Neue Westfälische - Herforder Kreisanzeiger
„Es liegt in unserem Interesse, dass Putingestoppt wird“
Der Spd-vorsitzende spricht im Interview mit dieser Zeitung über die Unterstützung der Ukraine, Impulse für die Wirtschaft und den Zusammenhalt in der Ampelkoalition.
Herr Klingbeil, die SPD und ihr Kanzler formulieren es so: Wladimir Putin darf seinen Krieg gegen die Ukraine nicht gewinnen. Sie sagen nicht: Die Ukraine muss gewinnen. Ist der feine Unterschied, dass Russland nicht die ganze Ukraine schlucken darf, aber in den besetzen Gebieten bleiben könnte?
LARS KLINGBEIL: Die SPD als Partei, die Bundestagsfraktion und der Kanzler setzen sich seit Tag eins dieses Krieges dafür ein, dass Russlandaus den besetzten Gebieten in der Ukraine verschwindet. Russland hat ukrainisches Territorium völkerrechtswidrig besetzt. Wir tun alles, damit die Ukraine sich verteidigen kann und ihre Gebiete zurückbekommt.
Nicht alles: Taurus-marschflugkörper wollen Sie nicht liefern. Warum sagen Sie nicht, dass die Ukraine gewinnen soll?
Ich wundere mich immer über diese semantischen Haarspaltereien. Wir sind total klar: Es geht darum, dass Russland die besetzten Gebiete räumt, und die Ukraine stark gemacht wird, um sich zu verteidigen.
Hat Fraktionschef Rolf Mützenich deshalb eine Debatte über ein „Einfrieren des Krieges“angestoßen?
Eine wichtige Unterscheidung: Er hat nicht gefordert, dass der Krieg eingefroren wird, sondern dass es auch möglich sein muss, eine Debatte darüber zu führen, wie man zu Frieden kommt. Das finde ich richtig. Im Übrigen verstehe ich nicht, wie aktuell versucht wird, den Wunsch nach Frieden als etwas Anrüchiges darzustellen. Es ist doch wohl hoffentlich politischer Konsens, dass die Sicherung des Friedens Kern all unseres Handelns ist. Niemand wünscht sich Frieden mehr als die Ukrainerinnen und Ukrainer. Und deshalb ist es absurd, Rolf Mützenich fehlende Ukraine-unterstützung zu unterstellen. Er hat maßgeblich für die große deutsche Militärhilfe für die Ukraine gesorgt.
Aber warum sprechen Sie von „Einfrieren“, wenn Sie keine nähere Vorstellung davon haben?
Rolf Mützenich hat aufgezeigt, dass die deutsche Debatte stark verengt ist, wir uns zwar die ganze Zeit um Taurus drehen, aber nicht auch über Wege zu einem Frieden diskutieren, obwohl das anderswo selbstverständlich getan wird. Der ukrainische Präsident selbst tut das, es gibt sie doch schon längst, die internationalen Friedenskonferenzen. Trotzdemmüssenwir festhalten: Putin hat gerade kein Interesse an Verhandlungen, weil er vermutlich die US-PRÄsidentschaftswahl am 5. November abwartet und auf einen Sieg von Donald Trump hofft.
Sollte
man
lieber
einen schnellen Waffenstillstand anstreben, weil man davon ausgehen muss, dass die Ukraine die Russen nicht zurückdrängen kann?
Putin strebt nach einem großrussischen Reich. Menschen in Polen oder im Baltikum sagen, wenn er jetzt nicht in seine Schranken gewiesen wird, sind wir die nächsten. Es liegt in unserem eigenen Interesse,
Der Spd-bundesvorsitzende Lars Klingbeil. dass er gestoppt wird. Deswegen ist es so wichtig, dass wir vorankommen mit der Stabilisierung und Stärkung der Nato und massiv die deutsche und die europäische Verteidigungsfähigkeit ausbauen.
Sie haben ja noch andere Themenin der Koalition: DIEFDP fordert eine Wirtschaftswende. Kommt die noch mit der Ampel?
Wirtschaftliche Impulse, um das Land stark zu machen, gehören zu den entscheidenden Fragen für die zweite Hälfte der Legislaturperiode. Vieles haben wir schon geschafft: Ausbau erneuerbarer Energien, Fachkräftezuwanderung, Milliardeninvestitionen. Dieser Weg muss weitergehen. Nur: Es gibt da einen großen Knackpunkt. Wir stoßen bei den Schuldenregeln an Grenzen.
Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass es mit der Union zu einer Zweidrittelmehrheit zur Grundgesetzänderung der Schuldenbremse kommt?
Mittlerweile will die Mehrheit der Unionsministerpräsidenten bei der Schuldenbremse etwas ändern. Auch sie merken, dass wir gerade in einer Sondersituation sind und mehr in Sicherheit, Infrastruktur, wirtschaftliche Stärke – und auch in unsere Demokratie investieren müssen. Sie wissen, dass das mit den Schuldenregeln, die wir derzeit haben, nicht geht.
Ist das Renteneintrittsalter bei 67 Jahren zu halten? Die Union würde es erhöhen. Mit der Union arbeiten die Menschen mehr, länger und bekommen weniger Rente. Mit der SPD wird das Renteneintrittsalter nicht erhöht. Wirtun vielmehr alles dafür, dass die gesetzliche Rente stabil bleibt. Wir sichern das Rentenniveau jetzt dauerhaft auf 48 Prozent ab. Würden wir das nicht tun, wäre das gerade gegenüber den heute jungen Beschäftigten unfair, die für ihre Beiträge weniger Rente bekommen würden.
Und die Standardfrage angesichts der Zerstrittenheit der Koalition: Wie lange hält sie noch?
Standardantwort: Wir sind gewählt bis zum Herbst nächsten Jahres.
Der Haushalt bruchstelle?
Der Haushalt wird anstrengend. Aber alle wissen ja, worum es geht. Und alle sollten sich zusammenreißen und sich bewusst machen, in welcher Situation dieses Land ist – die ganze Welt ist. Also die Befindlichkeiten ein bisschen zurückstellen und den Job erledigen. Ich wünsche mir, dass die Koalition die Kraft hat, erfolgreich weiter zu regieren.
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Das Gespräch führten Kristina Dunz und Daniela Vates
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