterhaltung in einer sehr grundsätzlichen Form: Es gibt keinen Kontext und berührt die Menschen übereineunmittelbarkeit,diesie an sich selbst und ihr Innerstes denkenlässt.vielehabenauchassoziationen mit dem Universum oder geografischen Merkmalen. Wer sich den Projektor hinterher anschaut, erschrickt manchmal fast vor der Banalität.
Wie ist Ihr Projekt entstanden?
HERBST: Ich habe in den 80erjahrenineinerbandgespieltund wir hatten schon damals einen Projektor für Ölfarben, der bei unseren Auftritten immer gut ankam. Dann habe ich vor ein paar Jahren in der Neuen Westfälischen eine Artikel über TNL gelesen und Kontakt aufgenommen. Das fand ich spannend.
Wohingehtdiereise–werdenlicht und Klang in Zukunft noch mehr miteinander verschmelzen?
STROBL: Mit den Vr-brillen ist natürlich vieles möglich geworden.dasaudiovisuellewirdganz bestimmt eine ganz neue Rolle spielen. Ich habe gerade gelesen, dass wir am Tag mit dem Handy und am Rechner mittlerweile knapp 400 Meter scrollen. Da suchen viele nach Entspannung und Ausgleich.