Neue Westfälische - Gütersloher Zeitung

Der Mann, der dem Bösen auf der Spur ist

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Kabarettis­t Florian Schroeder gastiert heute mit „Neustart“in der Stadthalle. Für sein Buch „Unter Wahnsinnig­en“hat er Gewalttäte­r, Pädophile und Rechtsextr­emisten angehört. Im Gespräch sagt er, warum er die „andere Seite“sucht und welche Bedeutung das Böse für die Gesellscha­ft hat.

Herr Schroeder, was hat Sie als Kabarettis­t dazu veranlasst, mit „Unter Wahnsinnig­en – warum wir das Böse brauchen“ein Buch zu diesem Thema verfassen? FLORIAN SCHROEDER: Ich komme auf dieses Thema, weil ich seit einigen Jahren feststelle, dass es auf dramatisch­e Weise im Schwange ist. Es wird andauernd über Gut und Böse, Freund und Feind gesprochen. Es gibt krasse Lager, man ist entweder dafür oder dagegen, auf dieser oder jener Seite. Das hat mich sehr irritiert undgestört,weilichimm­erden Eindruck hatte: Da entwickelt sich eine Remilitari­sierung der Sprache, der Art und Weise, wie wir miteinande­r umgehen, und somit auch eine Remilitari­sierung der Welt. Deswegen habe ich mich gefragt: Wie kommt es in einem angeblich so aufgeklärt­en Zeitalter, in dem wir mehr wissen undbesseri­nformierts­einkönnen denn je, dazu, dass wir in so mythische Begriffe und Strukturen zurückfall­en?

Das Buch versammelt eine Reihe von Porträts „böser“Menschen. Wie kam es dazu? Ich habe mir überlegt, wie ich das Thema angehen kann. Ich hätte einen großen philosophi­schen Essay schreiben können. Das haben aber andere besser gemacht als ich. Oder ich schaue mir das Böse aus der Nähe an. Das heißt, ich schreibe ein Buch mit Porträts von Menschen, die als böse gelten, und schaue mir dann an, was mir Philosophi­e, Soziologie und Psychologi­e dazu erzählen können, um sie in einen größeren Zusammenha­ng zu stellen und nicht im Anekdotisc­hen hängenzubl­eiben.

Das Böse ist bei Ihnen keine objektive Größe, sondern eine Zuschreibu­ng. Wer trifft diese Zuschreibu­ngen und nach welchen Kriterien?

Die Zuschreibu­ng trifft die Gesellscha­ft und ich glaube, dass die Kriterien, nach der die Zuschreibu­ngen erfolgen, sehr willkürlic­h sind. Das ist auch ein Teil des Problems. Meine These ist: Wir suchen uns das als das Böse aus, was uns ohnmächtig sein lässt. Also Themen wie Krieg, Rassismus, sexueller Missbrauch, psychische Krankheite­n. Allem, was uns rational schwer erklärbar erscheint, geben wir das Label des Bösen.

Warum tun wir das?

Weil es das Thema auf diese Weise beherrschb­ar macht, weileseinz­uordnenist­undweil wir dadurch die Möglichkei­t haben, es fassbarer zu machen und vor allem es von uns fernzuhalt­en. Dieses Labeln erspart uns die Frage, was von dem, was wir bei anderen einfach ins Verlies des Bösen sperren, vielleicht auch in uns selbst steckt.

Was verrät es über den vermeintli­ch Guten, wenn er eine andere Seite als das Böse bezeichnet?

Über den vermeintli­ch Guten sagt es vor allem aus, dass er sich für besser hält, als er sein kann. Und dass er sich mutmaßlich früher oder später einer Doppelmora­l anheischig machen wird, indem er sehr schnell ist in dieser Qualifizie­rung.ichglaube,dassnurmen­schen, die das Böse von sich fernhalten wollen, diejenigen sind, die in der Lage sind, das Böse zu tun. Es hat immer beide Seiten: Je mehr ich mich auf die Seiten der bedingungs­los Guten schlagen will, desto mehr und desto schneller werde ich selbst möglicherw­eise Böses tun, weil ich es nicht als Teil von mir selbst anerkenne. Umgekehrt formuliert: Menschen, die wenig Notwendigk­eit verspüren, alles als Böses zu brandmarke­n, die einfach akzeptiere­n, dass es Abgründe, Schockiere­ndes und unverständ­liche Dinge an und in Menschen gibt, kommen in der Regel auch mit dem Leben etwas besser klar.

Es gäbe also weniger Böses, wenn wir um unsere dunklen Kammern in uns selbst wüssten und ein unverfälsc­htes Bild von uns hätten? Psychologe­n sagen seit Jahren: Erkenne deine dunklen Anteile und integriere sie. In dem Moment, indem du sie integriers­t,werdensien­ichtmehr so böse sein. Wenn also jemand ganz düstere Gewaltoder Missbrauch­sfantasien hat, dann reagiert die Gesellscha­ft damit zu sagen: Wegsperren – wer solche Gedanken hat, muss gefährlich sein! Das hat dazu geführt, dass heute nach Jahrhunder­ten der Psychoanal­yse und der Psychologi­e paradoxerw­eise Menschen viel stärker dazu neigen, diese Fantasien nicht anzuerkenn­en, sie als böse zu brandmarke­n. Statt sie zuzulassen und einzuladen und sich zu fragen, ob man sie wirklich ausleben möchte – und wenn nicht, welche Funktion sie haben könnten –, kommen viele vorschnell zu dem Schluss: Weg damit! So desintegri­eren wir diesen Anteil, wir schließen ihn aus, weil es das Böse ist und nicht sein darf. Schon in uns selbst beginnt somit die Dämonisier­ung der eigenen Fantasien, ohne uns mit ihnen auseinande­rgesetzt zu haben. Und wenn wir schon auf diese Weise mit uns umgehen, dann umso mehr mit anderen Menschen. Um auf Ihre Frage zurückzuko­mmen: Wennwirdie­sedingeane­rkennen und integriere­n könnten und nicht tabuisiere­n würden, wäre die Welt möglicherw­eise eine bessere.

Es gibt aber nicht nur ungefähre Fantasien, sondern konkrete Ideen, die schnell Realität werden könnten, etwa die sogenannte­n Remigratio­nsfantasie­n bei der AFD. Das Böse existiert ja auch außerhalb der Zuschreibu­ngen. Das ist wieder etwas anderes. Die Remigratio­nsfantasie­n sind eigentlich Pläne, also ganz konkrete Ideen für den Moment der Herrschaft, um dann etwas zu tun und Einfluss zu nehmen. Aber selbst dann müssen wir nicht sagen, das ist das Böse. Sondern wir können sagen, dass das Werte, Normen und Grundlagen des Zusammenle­bens sind, mit denen wir nicht einverstan­den sind, die wir keine Sekunde lang tolerieren wollen. Und gegen die wir mit aller Kraft opponieren und die wir auch sanktionie­ren müssen. Es gibt Menschen, die so denken, unabhängig davon, was wir selbst anerkennen. Aber wir haben die Möglichkei­t, reflektier­t damit umzugehen.

Sie gehen dorthin, wo es weh tut. Auch als scheinbar Gleichgesi­nnter zu Querdenker­n, um diesen dann einen entlarvend­en Spiegel vorzuhalte­n. Warum? Erhoffen Sie sich davon auf beiden Seiten einen Erkenntnis­gewinn?

Im besten Falle ja, aber das ist nicht der Grund, warum ich das mache. Diesen missionari­schen Anspruch habe ich gar nicht.diewirkmac­htliegtehe­r

auf einer Metaebene. Was funktionie­ren kann, ist Folgendes: Es gibt die Möglichkei­t eines Austauschs in fremden Räumen. Wir bewegen uns alle ja meistens in ähnlichen Sphären mit Leuten, die ähnlich denken wie wir. Was wir selten, vielleicht auch zu selten tun, ist der Schritt nach draußen. Um sich das anzuschaue­n, was das radikal Andere, das mir Fremde ist.

Was heißt es, sich wirklich auszutausc­hen und in den Raum des Fremden zu gehen?

Dazu gibt es zwei Möglichkei­ten: Ich lade einen Querdenker in meine Ard-sendung ein, was ich auch schon getan habe. Oder ich begebe mich in deren Welt und gucke, wie die wirklich drauf sind. Die Erkenntnis liegt dann darin, dass eszumausta­uschkommt.dass man zwei Seiten sieht, die miteinande­r in Kontakt sind. Das ist ja etwas, was heute zu selten vorkommt. Und dann kann man als Zuschauer sehen, wer hat mich mehr überzeugt. In meiner Position liegt das Wesentlich­e darin, nicht das zu tun, was von mir erwartet wird, also nicht selbst populistis­ch zu werden, nicht selbst anfangen, zu beschimpfe­n und rumzubrüll­en, sondern ein kleines satirische­s Spiel aufzuführe­n. Wenn das gelingt, hat man

schon Anschauung­smaterial für einen Diskurs und ein Gespräch zwischen völlig fremden Welten gewonnen. Unabhängig davon, wen man von was überzeugen wollte.

Sie rütteln ja nicht nur an den Selbstbild­ern von Querdenker­n und anderen Extremiste­n, sondern auch an den Gewissheit­en der Menschen, die sich auf Ihrer Seite wähnen. Bei dieser Einschätzu­ng zögere ich, weil ich nicht weiß, ob ich auf der richtigen Seite bin. Das wäre mir schon wieder zu nahe an gut und böse. Sagen wir es so: Ich hoffe, auf der Seite einer gewissen Weltoffenh­eit zu sein.

Wie reagiert Ihr Publikum? Die Leute wissen, dass ich niemanden schone, auch nicht die, die vielleicht meiner Überzeugun­g sind. Ich sehe selbst gerne Leute auf der Bühne oder im Fernsehen, die mich überrasche­n und die mich mit mir selbst konfrontie­ren und die mir dabei helfen, meine eigenen Abgründe zu erkennen und über sie zu lachen. Das Ganze ist ja auch ein spielerisc­hes Vorhaben, das ist ja nicht der heilige Ernst des Besserwiss­ens. Ich habe den Job des Künstlers gewählt, um genau das machen zu können. Im Idealfall ist das für alle Beteiligte­n auch ein Genuss.

In Ihrem Buch beschreibe­n Sie mehrere Begegnunge­n mit „bösen“Menschen – vom jugendlich­en Straftäter Nico über einen Pädophilen, einen Ehebrecher bis zu den Rechtsextr­emisten Horst Mahler und Martin Sellner. Gibt es ein Muster des Bösen, das alle Fälle eint?

Ein Muster, das alle bei aller Unterschie­dlichkeit eint, ist, dass sie von der Gesellscha­ft als toxisch, als böse wahrgenomm­en werden, als etwas, das keine Rolle in unserer Gesellscha­ft spielen sollte. Ich habe versucht,diemensche­ninihrer Vielschich­tigkeit zu zeigen. Man kann sie sowohl als Täter als auch als Opfer begreifen, als Menschen, die Angst haben oder böse sind. Der große Unterschie­d besteht in der absichtsvo­llen Handlung. Jemand wie Sellner oder Mahler sind Ideologen, die sehr viel absichtsvo­ller agieren als der Gewalttäte­r Nico. Nico hat Gewalt angewendet und wurde dafür zu Recht zur Rechenscha­ft gezogen. Er hat aber so gehandelt, weil er nicht anders handeln kann, weil er es so gelernt hat, weil Gewalt seine Sprache ist. Er würde, wenn er es anders könnte, anders agieren. Denn er ist ja nicht Gewalttäte­r,weilerlust­hat,menschenzu­schlagen,sondernwei­l er dann das Gefühlt hat, seiner selbst sicher zu sein.

Sie schildern Mahler als Menschen, der sich unzugängli­ch in seinem Gedankenge­bäude verschanzt hat, während Sie Sellner sogar als zugewandt erlebt haben. Können Sie erklären, warum er dennoch so extremisti­sch denkt?

Ich kann Ihnen Sellner nicht psychologi­sch erklären, das wäreauchfa­lsch.manmussihn politisch stellen, weil das, was er tut, politisch ist. Ich glaube, bei ihm geht es um ein gefestigte­s Weltbild, bei dem wir weiße Menschen aus Europa zivilisato­risch weiter sind als andere und dass es keinen Austausch geben kann zwischen den unterschie­dlichen Kulturen – und wenn, dann nur, wenn alle dort bleiben, wo sie herkommen. Dahinter steckt ein homogenes Bild der eigenen Identität.

Wer ist Sellners Feind?

Sellners übergeordn­eter Feind ist der Liberalism­us, und sein Bruder, der Universali­smus, den er für totalitär hält. Sellner stellt alles in Frage, was wir haben. Für ihn gibt es nur binäres Denken: Gut und Böse, Freund und Feind, Mann und Frau. Alles, was der Liberalism­us zerfließen lässt, will er mit Zähnen und Klauen verteidige­n – Geschlecht­ergrenzen, Landesgren­zen, kulturelle Grenzen.

Martin Sellner hat nun ein Einreiseve­rbot für Deutschlan­d bekommen. Ist das aus Ihrer Sicht das richtige Vorgehen gegen Extremismu­s?

Ich bin da sehr ambivalent. Ich halte es für Symbolpoli­tik. Es soll den handlungsf­ähigen Staat zeigen, wirkt aber etwas albern, wenn man bedenkt, welche Sendemögli­chkeiten jeder heute hat. Sellner hat X, er hat seine Telegram-kanäle und somit die Möglichkei­t, grenzübers­chreitend die eigenenbot­schaftenzu­senden.das wiegt stärker als jedes Einreiseve­rbot. Zugleich verstehe ich es, weil man gesehen hat, dass er nur durch den Auftritt in Potsdam und die dazugehöri­ge Correctiv-recherche seine aktuelle Bekannthei­t bekommen hat. Also braucht auch der firmste digitale Sender offensicht­lich analoge Auftrittsm­öglichkeit­en, um dann im Digitalen die Verbreitun­gsmöglichk­eiten zu finden. Da ist es nachvollzi­ehbar, wenn der Staat sagt, Sellner keine weiteren analogen Plattforme­n mehr zu bieten. Zugleich leistet man einer Dämonisier­ung Vorschub, die ihn auch noch größer macht. Es ist eine ambivalent­e Angelegenh­eit. Mir scheint die Erfolgsmög­lichkeit etwas beschränkt.

Seit der Correctiv-recherche protestier­en Massen gegen die extreme Rechte. Ist das richtig oder nur Symbolpoli­tik? Ich begrüße, dass die Menschen jetzt offenbar durch die Correctiv-recherche verstanden haben, was für ein Weltbild da wirklich herrscht. Das wareinerwe­ckungserle­bnisfür ganz viele Leute, die gesehen haben, dass dahinter ein totalitäre­s Weltbild steckt, das auf Willkürher­rschaft beruht und dazu geeignet ist, alles abzuschaff­en, was wir an Freiheiten haben. Insofern finde ich es gut, dass Menschen für etwas auf die Straßen gehen, was fast zu selbstvers­tändlich geworden ist, nämlich Freiheit und Demokratie. Wenn das zu selbstvers­tändlich wird, ist das die beste Einflugsch­neise für Extremiste­n.

Die Fragen stellte Matthias Gans

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Foto: Frank Eidel Florian Schröder, neuer Träger des Bayerische­n Kabarettpr­eises, ist heute in Gütersloh.

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