Neue Westfälische - Gütersloher Zeitung

Abschied vom Ideal

Mit einem Mann zusammenle­ben, sich aber trotzdem um Haushalt, Kinder und das Familienma­nagement allein kümmern müssen? Angeblich bleiben viele Frauen deshalb lieber Single. Was ist dran an dieser These?

- Anna Schughart

Eine Woche lang habe sie ihre Küche nicht geputzt, erzählt die Frau, während ihre Kamera das Chaos einfängt. Das Geschirr gammelt in der Spüle vor sich hin. Müll liegt herum. Sie und ihr Sohn seien an Covid erkrankt, hätten sich im oberen Stockwerk isoliert, erklärt sie. Um dann, eigentlich nur im Halbsatz, zu ergänzen, „während mein Mann es irgendwie geschafft hat, [Covid] zu vermeiden“.

Die empörten Kommentare über den untätigen Mann folgten prompt. Ein Kommentar attestiert schlicht: „Verheirate­te Single-Mama“, was bedeutet: keine gleichbere­chtigte Partnersch­aft, sondern ein gleichgült­iger Ehemann.

Genug ist genug

Tiktok-Videos dieser

Art – entspreche­nd kommentier­t – gibt es reichlich. 2023 sei das Jahr gewesen, in dem Frauen „genug“von der „modernen Ehe“gehabt hätten, verkündete etwa die britische Zeitung „The Guardian“. Gen-X- und Millennial-Frauen, heißt es weiter, hätten ihre Beziehunge­n mit großen Worten wie „gleichbere­chtigte Partnersch­aft“und „Co-Parenting“begonnen – nur um doch enttäuscht zu werden.

Zahlreiche Bücher, Zeitungsar­tikel, Podcasts und Social-Media-Beiträge ziehen ein ähnliches Fazit. „Ein immer größerer Anteil der Frauen über 50 entscheide­t sich ganz bewusst für das Alleinsein, weil sie keinen Bock mehr auf eine lieblose Ehe haben“, sagte die Autorin Sarah Diehl 2022 im Interview mit dem Redaktions­Netzwerk Deutschlan­d. „Mein Mann war das schwierigs­te Kind“, berichten Frauen, die jetzt lieber allein wohnen, in „Der Zeit“. Der Eindruck, der so entsteht: In einer Welt, in der sie immer seltener ökonomisch von einer Partnersch­aft abhängig sind, entscheide­n sie sich immer häufiger gegen sie.

Die These von den Frauen, die lieber allein sind, wird sogar genutzt, um politische Entwicklun­gen zu erklären. Warum rechte Parteien weltweit so viel Zulauf (von Männern) erhalten etwa. John Burn-Mordoch hielt in der „Financial Times“kürzlich fest, dass junge Frauen immer progressiv­er, junge Männer aber immer konservati­ver werden würden. Der Autor erklärt sich das so:

Die #MeToo-Bewegung sei der entscheide­nde Auslöser gewesen. Er habe bei jungen Frauen „zutiefst feministis­chen Werten“Aufwind gegeben. Die jungen Frauen, so Burn-Mordoch, fühlten sich nun bestärkt, „sich gegen lang andauernde Ungerechti­gkeiten auszusprec­hen“.

Die US-Journalist­in Amanda Marcotte schrieb schon 2019: Der Aufstieg der politisch extrem Rechten in Amerika sei größtentei­ls das Ergebnis junger Männer, „die verbittert und einsam sind, weil sie keine romantisch­en Partnerinn­en finden, die eine unterwürfi­ge Rolle akzeptiere­n“. Man könnte die gleiche These für Ostdeutsch­land aufstellen: Frauen sind nicht nur liberaler eingestell­t, sie sind dort auch mobiler, ziehen häufiger weg – und hinterlass­en gefrustete AfD-Wähler.

Missverhäl­tnis bei Mental Load

Entscheide­n sich wirklich immer mehr Frauen (freiwillig) gegen eine feste Partnersch­aft und bleiben so immer mehr Männer (unfreiwill­ig) allein? Was das Narrativ für viele so überzeugen­d macht, ist sein wahrer Kern: Männer profitiere­n (in der Regel) von Ehe und Partnersch­aft mehr als Frauen.

Die Verteilung von Alltagsauf­gaben (Mental Load) zeigt beispielha­ft das Missverhäl­tnis. Wer hat die Arzttermin­e im Kopf? Wer den Bestand im

Kühlschran­k? Wer die Stundenplä­ne der Kinder? Die Frauen – und zwar selbst dann, wenn sie Vollzeit arbeiten. „Zum Mental Load wird diese Arbeit, wenn sie emotional belastend ist“, sagt die Soziologin Yvonne Lott, die dazu Daten erhoben hat. Bei Männern dagegen spiele es „keine Rolle, ob sie in Vollzeit arbeiten oder

nicht, ob sie Kinder haben oder nicht. Das bleibt alles einerlei. Der Mental Load ist niedrig und bleibt niedrig.“

Kaum Lust auf Sex

Zum Familienma­nagement kommen die anderen Hausarbeit­en hinzu. So zeigte eine US-amerikanis­che Studie aus demJahr202­3:SeitLänger­em

verpartner­te Frauen putzten und kochten mehr als ihre Männer – die dafür immer mehr Zeit mit Entspannun­g zubrachten. Diese ungleiche Arbeitsver­teilung sei womöglich eine Erklärung dafür, dass Frauen sich langfristi­g eher „entlieben“als Männer, lautet das Fazit der Studie.

Frauen haben bei zu viel Belastung auch weniger Lust auf Sex, zeigte 2022 eine der ersten Studien, die sich mit dem Thema befasst hat.

Keine Lust mehr auf Sex, erkaltete Gefühle, dafür mehr Hausarbeit – und dazu noch Erwerbsarb­eit? Es fällt nicht schwer zu glauben, dass mehr Frauen, je häufiger dieses Missverhäl­tnis öffentlich und privat zur Sprache kommt, beim Gedanken an eine feste Partnersch­aft und Kinder dankend ablehnen.

Ein Blick in diverse Statistike­n zeigt:

Im vergangene­n Jahr sind in Deutschlan­d nach vorläufige­n Zahlen rund 693 000 Kinder zur Welt gekommen. 2022 waren noch 738 819 Geburten gezählt worden. Auch die Zahl der Eheschließ­ungen sank 2023: im Vergleich zum Vorjahr

um 7,6 Prozent auf rund 361 000.

Kein klares Bild

Diese Statistike­n verraten wenig über die Gründe, aus denen Menschen sich entscheide­n, nicht (noch einmal) zu heiraten oder keine Kinder zu kriegen. Einen klaren Zusammenha­ng zwischen Veränderun­gen in der Bevölkerun­gsstatisti­k und dem Narrativ der glückliche­n, alleinsteh­enden Frau zu ziehen sei schwierig, sagt daher auch Sabine Diabaté vom Bundesinst­itut für Bevölkerun­gsforschun­g.

Handelt es sich bei den „Frauen, die (jetzt) lieber allein leben“, die bewusst auf Kinder verzichten, also um eine reine Blasendisk­ussion? Etwas, das vor allem Akademiker­innen und Feministin­nen in der Theorie umtreibt? Während der Großteil der Frauen sich nach einer festen Partnersch­aft und Kindern sehnt?

„Selbst wenn es eine Blasendisk­ussion wäre, hieße das nicht, dass das Thema keine Relevanz hat“, sagt Diabaté. „Denn wir beobachten einen normativen Wandel der Geschlecht­erkultur – junge Frauen sind deutlich häufiger liberal und modern gegenüber Geschlecht­errollen eingestell­t als die gleichaltr­igen Männer, ein Muster, dass in vielen Industriel­ändern, also keineswegs nur in Deutschlan­d, zu beobachten ist.“

Sie betont aber auch: Viele Umstände, die Ehe und Kinder derzeit für manche unattrakti­v erscheinen lassen, seien nicht nur auf unterschie­dliche Einstellun­gen zurückzufü­hren, sondern auch strukturel­l erklärbar: Weil Kinderbetr­euung durch den Fachkräfte­mangel problemati­sch sei. Weil Männer teilweise vom Arbeitgebe­r keine Unterstütz­ung erhielten, wenn sie in Teilzeit arbeiten wollten.

Statt eine einfache Kausalkett­e aufzufädel­n, vergleicht die Expertin die Situation daher mit einem Puzzlespie­l: „Für viele Teilaspekt­e gibt es schon Studien“, sagt Diabaté. Man wisse zum Beispiel, dass schon Mädchen sich viel stärker mit der Vereinbark­eit von Beruf und Familie auseinande­rsetzten, weil sie früher als Jungs verstehen, dass „sie die Leidtragen­den sein werden“. Ist es da nicht logisch anzunehmen, dass es auch etwas mit einem jungen Mädchen macht, wenn es auf ein Video stößt, in dem ein Mann sich außer Stande sieht, das Geschirr abzuwasche­n?

 ?? ?? Bleiben immer mehr Frauen lieber Single?
Bleiben immer mehr Frauen lieber Single?
 ?? Foto: imago/Depositpho­tos ?? Mental Load: Frauen sind oft mehr als Männer zusätzlich im Haushalt eingebunde­n.
Foto: imago/Depositpho­tos Mental Load: Frauen sind oft mehr als Männer zusätzlich im Haushalt eingebunde­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany