Neue Westfälische - Gütersloher Zeitung
Ha, Ha, Hasenzeit
Niedlich sind sie ja, die putzigen Langohren. Daran ändert auch nicht, dass sie offenbar ernstzunehmende Schäden in Wald und Flur anrichten. Und auch nicht, dass sie in der Osterzeit praktisch allgegenwärtig sind. Hasen, wohin das Auge blickt und das Ohr lauscht. Und dabei lassen wir mal all die Schoko-, Plüsch- und Plastehasen, die die Netzhaut seit Wochen bei jedem Supermarktbesuch belästigen, vornehm beiseite. Gestern aber in der Morgenkonferenz überrascht die Kollegin die Runde mit etwas Feingebäck. Na klar: in Hasenform. „Rudi“nennt der verantwortliche Bäcker seine Kreation. Was Günter bislang eher mit Rentieren
und Weihnachten in Zusammenhang brachte. Mehr Feingefühl bei der Namenswahl beweist da die Kinderrockband Randale, deren saisontypischen Hit der Redaktions-benjamin flugs auf dem Handtelefon abspielt: „Wer ist der härteste Hase im Wald?“, wird Günter da gefragt, darf die Antwort aber den Musikern selbst überlassen: „Der Hardrockhase Harald!“Härtester Hase? Da kennt der Harald aber Günters Gattin schlecht, respektive deren Osterdeko aus: Betonhasen! Die Wirklichkeit kann hart sein, geht aber irgendwann auch vorbei. Dann hat bestimmt was Besseres Saison. Oder Spargel. Frohe Ostern wünscht Ihr Günter
Gütersloh. Plötzlich löst sich Niko aus der familiären Viererkette und lässt mit schnellen, kleinen Schritten seine Eltern und Schwester auf einem beschaulichen Feldweg bei Versmold immer weiter hinter sich. Unbändig schwingt der Siebenjährige seine Arme durch das Licht der späten Märzsonne und lacht dabei herzerwärmend. Warum Niko das tut? Wahrscheinlich, weil ihm einfach danach ist – ungebremst über einen Feldweg zu laufen. Das ist Niko. So sind Menschen mit Down-syndrom häufig: spontan, aufgeschlossen, offenherzig und direkt in der Art, ihre Gefühle und ihr Denken in sofortiges Tun umzusetzen. Hier ist er nicht zu halten, doch seine sprachliche Entwicklung brach vor zwei Jahren abrupt ab.
Niko wurde im ukrainischen Lviv geboren und lebte dort bis zur Flucht der Familie Ende Juni 2022. „Er hatte sich sehr gut entwickelt, aber als der Krieg zu uns kam, gab es plötzlich keinen Fortschritt mehr“, erzählt Nikos Vater, Sviatoslav Sultan. Sein Sohn habe einfach aufgehört, mehr als die gelernten zwölf Worte zu gebrauchen. Der 40-Jährige spricht in bemerkenswert korrekten Sätzen Deutsch; dafür, dass er erst vor 15 Monaten begonnen hat, die zuvor fremde Sprache zu erlernen. Wenn er einmal stockt in seinen Berichten und Unterstützung benötigt, nutzt er den neuen Begriff gerne gleich mehrere Male, um ihn in seinem deutschen Wortschatz zu verankern.
So erzählt er, oft begleitet von einem Kopfschütteln der Fassungslosigkeit, wie der unerwartete Krieg seine Lebenspläne und die seiner Frau Hanna vor zwei Jahren zerbombt hat. Sviatoslav Sultan hatte als Anwalt für Familienrecht gearbeitet. Hanna war 20 Jahre lang Krankenschwester in einer chirurgischen Abteilung gewesen. Zwei Kinder: Lida und ihr ein Jahr jüngerer Bruder Niko. Dann kam der Krieg in die Ukraine, nach Lviv, in den Alltag der Familie Sultan.
Man habe anfangs nicht gedacht, die Ukraine verlassen zu müssen. Und eines war für die bekennenden Baptisten von Beginn an unumstößlich klar: „Wir müssen helfen.“Denn: „Nur wenn du Menschen hilfst, kommt das Glück zu dir.“Die eigene Wohnung habe man zu einem Wohnheim umgewandelt
Niko (7) prescht gerne voraus.
– „für die Flüchtenden aus dem Osten der Ukraine“. Mehr als 30 Menschen hätten so eine kleine Zuflucht gefunden.
Doch wenn auch spirituelle Glücksmomente nicht ausblieben, so waren es konkret Raketen und Drohnen, die immer häufiger nach Lviv kamen. Meistens in der Nacht. „Als die Raketensirene ertönte, gingen wir in den Keller. Dort hatten wir immer eine Bibel bei uns, wir lasen darin und sangen sogar Psalmen. Es war beruhigend. Man weiß jedoch nie genau, was in den Kindern vor sich geht,“beschreibt Sviatoslav Sultan den Umgang mit der Bedrohung. Niko bleibt bei zwölf Worten stehen, und Lida spürt eines Tages bei jedem Sirenenalarm ihre Beine nicht mehr und muss in den Keller getragen werden.
Sviatoslav Sultan zückt ein Smartphone, das Display ist gerissen. Der 40-Jährige zeigt ein Foto von einer Nacht im Keller. Dann das Bild einer Bekannten und ihrer Tochter, die wie Niko mit dem Down-syndrom lebt. Dann ein kurzes Filmchen, wie die beiden zu einem Arzttermin schlendern, die Tochter schiebt ihren Kinderwagen selbst. Dann: „Können Sie schlimme Bilder ertragen“, fragt Sviatoslav Sultan vorsorglich und zeigt nach der Antwort einen abgerissenen Unterschenkel, auf einer Rasenfläche liegend. Auf dem nächsten Foto erkennt man die Bekannte wieder, in einem Krankenbett liegend, versorgt durch diverse Schläuche. Die Sequenz aus Bildern und Film ist ein grausames Potpourri der Kriegswirklichkeit Unschuldiger. Und das Mädchen? „Tot. Es war ein Raketeneinschlag.“
Als im Mai elf Angestellte einer benachbarten Autowerkstatt durch eine Rakete getötet werden, beschließt das Ehepaar, die Ukraine zu verlassen. Zu konkret wird der Tod: „Es war eine unglaublich schwere Entscheidung, aber
Aus der Ukraine geflohen: Die Eltern Sviatoslav und Hanna Sultan mit ihren Kindern Lida und Niko. wir mussten es tun – für unsere Kinder.“Über einen Internet-kontakt gelangt die Familie zunächst für drei Monate in eine Versmolder Wohngemeinschaft für Geflüchtete. Danach finden sie eine Wohnung außerhalb der Stadt.
Wenn Hanna und Sviatoslav Sultan über die ersten Monate in Deutschland reden, werden beide nicht müde, das Wort Dankbarkeit zu gebrauchen. Immer wieder. „Uns wurde so unglaubliche Hilfe zuteil. Eines ist sicher: Davon wollen wir etwas zurückgeben“, betont das Paar, das nicht weiß, ob und wann es in die Ukraine zurückkehren kann. Doch bis zu dieser Erkenntnis gibt es wieder Zeit und Raum für Pläne, die vorwärts weisen, statt abwärts in einen dunklen Kriegskeller.
Sviatoslav Sultan beginnt Anfang September eine dreijährige Ausbildung zum Pflegefachmann in der Diakonie in Gütersloh. Hanna Sultan hat, seitdem Niko die Gütersloher Michaelis-schule für junge Menschen mit geistigen Behinderungen besucht, den ersten Deutschunterricht erfolgreich besucht und sich als Krankenschwester in Gütersloh beworben, und Lida geht in Versmold zur Grundschule.
Noch. Die Familie suche eine Wohnung in Gütersloh, weil der tägliche Weg, insbesondere für Niko, derzeit einfach zu lang sei, erklärt Cathrin Reich aus der Gemeindeleitung der Christuskirche am Gütersloher Westfalenweg. Sie unterstützt die Sultans, gesteht jedoch: „Die Wohnsituation ist schwierig, und wir bräuchten Hinweise auf freie Wohnungen.“
Sviatoslav Sultan ist zuversichtlich: „Wir haben so viel Gutes hier erlebt.“Und seit Niko die Michaels-schule besuche, habe er zwar noch keine weiteren Worte benutzt, aber er werde immer stabiler. Hanna Sultan lächelt, als ihr Mann zu schwärmen beginnt: „Er hat eine tolle Lehrerin.“Und Niko verstehe sie, wenn sie fragt: Alles gut? „Tak“, habe der Siebenjährige geantwortet. Tak heißt Ja und ist ein Wort von einem Dutzend in seinem Repertoire – aber in jenem Moment sicherlich das allerbeste.
Die Familie Sultan wird von Menschen aus der Christuskirche am Westfalenweg in Gütersloh beim Umzug nach Gütersloh unterstützt. Wer der Familie eine Wohnung anbieten möchte, kann eine E-mail an folgende Adresse schicken: reich@efg-gt.de