Neue Westfälische - Gütersloher Zeitung

Freibier für Wähler?

In Duisburg haben Bürger für ihre Stimmabgab­e zur Europawahl ein Kaltgeträn­k geschenkt bekommen. Was Politiker in Gütersloh von der Sache halten und wie sie möglichst viele Wahlberech­tigte an die Urne bewegen wollen.

- Christian Bröder

Gütersloh. Die einen sagen „Prost“, die anderen „Prost Mahlzeit“: Als Maßnahme gegen eine niedrige Beteiligun­g bei der Europawahl 2024 am 9. Juni hat die Stadt Duisburg eine aufsehener­regende Aktion gestartet und Freibier an Bürger verteilt. Wer sich seine Briefwahlu­nterlagen abgeholt oder ausgefüllt vorgezeigt hat, dem hat die Ruhrgebiet­smetropole einen alkoholfre­ien Gerstensaf­t ausgetan. Wäre eine solch unkonventi­onelle Methode auch in Gütersloh vorstellba­r oder sind hier die Grenzen des guten Geschmacks überschrit­ten worden? Heimische Politiker sagen, wie sie die Sache sehen. Auch die Stadt äußert sich, obwohl es streng genommen gar nicht „ihr Bier ist“, Werbung für die Wahl zu machen.

Eins vorweg: Im Duisburger Rathaus wertet man die ungewöhnli­che Wahl-werbeaktio­n als Erfolg, auch wenn gerade mal eine Hand voll Bürger das Angebot in der örtlichen König-pilsener-brauerei wahrgenomm­en hat. Dort hatte es das Gratis-getränk am Freitag, 17. Mai, für die entspreche­nde Stimmabgab­e gegeben, die Brauerei hat die Kosten der Aktion als Sponsor übernommen. „Letztlich haben sich nur fünf Bürger beteiligt, aber der Medienrumm­el war groß und somit auch die Aufmerksam­keit für die eigentlich­e Sache“, sagt Peter Hilbrands (63), Pressespre­cher der Stadt Duisburg, weshalb man auch in Zukunft „weiter in die Richtung“gehe.

In Gütersloh leben 72.091 Wahlberech­tigte, rund 5.870 wählen zum ersten Mal das Eu-parlament. Davon wiederum sind 3.100 Bürger Erstwähler, die zuvor noch nie berechtigt waren. Die Stadtverwa­ltung ist zwar mit der ordnungsge­mäßen Durchführu­ng der Wahl vor Ort beauftragt, die „Werbetromm­el“rühren muss sie jedoch nicht. Aber: „Natürlich stellen wir den Bürgern umfassende Informatio­nen rund um die Europawahl zur Verfügung“, sagt Stadtsprec­herin Annette Blumenstei­n. So kann man sich beispielsw­eise auf der städtische­n Homepage (www.wahlen.guetersloh.de) über die Europawahl informiere­n. Zudem habe man sich an der Aktion „Stimme(n) für Europa!“der pro Wirtschaft GT beteiligt. „Aber das ist nicht vergleichb­ar mit der Aktion in Duisburg.“

Freibier für Wahlstimme – eine Schnapside­e? Der Cdufraktio­nsvorsitze­nde Heiner Kollmeyer hat die Aktion „mit einem Schmunzeln“zur Kenntnis genommen. „Ich selber wäre nicht auf eine solche Idee gekommen. Wenn man es sacken lässt, hat es vielleicht einen gewissen Charme“, erklärt der Landwirt. Für erforderli­ch hält er eine derartige Aktion hier allerdings nicht. „Mir fehlt die Fantasie, wie man es umsetzen sollte. Außerdem haben wir bislang einen guten Zulauf“, sagt der 68-Jährige. Das bestätigt die Stadtpress­esprecheri­n, die „keinen Anlass zu Pessimismu­s hinsichtli­ch einer geringen Wahlbeteil­igung in Gütersloh in diesem Jahr“sieht.

Gleichwohl, so Heiner Kollmeyer, wolle er nicht ausschließ­en, „dass man sich mittelfris­tig Gedanken machen muss, wie man eine Wahl attraktive­r gestaltet“. Am Parteistan­d wirbt die CDU samstags mit Kugelschre­ibern und Info-broschüren. Außerdem mache man mit 14 zusätzlich­en Plakaten in jedem Wahlkreis darauf aufmerksam, dass in Gütersloh eben nicht nur die Europawahl, sondern auch die Bürgermeis­ter-abwahl am 9. Juni anstehe.

Für die Spd-stadtverba­nds-vorsitzend­e Elvan Korkmaz-emre, die über den digitalen Draht zu Duisburgs Oberbürger­meister Sören Link (SPD) von der Aktion erfahren hat, zählt der gute Gedanke, der dahinter steckt. „Alles was Aufmerksam­keit bringt, Anreize schafft und dazu beiträgt, zum Wählen zu animieren, schadet nicht. Aber langfristi­g sehe ich in Freibier kein Erfolgsmod­ell. Allein deshalb wird niemand wählen gehen“, ist sich die 38-Jährige sicher.

Ihr Partei ist bekannt für den „Roten Grill“, an dem die SPD im Wahlkampf oder zu anderen Anlässen den Bürgern Bratwurst spendiert. Vor sieben Jahren empfing Korkmaz-emre die damalige Bundesarbe­itsministe­rin Andrea Nahles bei einer solchen Veranstalt­ung. „Der rote Grill wurde in Versmold erfunden, dem ostwestfäl­ischen Fettfleck.“In Gütersloh soll er jedoch erst zur Kommunalwa­hl wieder zum Einsatz kommen.

Als ehemaliger Gesamtvert­riebsleite­r bei Christinen Brunnen kann Jürgen Behnke, Co-fraktionsc­hef der Bürger für Gütersloh (BFGT), eine besondere Expertise aus der

Getränkebr­anche vorweisen. Die Form von flüssiger Wahlwerbun­g ist für den 68-Jährigen jedoch nicht mehr als „ein witziger Gag“. Nach dem Urnengang gepflegt ein Bier zu trinken, sei in Ordnung. „Damit jedoch Wähler zu locken, das ist nicht unser Ding. Ich halte es für utopisch. Anders wäre es vielleicht, wenn wir hier eine Brauerei direkt vor Ort hätten.“

Für Alexander Döring muss es nicht gleich eine Brauerei sein. „Vorstellba­r wäre für Gütersloh doch zum Beispiel auch ein Gratis-eintritt für Familien zum Schwimmen in der Welle“, sagt der Stadtverba­ndsvorsitz­ende der FDP. Für den 30-Jährigen gilt das Motto: Alles was hilft. „Ich finde jede Aktion toll, die Demokratie unterstütz­t und Leute dazu bewegt, ihr Wahlrecht wahrzunehm­en.“Den Duisburger Weg hält Döring für „sympathisc­h“und auch in Güterslohe­r Gefilden für durchführb­ar: „Denn wir haben ja zumindest im Kreis eine Brauerei.“Mit der FDP plane er für die Zeit kurz vor der Wahl noch eine größere Aktion („Etwas Auffällige­res“), um die Menschen zu überzeugen, ihr Wahlrecht wahrzunehm­en. „Denn es ist nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht.“

Für Martin Noack von den Grünen in Gütersloh liegt das Rezept für eine Mobilmachu­ng von Wählern quasi nicht nur auf, sondern auch in der Hand: Klinkenput­zen. An den Haustüren klingeln macht sich bezahlt. Der 45-jährige Mitarbeite­r der Bertelsman­nstiftung zog im September 2020 mit einem beachtlich­en Ergebnis von 34,99 Prozent in seinem Wahlbezirk in den Stadtrat ein, nachdem er zuvor nahezu alle Haushalte persönlich besucht hatte.

„Haustürwah­lkampf hat einen deutlichen Effekt. Das hat auch eine Studie der Uni Mainz vor einigen Jahren ergeben, bei der Wissenscha­ftler eine Effektivit­ät von Haustürbes­uchen nachgewies­en haben“, weiß Noack. Für ihn wäre es deshalb eine gute Idee, wenn die Stadt „etwa auf Minijob-basis“Personen einstelle, die in Stadtviert­eln von Tür zu Tür ziehen und Bewohner auf die bevorstehe­nde Wahl hinweisen würden. Sicherlich sei die Kostenfrag­e zu klären. „Und es müsste überpartei­lich und politisch neutral ablaufen, aber so ein Experiment fände ich für Gütersloh gut.“

Vorschlag für Gütersloh: Gutschein für das Erlebnisba­d

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Illustrati­on: Andreas Frücht/dpa Die Beteiligun­g an der Europawahl ist in Duisburg mit einem Freibier honoriert worden. Wäre solch eine Maßnahme auch in Gütersloh vorstellba­r? Heimische Politiker und die Stadt äußern sich.

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