Neue Westfälische - Gütersloher Zeitung
Viertklässler hängen in der Luft
Gütersloh hat ein neues Problem: Zum ersten Mal gibt es mehr Schüler als passende Schulplätze. Wer aufs Gymnasium wollte, muss nun damit rechnen, sein Abitur an der Anne-frank-schule machen zu müssen. Die betroffenen Eltern fühlen sich mächtig verschaukel
Gütersloh.
Es ist eine Frage, die jeder Grundschüler in der vierten Klasse gestellt bekommt. „Und – auf welche Schule gehst du nach den Sommerferien?“Die Tochter von Sabrina Knopp kann auf diese Frage nur mit den Schultern zucken. „Wir haben sie auf dem Evangelisch Stiftischen Gymnasium angemeldet. Von dort haben wir aber eine Absage bekommen – gemeinsam mit 19 weiteren Familien“, erzählt die Mutter.daraufhinhabesieihre Tochter, die auf dem Zeugnis nur Einsen und Zweien stehen hat und von der Heidewald-grundschule eine eindeutige Gymnasial-empfehlung bekommen hat, am Städtischen Gymnasium angemeldet. „Doch auch dort wurde uns wenig Hoffnung gemacht. Neun Plätze habe man noch in der zweiten Anmelderunde zu vergeben, hieß es, zu wenig, um die 20 am ESG abgelehnten Kinder aufzunehmen. Und dann sind da ja noch die 98 Kinder, die von der Gesamtschule an der Ahornallee und der Janusz-korczak-gesamtschule eine Absage erhalten haben. Schüler mit Bestnoten durchs Losverfahren abgelehnt
„Seit Februar wissen wir nicht, auf welche weiterführende Schule unsere Kinder gehen werden“, sagt eine verzweifelte Mutter aus Isselhorst, die anonym bleiben möchte. Auch ihr Sohn hat eine uneingeschränkte Gymnasialempfehlung, auch sie hat vom ESG eine Ablehnung bekommen und hofft nun darauf, im Losverfahren einen der verbliebenen Plätze am Städtischen Gymnasium zu bekommen. Vorsorglich hat sie Widerspruch gegen die Ablehnung eingereicht, hat Gespräche geführt mit Schulleitungen, mit der Stadt Gütersloh und am Ende auch mit der Bezirksregierung. „Dass Eltern und Kinder keinen Anspruch auf ihre Wunschschule haben, kann ich verstehen. Dass nun aber auch der Anspruch auf die Wunsch-schulform verlorengeht, kann ich nicht widerspruchslos hinnehmen.“Das gesamte Verfahren sorgt derweil für reichlich Chaos und Unruhe in der Elternschaft.
„Es ist so, dass wir genügend Plätze für alle Schülerinnen und Schüler in der Stadt haben“, sagt Tim Neubauer, Leiter des Fachbereichs Schule bei der Stadt. „Nur eben nicht an der Wunschschule“, schiebt er hinterher. Jeder könne den gewünschten Schulabschluss erreichen, denn an der Annefrank-gesamtschule seien
noch Plätze frei, dort könne man auch Abitur machen. Doch das ist für die wenigsten Eltern, die ihr Kind am Gymnasium angemeldet haben, eine Alternative. „Schließlich haben wir uns ja bewusst fürs Gymnasium entschieden und nicht für die Gesamtschule“, so Sabrina Knopp, die selbst Schülerin der JKG war. „Sein Freund wurde angenommen. Da flossen die Tränen.“
„Ich hätte nicht gedacht, dass die Stadt uns so bevormundet. Wo bleibt denn da der Elternwille?“, fragt die Isselhorster Mutter. Sie ist mit ihrem Frust nicht allein. Auch der Sohn von Nina Fernandez, der auf der Gesamtschule an der Ahornallee angemeldet wurde, erhielt eine Absage. 108 Plätze gibt es dort, 177 Anmeldungen lagen vor. „Sein bester Freund hat dort eine Zusage bekommen. Da gab es natürlich erstmal Tränen zuhause.“Sie hat ihren Sohn jetzt an der Geschwister-scholl-realschule angemeldet – ob er dort angenommen wird, ist noch nicht klar. Auf 21 verfügbare Plätze gibt es hier nach der zweiten Anmelderunde 38 Anmeldungen.
Nach der ersten Anmelderunde hat die Stadt mit der Schulleitung der Elly-heussknapp-realschule vereinbart, eine zusätzliche Klasse einzurichten. Die Ablehnungen
konnten somit von dreißig auf drei verringert werden.
Fürninafernandezwäredie Geschwister-scholl-realschule (GSS) als einzige Ganztagsrealschule in Gütersloh keine Notlösung, sondern eine echte Alternative. Nur beträgt der Schulweg dann knapp zehn Kilometer statt vier. Zur Ahornallee könnte ihr Sohn mit dem Fahrrad fahren, zur GSS hat die Familie mit Wohnsitz in Gütersloh-hollen keine Chance auf einen adäquaten Schulbus. „Die Stadt möchte gerne Elterntaxis reduzieren, aber hier werden sie geschaffen.“Familie Fernandez wartet nun bang auf die Post von der Stadt. Die Anne-frank-gesamtschule wäre für sie keine Alternative. „Die dort eingerichteten Lernbüros setzen ein hohes Maß an Eigenorganisation voraus. Mein Sohn würde dort untergehen“, befürchtet die
Mutter.
Seit Montagabend weiß Tim Neubauer nun sicher, dass es in diesem Jahr hinten und vorne nicht passt: An der Geschwister-scholl-realschule haben sich 17 Kinder mehr angemeldet, als Plätze da sind, 22 Kinder haben am Städtischen Gymnasium keinen Platz bekommen. „Und nun?“, fragen sich die verzweifelten Eltern, die in den vergangenen Tagen genau diese Frage auch Tim Neubauer gestellt haben. „Ich habe viele Gespräche geführt“, so der Fachbereichsleiter. „Ich verstehe, dass das für eine Familie schwer auszuhalten ist.“ nd „Die Schülerzahlen fallen doch nicht vom Himmel.“
Die betroffenen Eltern haben
versucht, sich bei der Stadt und der Bezirksregierung Gehör zu verschaffen. Besonders ärgert sie, dass die Verwaltung aus ihrer Sicht von Anfang an nicht mit offenen Karten gespielt hat. „Bei den Informationsabenden der Schulen hieß es: Kommt alle zu uns. Und nun werden wir aussortiert!“
„Die Schülerzahlen fallen doch auch nicht vom Himmel. Das weiß man doch seit vier Jahren, wie viele Kinder auf die weiterführende Schule gehen werden“, wundert sich einvater,dessentochterebenfalls am ESG keinen Platz bekommen hat. Die Schülerzahlen kenne man schon, sagt Neubauer, aber niemand könne voraussehen, wo die Eltern ihr Kinder anmelden.
Von einem Verlust des Elternwillens mag auch Verena Ahnepohl vom Vorstand der Stadtschulpflegschaft nicht sprechen. Schließlich gebe es auch Kinder mit eingeschränkter Gymnasialempfehlung auf den Anmeldelisten der beiden Gymnasien. „Wir haben schon vor Jahren davor gewarnt, dass Plätze fehlen werden. Es war nur nicht klar, wo.“Schuldlos am Anmelde-chaos sei laut Stadtschulpflegschaft auch, dass die drei Gesamtschulen aus dem vorgezogenen Anmeldeverfahren rausgenommen wurden. Alle Eltern hätten sich an einem gemeinsamen Stichtag entscheiden müssen und sich womöglich an den Ablehnungszahlen der vergangenen Jahre orientiert.
Die betroffenen Eltern fühlen sich hilflos. „Die Kinder fragen sich doch, was sie falsch gemacht haben. Da sollen sie zur Anmeldung mitkommen, sie stellen sich vor, werden befragt und hinterher heißt es, dass die Schule sie nicht haben will.“ Drei Szenarien werden derzeit bei der Stadt diskutiert:
Erstens: Allen Eltern, die nach der zweiten Losrunde keinen Platz am Städtischen Gymnasium oder an der Geschwister-scholl-realschule bekommen, wird ein Platz an der Anne-frank-gesamtschule angeboten. Hier meldeten sich in der zweiten Anmelderunde auf 94 noch verfügbare Plätze 46 Schülerinnen und Schüler an. „Hier besteht noch eine Platzkapazität von 48 Plätzen“, so Neubauer. „Aber die Stadt muss sich doch auch mal fragen, warum die Eltern nicht an die Anne-frank-gesamtschule wollen, so dass es dort noch freie Plätze gibt“, ärgert sich eine Mutter. Ein Grund, den niemand offen ausspricht, könnte der hohe Migrationsanteil an der Schule sein. Auf der anderen Seite aber hat die Schule sich gerade erst der Evaluation durch die Qualitätsanalyse des Landes NRW unterzogen und dort gute Noten bekommen.
Zweite Möglichkeit: Für die 22 zusätzlichen Anmeldungen am Städtischen Gymnasium wird eine Mehrklasse am Städtischen Gymnasium (SG) gebildet.
Dritte Möglichkeit: Sowohl am SG als auch an der Geschwister-scholl-realschule wird jeweils eine zusätzliche Klasse gebildet. „Das mit den Zusatzklassen können wir nicht allein entscheiden, das müssen wir mit der Bezirksregierung und den Nachbarkommunen abwägen“, sagt Neubauer. So eine Entscheidung würde weitere 10 bis 14 Tage dauern.
So oder so – eine Vielzahl von Eltern mit Viertklässlern hängt also nach wie vor in der Luft. „Ich hätte nie gedacht, dass es so schwer ist, mein Kind auf die weiterführende Schule zu bekommen“, sagt Nina Fernandez. Die Aufregung setze sich fort, denn auch Eltern von Drittklässlern würden die Diskussion verfolgen und seien in Sorge, ob sich der Kampf um die Schulplätze im nächsten Schuljahr fortsetzt.
Davon ist wohl auszugehen, blickt man auf die Zahlen: Zum aktuellen Schuljahr wurden insgesamt 5.675 Schüler an weiterführenden Schulen in Gütersloh angemeldet. Die Schülerzahlen steigen und erreichenimschuljahr2029/30 die vorläufig höchste Gesamtzahl von 6.313 Schülern – macht 638 mehr als heute.