Neue Westfälische - Gütersloher Zeitung
Zuhörer erleben ihr „Blaues Wunder“
Improvisationen über Musik von Hildegard von Bingen beeindrucken fast 200 Gäste in St. Pankratius.
Gütersloh. Zur „Blauen Nacht“hatte Kantor Donatus Haus im Rahmen des Gütersloher Orgelfrühlings eingeladen. Doch was am Vorabend des Pfingstfestes zu erleben war, dürfte nicht nur die fast 200 (!) Besucher, sondern auch die ausübenden Musiker selbst überrascht haben. Sie alle erlebten in St. Pankratius ihr „Blaues Wunder“, gewirkt aus Musik und Texten Hildegard von Bingens und stimmungsvoller Lichtinstallation.
Blau ist eine vieldeutige Farbe: Die „Blaue Blume“steht in der deutschen Romantik für die Sehnsucht nach neuen Bewusstseinshorizonten, für Unerreichbares – die „Blaue Stunde“markiert als abendlicher Dämmerzustand einen Moment des Übergangs. Blau ist auch die Farbe der Gottesmutter, der Monat Mai ist traditionell der Marienmonat. Zusammen mit dem Pfingstfest, an dem Christen die Aussendung des Heiligen Geistes feiern, ergaben sich also reichlich Anregungen für Ausführende wie Zuhörer, sich mit den den Gesängen der mittelalterlichen Mystikerin auseinander zu setzen.
„Hildegard meets Ambient“, so war das Konzert angekündigt worden. Doch dass im Verlauf der guten Stunde alle stilistischen und klanglichen Grenzen, die man sonst in diesem Rahmen gewohnt ist, überschritten würden, damit war nicht zu rechnen gewesen.
Ausgangspunkt waren Hildegards Melodien, die Myléne Kroos mit glasklarer Sopranstimme von der Orgelempore aus wirkungsvoll in den Kirchenraum stellte. Sie beschwören, so in „O Ignis Spiritus“, Gottes „feurigen Geist, der mit Tamburinen und Leiern am
Werk ist“, womit die „Spirit“des Abends gleich zu Anfang gesetzt war. Behutsam aufeinander hörend, versahen die drei Instrumentalisten die Gesangslinie mit eigenen Impulsen, ohne die Kroos’ Stimme zuzudecken. Allmählich belebte sich der meditative Duktus, geriet die Musik in einen Flow, der zuweilen einen fast jazzartig swingenden Sog entwickelte, aber auch Passagen der Beruhigung kannte und Inseln der Kontemplation zuließ.
Donatus Haus setzte die Rieger-orgel sparsam ein, zeigte aber an wichtigen Stellen, welche Klanggewalt in ihr steckt.
Nils Labente an Keyboards und Synthesizer setzte klanglich eigene Akzente. Manchmal spielten sich beide Tastenmusiker die Motive beherzt zu. Ewald Lappe, sonst als Schlagzeuger vor allem im Jazz unterwegs, zeigte sein Bewusstsein für die akustische Empfindlichkeit des Kirchenraums mit filigranem Spiel. Doch zum Schluss gönnte er sich, durch eine stampfende Bassdrum eingeleitet, eine fast rockig abgehende Passage.
Damit die Zuhörer nicht nur ihren Ohren trauen mussten, war für eine Übertragung des Geschehens auf der Orgelempore auf eine Leinwand im Altarbereich gesorgt worden. Auch die Texte auf Latein und Deutsch wurden angezeigt.
„Wir haben höchstens zehn Prozent von dem realisiert, was wir zuvor geprobt haben“, bilanzierte Myléne Kroos erstaunt nach dem Konzert. Dass dieses Experiment von den Besuchern begeistert und langanhaltend beklatscht und danach mit von der KJG gemixten Cocktails vor der Kirche begossen wurde, zeigt, dass die neuen Wege, die Donatus Haus mit seiner Kirchenmusik beschreitet, offenbar in die richtige Richtung gehen.