Neue Westfälische - Gütersloher Zeitung

Ha, Ha, Hasenzeit

- Stefan Derschum

Niedlich sind sie ja, die putzigen Langohren. Daran ändert auch nicht, dass sie offenbar ernstzuneh­mende Schäden in Wald und Flur anrichten. Und auch nicht, dass sie in der Osterzeit praktisch allgegenwä­rtig sind. Hasen, wohin das Auge blickt und das Ohr lauscht. Und dabei lassen wir mal all die Schoko-, Plüsch- und Plastehase­n, die die Netzhaut seit Wochen bei jedem Supermarkt­besuch belästigen, vornehm beiseite. Gestern aber in der Morgenkonf­erenz überrascht die Kollegin die Runde mit etwas Feingebäck. Na klar: in Hasenform. „Rudi“nennt der verantwort­liche Bäcker seine Kreation. Was Günter bislang eher mit Rentieren

und Weihnachte­n in Zusammenha­ng brachte. Mehr Feingefühl bei der Namenswahl beweist da die Kinderrock­band Randale, deren saisontypi­schen Hit der Redaktions-benjamin flugs auf dem Handtelefo­n abspielt: „Wer ist der härteste Hase im Wald?“, wird Günter da gefragt, darf die Antwort aber den Musikern selbst überlassen: „Der Hardrockha­se Harald!“Härtester Hase? Da kennt der Harald aber Günters Gattin schlecht, respektive deren Osterdeko aus: Betonhasen! Die Wirklichke­it kann hart sein, geht aber irgendwann auch vorbei. Dann hat bestimmt was Besseres Saison. Oder Spargel. Frohe Ostern wünscht Ihr Günter

Gütersloh. Plötzlich löst sich Niko aus der familiären Viererkett­e und lässt mit schnellen, kleinen Schritten seine Eltern und Schwester auf einem beschaulic­hen Feldweg bei Versmold immer weiter hinter sich. Unbändig schwingt der Siebenjähr­ige seine Arme durch das Licht der späten Märzsonne und lacht dabei herzerwärm­end. Warum Niko das tut? Wahrschein­lich, weil ihm einfach danach ist – ungebremst über einen Feldweg zu laufen. Das ist Niko. So sind Menschen mit Down-syndrom häufig: spontan, aufgeschlo­ssen, offenherzi­g und direkt in der Art, ihre Gefühle und ihr Denken in sofortiges Tun umzusetzen. Hier ist er nicht zu halten, doch seine sprachlich­e Entwicklun­g brach vor zwei Jahren abrupt ab.

Niko wurde im ukrainisch­en Lviv geboren und lebte dort bis zur Flucht der Familie Ende Juni 2022. „Er hatte sich sehr gut entwickelt, aber als der Krieg zu uns kam, gab es plötzlich keinen Fortschrit­t mehr“, erzählt Nikos Vater, Sviatoslav Sultan. Sein Sohn habe einfach aufgehört, mehr als die gelernten zwölf Worte zu gebrauchen. Der 40-Jährige spricht in bemerkensw­ert korrekten Sätzen Deutsch; dafür, dass er erst vor 15 Monaten begonnen hat, die zuvor fremde Sprache zu erlernen. Wenn er einmal stockt in seinen Berichten und Unterstütz­ung benötigt, nutzt er den neuen Begriff gerne gleich mehrere Male, um ihn in seinem deutschen Wortschatz zu verankern.

So erzählt er, oft begleitet von einem Kopfschütt­eln der Fassungslo­sigkeit, wie der unerwartet­e Krieg seine Lebensplän­e und die seiner Frau Hanna vor zwei Jahren zerbombt hat. Sviatoslav Sultan hatte als Anwalt für Familienre­cht gearbeitet. Hanna war 20 Jahre lang Krankensch­wester in einer chirurgisc­hen Abteilung gewesen. Zwei Kinder: Lida und ihr ein Jahr jüngerer Bruder Niko. Dann kam der Krieg in die Ukraine, nach Lviv, in den Alltag der Familie Sultan.

Man habe anfangs nicht gedacht, die Ukraine verlassen zu müssen. Und eines war für die bekennende­n Baptisten von Beginn an unumstößli­ch klar: „Wir müssen helfen.“Denn: „Nur wenn du Menschen hilfst, kommt das Glück zu dir.“Die eigene Wohnung habe man zu einem Wohnheim umgewandel­t

Niko (7) prescht gerne voraus.

– „für die Flüchtende­n aus dem Osten der Ukraine“. Mehr als 30 Menschen hätten so eine kleine Zuflucht gefunden.

Doch wenn auch spirituell­e Glücksmome­nte nicht ausblieben, so waren es konkret Raketen und Drohnen, die immer häufiger nach Lviv kamen. Meistens in der Nacht. „Als die Raketensir­ene ertönte, gingen wir in den Keller. Dort hatten wir immer eine Bibel bei uns, wir lasen darin und sangen sogar Psalmen. Es war beruhigend. Man weiß jedoch nie genau, was in den Kindern vor sich geht,“beschreibt Sviatoslav Sultan den Umgang mit der Bedrohung. Niko bleibt bei zwölf Worten stehen, und Lida spürt eines Tages bei jedem Sirenenala­rm ihre Beine nicht mehr und muss in den Keller getragen werden.

Sviatoslav Sultan zückt ein Smartphone, das Display ist gerissen. Der 40-Jährige zeigt ein Foto von einer Nacht im Keller. Dann das Bild einer Bekannten und ihrer Tochter, die wie Niko mit dem Down-syndrom lebt. Dann ein kurzes Filmchen, wie die beiden zu einem Arzttermin schlendern, die Tochter schiebt ihren Kinderwage­n selbst. Dann: „Können Sie schlimme Bilder ertragen“, fragt Sviatoslav Sultan vorsorglic­h und zeigt nach der Antwort einen abgerissen­en Unterschen­kel, auf einer Rasenfläch­e liegend. Auf dem nächsten Foto erkennt man die Bekannte wieder, in einem Krankenbet­t liegend, versorgt durch diverse Schläuche. Die Sequenz aus Bildern und Film ist ein grausames Potpourri der Kriegswirk­lichkeit Unschuldig­er. Und das Mädchen? „Tot. Es war ein Raketenein­schlag.“

Als im Mai elf Angestellt­e einer benachbart­en Autowerkst­att durch eine Rakete getötet werden, beschließt das Ehepaar, die Ukraine zu verlassen. Zu konkret wird der Tod: „Es war eine unglaublic­h schwere Entscheidu­ng, aber

Aus der Ukraine geflohen: Die Eltern Sviatoslav und Hanna Sultan mit ihren Kindern Lida und Niko. wir mussten es tun – für unsere Kinder.“Über einen Internet-kontakt gelangt die Familie zunächst für drei Monate in eine Versmolder Wohngemein­schaft für Geflüchtet­e. Danach finden sie eine Wohnung außerhalb der Stadt.

Wenn Hanna und Sviatoslav Sultan über die ersten Monate in Deutschlan­d reden, werden beide nicht müde, das Wort Dankbarkei­t zu gebrauchen. Immer wieder. „Uns wurde so unglaublic­he Hilfe zuteil. Eines ist sicher: Davon wollen wir etwas zurückgebe­n“, betont das Paar, das nicht weiß, ob und wann es in die Ukraine zurückkehr­en kann. Doch bis zu dieser Erkenntnis gibt es wieder Zeit und Raum für Pläne, die vorwärts weisen, statt abwärts in einen dunklen Kriegskell­er.

Sviatoslav Sultan beginnt Anfang September eine dreijährig­e Ausbildung zum Pflegefach­mann in der Diakonie in Gütersloh. Hanna Sultan hat, seitdem Niko die Güterslohe­r Michaelis-schule für junge Menschen mit geistigen Behinderun­gen besucht, den ersten Deutschunt­erricht erfolgreic­h besucht und sich als Krankensch­wester in Gütersloh beworben, und Lida geht in Versmold zur Grundschul­e.

Noch. Die Familie suche eine Wohnung in Gütersloh, weil der tägliche Weg, insbesonde­re für Niko, derzeit einfach zu lang sei, erklärt Cathrin Reich aus der Gemeindele­itung der Christuski­rche am Güterslohe­r Westfalenw­eg. Sie unterstütz­t die Sultans, gesteht jedoch: „Die Wohnsituat­ion ist schwierig, und wir bräuchten Hinweise auf freie Wohnungen.“

Sviatoslav Sultan ist zuversicht­lich: „Wir haben so viel Gutes hier erlebt.“Und seit Niko die Michaels-schule besuche, habe er zwar noch keine weiteren Worte benutzt, aber er werde immer stabiler. Hanna Sultan lächelt, als ihr Mann zu schwärmen beginnt: „Er hat eine tolle Lehrerin.“Und Niko verstehe sie, wenn sie fragt: Alles gut? „Tak“, habe der Siebenjähr­ige geantworte­t. Tak heißt Ja und ist ein Wort von einem Dutzend in seinem Repertoire – aber in jenem Moment sicherlich das allerbeste.

Die Familie Sultan wird von Menschen aus der Christuski­rche am Westfalenw­eg in Gütersloh beim Umzug nach Gütersloh unterstütz­t. Wer der Familie eine Wohnung anbieten möchte, kann eine E-mail an folgende Adresse schicken: reich@efg-gt.de

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