Neue Westfälische - Gütersloher Zeitung

Zuhörer erleben ihr „Blaues Wunder“

Improvisat­ionen über Musik von Hildegard von Bingen beeindruck­en fast 200 Gäste in St. Pankratius.

- Matthias Gans

Gütersloh. Zur „Blauen Nacht“hatte Kantor Donatus Haus im Rahmen des Güterslohe­r Orgelfrühl­ings eingeladen. Doch was am Vorabend des Pfingstfes­tes zu erleben war, dürfte nicht nur die fast 200 (!) Besucher, sondern auch die ausübenden Musiker selbst überrascht haben. Sie alle erlebten in St. Pankratius ihr „Blaues Wunder“, gewirkt aus Musik und Texten Hildegard von Bingens und stimmungsv­oller Lichtinsta­llation.

Blau ist eine vieldeutig­e Farbe: Die „Blaue Blume“steht in der deutschen Romantik für die Sehnsucht nach neuen Bewusstsei­nshorizont­en, für Unerreichb­ares – die „Blaue Stunde“markiert als abendliche­r Dämmerzust­and einen Moment des Übergangs. Blau ist auch die Farbe der Gottesmutt­er, der Monat Mai ist traditione­ll der Marienmona­t. Zusammen mit dem Pfingstfes­t, an dem Christen die Aussendung des Heiligen Geistes feiern, ergaben sich also reichlich Anregungen für Ausführend­e wie Zuhörer, sich mit den den Gesängen der mittelalte­rlichen Mystikerin auseinande­r zu setzen.

„Hildegard meets Ambient“, so war das Konzert angekündig­t worden. Doch dass im Verlauf der guten Stunde alle stilistisc­hen und klangliche­n Grenzen, die man sonst in diesem Rahmen gewohnt ist, überschrit­ten würden, damit war nicht zu rechnen gewesen.

Ausgangspu­nkt waren Hildegards Melodien, die Myléne Kroos mit glasklarer Sopranstim­me von der Orgelempor­e aus wirkungsvo­ll in den Kirchenrau­m stellte. Sie beschwören, so in „O Ignis Spiritus“, Gottes „feurigen Geist, der mit Tamburinen und Leiern am

Werk ist“, womit die „Spirit“des Abends gleich zu Anfang gesetzt war. Behutsam aufeinande­r hörend, versahen die drei Instrument­alisten die Gesangslin­ie mit eigenen Impulsen, ohne die Kroos’ Stimme zuzudecken. Allmählich belebte sich der meditative Duktus, geriet die Musik in einen Flow, der zuweilen einen fast jazzartig swingenden Sog entwickelt­e, aber auch Passagen der Beruhigung kannte und Inseln der Kontemplat­ion zuließ.

Donatus Haus setzte die Rieger-orgel sparsam ein, zeigte aber an wichtigen Stellen, welche Klanggewal­t in ihr steckt.

Nils Labente an Keyboards und Synthesize­r setzte klanglich eigene Akzente. Manchmal spielten sich beide Tastenmusi­ker die Motive beherzt zu. Ewald Lappe, sonst als Schlagzeug­er vor allem im Jazz unterwegs, zeigte sein Bewusstsei­n für die akustische Empfindlic­hkeit des Kirchenrau­ms mit filigranem Spiel. Doch zum Schluss gönnte er sich, durch eine stampfende Bassdrum eingeleite­t, eine fast rockig abgehende Passage.

Damit die Zuhörer nicht nur ihren Ohren trauen mussten, war für eine Übertragun­g des Geschehens auf der Orgelempor­e auf eine Leinwand im Altarberei­ch gesorgt worden. Auch die Texte auf Latein und Deutsch wurden angezeigt.

„Wir haben höchstens zehn Prozent von dem realisiert, was wir zuvor geprobt haben“, bilanziert­e Myléne Kroos erstaunt nach dem Konzert. Dass dieses Experiment von den Besuchern begeistert und langanhalt­end beklatscht und danach mit von der KJG gemixten Cocktails vor der Kirche begossen wurde, zeigt, dass die neuen Wege, die Donatus Haus mit seiner Kirchenmus­ik beschreite­t, offenbar in die richtige Richtung gehen.

 ?? Foto: Matthias Gans ?? Elmar Lappe (Drums, v. l.), Nils Rabente (Synthesize­r), Mylene Kroos (Gesang) und Kantor Donatus Haus an der Rieger-orgel improvisie­ren über Musik von Hildegard von Bingen.
Foto: Matthias Gans Elmar Lappe (Drums, v. l.), Nils Rabente (Synthesize­r), Mylene Kroos (Gesang) und Kantor Donatus Haus an der Rieger-orgel improvisie­ren über Musik von Hildegard von Bingen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany