Neue Westfälische - Gütersloher Zeitung
Goldene Lola für Nicole Kortlüke
Den höchstdotierten Kulturpreis Deutschlands bekommt die gebürtige Rheda-Wiedenbrückerin für ihren Schnitt des Dokumentarfilms „Sieben Winter in Teheran“. Sie erzählt, warum der sie noch heute bewegt.
Im Rampenlicht steht Nicole Kortlüke selten. Bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises tat sie es. Da richteten sich Kameras und Scheinwerfer auf die gebürtige RhedaWiedenbrückerin, als verkündet wurde, wer die Lola für den besten Schnitt bekommt.
Die Filmeditorin war total glücklich und überrascht, als sie ihren Namen hörte – „auch wenn bei drei Nominierten ja klar war, dass einer von uns den Preis bekommt“, lacht sie. Vor ihrem Auftritt auf der Bühne vor 1.500 Gästen der Gala, gab es herzliche Umarmungen von ihrem vertrauten Team und „sehr viel Adrenalin“. Mit der Dankesrede lief alles glatt, „auch wenn ich das vorher nicht gedacht hätte“, berichtet Kortlüke.
Geprobt habe sie ihre Ansprache vorab ein bisschen. „Mein Freund hat mich gezwungen“, erzählt die 48-Jährige. Auch die Deutsche Filmakademie, die den höchstdotierten Kulturpreis Deutschlands vergibt, rate den Nominierten zur Vorbereitung. „Aber in der Branche macht man das eigentlich nicht, weil das ein schlechtes Omen sein könnte“, sagt Kortlüke.
Im Schneideraum viel geweint
Ihre Freude über die Lola ist riesig. Es ist der erste große Filmpreis für die Freiberuflerin. Dass sie ihn für „Sieben Winter in Teheran“– ausgezeichnet in Berlin auch als bester Dokumentarfilm – bekommen hat, macht sie glücklich.
Erzählt wird von der Studentin Reyhaneh Jabbari. Die 19-Jährige wurde 2007 in Teheran wegen Mordes zum Tode verurteilt, was international für Empörung sorgte. Die junge Frau hatte sich verteidigt, als ein Mann, der ehemaliges Mitglied des iranischen Geheimdienstes sein soll, sie in einen Hinterhalt gelockt hatte und vergewaltigen wollte. Sie griff nach einem Messer und stach auf ihn ein. Der Mann erlag seinen Verletzungen. Reyhnah Jabbari wurde im Oktober 2014 hingerichtet. Die
Glücklich und stolz ist Nicole Kortlüke über die Statuette. Die Lola ist eine der wichtigsten Auszeichnungen der Filmbranche.
Dokumentation von Steffi Niederzoll rekonstruiert den Fall.
„Wir haben im Schneideraum viel geweint“, sagt Kortlüke. Es gab rund 200 Stunden aufwühlendes Material für den Film: Berichte von anderen Frauen, die mit Jabbari im Gefängnis waren, Tonaufnahmen, die dort heraus geschmuggelt wurden, Telefonmitschnitte der Mutter, Briefe, ein Interview mit dem Vater. „In allem muss man die Geschichte finden, immer zusam
men mit Regie und Produktion.“Die erste Rohfassung hatte acht Stunden, die ausgezeichnete Dokumentation ist 1 Stunde 37 Minuten lang.
„Im Schnitt wird die Dramaturgie eines Films geschrieben“, erklärt Kortlüke. Zwei Jahre und neun Monate hat sie mit einem „tollen Team“an der Dokumentation gearbeitet – mit Pausen. „Jeden Tag Todesstrafe, Ungerechtigkeit und Vergewaltigung – da muss man mal raus“, sagt die in Köln le
bende Filmeditorin. Zumal es auch Abstand brauche, um die Dokumentation klarer zu sehen, „besonders bei dieser, wegen ihrer Geschichte“. Darum hat sie zwischendurch gerne einen Krimi fürs Fernsehen geschnitten.
Die Bandbreite der Filmeditorin ist groß, reicht von TV-Filmen – zuletzt liefen „Geborgtes Weiß“und „Eher fliegen hier UFOs“– über Krimis und Serien bis zu Animations- und Kinderfilmen wie
„Grüße vom Mars“, der im Juli in die Kinos kommt.
Bei den Dreharbeiten ist Kortlüke nicht dabei. „Ich bin der neutrale Gucker.“Sie kenne bei Spielfilmen das Drehbuch, schaue das Rohmaterial, ohne aber von Stimmungen oder Bedingungen am Set beeinflusst zu sein. Es sei ihre Aufgabe, „schnell zu schneiden und zu erkennen, falls etwas unschlüssig ist oder Figuren nicht rüberkommen“. Das gibt die 48-Jährige als Feedback an die Regie und die Produktion, damit am Set, wo „es später mit bis zu 40 Leuten teuer wird,“direkt nachgearbeitet werden kann.
Mitentscheiden über die Dramaturgie
Privat schaut Kortlüke „Filme völlig unvoreingenommen, da gehe ich total mit und bekomme bei großer Spannung auch Angst, obwohl ich weiß, wie es funktioniert“. Emotionen sind ihr wichtig bei Filmen. Die genießt sie am liebsten im Kino.
Dass sie beruflich einmal in der Filmbranche landen würde, wusste sie nach dem Abitur am Einstein-Gymnasium nicht. Sie jobbte zunächst ein halbes Jahr in der Gaststätte „Zur Alten Mühle“ihrer Eltern. Dann arbeitete sie bei einer Firma, die im Kreis Gütersloh Industrie- und Werbefilme dreht. Dort entdeckte Kortlüke sofort ihre Liebe zum Schnitt, „weil ich eng mit der Regie mitentscheiden kann über den Rhythmus und die Dramaturgie“.
Die funktioniert bei „Sieben Winter in Teheran“so gut, dass die Wahl-Kölnerin, die die Dokumentation mehrfach im Kino, auch zur Eröffnung der Berlinale 2023, gesehen hat, „immer noch Tränen in den Augen“hat. So sehr berührt sie die Geschichte von Reyhaneh Jabbari nach wie vor. Darum ist sie sehr stolz auf die Lola.
Einen Ehrenplatz hat Kortlüke für die Statuette, die schwer ist und in Berlin noch graviert wird, bislang nicht gefunden. „Die Entscheidung überlasse ich vielleicht meinen beiden Kindern, die immer wieder fragen, wann denn der Pokal kommt.“