Neue Westfälische - Herforder Kreisanzeiger
„Die Entführer waren keine bösen Menschen“
In der Wüste Malis war der Hövelhofer Pater Hans-joachim Lohre ein Jahr lang in der Hand von Dschihadisten. Im großen Interview spricht er über den Grund der Geiselnahme, den Alltag als Gefangener und Kontakte zum Papst.
Islamisten haben Sie 371 Tage in Mali gefangen gehalten. Vor vier Monaten kamen Sie überraschend frei. Werden Sie von Erinnerungen an die Geiselhaft noch täglich eingeholt? Hans-joachim Lohre: Ich werde viel dazu befragt. Und auch wenn es sich seltsam anhört: Ich denke voller Dankbarkeit an die Zeit zurück.
Das ist schwer zu glauben. . . Ja, das weiß ich. Aber ich habe mit Beginn der Entführung diese Zeit als Sabbat-jahr angesehen. Mir wurde von den Entführern sofort klar gemacht, dass sie mir keine Gewalt antun wollten. Ich habe von denen kein einziges böses Wort gehört.
Warum sind worden?
Ich bin von einer Al-kaidaGruppe entführt worden. Sie wollten durch mich Rache an Deutschland nehmen, weil die Bundeswehr zu der Zeit in Mali stationiert war. Mir war seit 2012 bewusst, dass die Möglichkeit einer Entführung besteht. Aber ich war nie unvorsichtig und habe mich an die Regeln gehalten.
Sie gekidnappt
Trotzdem ist es im November 2022 in der Hauptstadt Bamako passiert. Sie sind auf dem Weg zum Gottesdienst von Entführern ins Auto gezerrt und weggebracht worden. Hatten Sie Todesangst? Nein, ich hatte einmal Angst, als die Entführer mit dem Auto viel zu schnell unterwegs waren. Aber ansonsten habe ich 368 von den 371 Tagen in Gelassenheit und innerem Frieden verbracht. Die Geiselnehmer waren keine bösen Menschen. Sie sind überzeugt, dass sie den Koran so leben, wie es sein soll. Sie fühlen sich dem dekadenten Westen gegenüber moralisch überlegen.
Wie haben Sie es geschafft, in der Gefangenschaft nicht durchzudrehen?
Ich habe das Jahr als große Glaubenserfahrung erlebt und Gottesnähegespürt. Ich bin sicher, dass es an den Gebeten lag, die Menschen für mich gesprochen haben und an meinen Gebeten. Der malische Botschafter in Berlin hat mir erzählt, dass in vielen Moscheen jeden Freitag für mich gebetet wurde. Ich bin davon überzeugt, dass ich durch die Gefangenschaft mehr für den christlich-islamischen Dialog getan habe als vorher durch meine physische Präsenz.
Wie groß war die Hoffnung auf Freilassung?
Ich habe nicht an der Freilassung gezweifelt, aber ich habe mir keinen Kopf gemacht, wann es passiert. Ich war davonausgegangen, dass ichmindestens drei Jahregefangenbin. Dass es nur ein Jahr wurde, war ein Wunder. Ich habe gebetet,
Den Blick auf Bamako wird Lohre künftig nicht mehr haben. Die Rückkehr nach Mali ist zu gefährlich.
dass vor allem meine Familie auch etwas von dem inneren Frieden erfährt, den ich hatte.
Waren Sie das Jahr über immer an einem Ort?
Nein, erst war ich sechs Woche im Sahel, eine karge Region, wo noch ein paar Büsche wachsen. Danach ging es mit Touareg in Jeeps weiter in Malis Norden in die Wüste, wo ich vier Monate alleinemit den Entführern war. Danach weitere sechs Monate noch weiter Richtung Norden. Dort war ich zusammen mit drei italienischen Geiseln. Immer unter freiem Himmel. Mein Dach warzeitweiseeineplaneaufvier Pfählen.
Wie war die Versorgung?
Es gab Früchte, Brot und manchmal Fleisch. Ich hatte auch Medikamente. Die Bewacher wollten, dass es mir gut ging. Aber es war immer ein Mann mit Kalaschnikow in meiner Nähe. Weglaufen konnte ich nicht. Alles Persönliche war mir aber genommen: Mein Pass war weg, das Geld sowieso und meine Priesterutensilien waren verbrannt. Aber meinen Glauben konnte sie mir nicht nehmen.
Habensiemitbekommen, wie die Entführer Kontakt nach Deutschland aufgenommen haben?
Von Kommunikation oder Verhandlungenhabe ich nichts mitbekommen. Ich musste aber Videobotschaften aufnehmen, die dann wohl als Beweis für meinen Zustand verschickt worden sind.
Und wie sah der Alltag aus? Ich habe regelmäßig gebetet, die Messe gelesen, auch gepredigt. Dabei habe ich mir vorgestellt, in Bamako zu sein. Eine Bibel hatte ich nicht dabei, aber nach 40 Priesterjahren kennt man seinen Mess
Pater Lohre traf Papst Franziskus am 17. Januar nach der Generalaudienz in Rom.
ablauf und die Evangelien. Um in Bewegung zu bleiben, durfte ich auf einer 50-Meter-strecke auf und ab gehen. Später hatten wir ein Radio und ich konnte „Radio Vatikan“und „Radio France International“hören. Einer der Italiener war Fußballfan. Sport haben wir über einen spanischen Sender verfolgt. Mich haben immer die Bundesliga und der SC Paderborn interessiert.
Wie haben sung erlebt?
An einem Morgen Anfang November kam ein Chef der Wächterundsagte, dass esnach Deutschland geht. Wir sind sofort losgefahren. Bis ich in Hövelhof war, sind dann aber
Sie
die
Freilas
noch 17 Tage vergangen. Details darf ich nicht erzählen.
Wie haben Sie auf die Rückkehr nach Hövelhof reagiert? Ich habe zehn Tage fast nur geweint, als ich die Familie wieder um mich hatte. Alle Gefühle sind rausgekommen. Ich habe meine 92-jährige Mutter wiedergesehen. Das war ein großes Glück.
Auch Papst Franziskus hat Sie empfangen. . .
Ja, wir haben uns nach einer öffentlichen Audienz ein paar Minuten unterhalten. Im Dezember hatte er mir sogar einen Brief geschrieben. Er kannte meine Geschichte und wir haben auch miteinander gelacht.
Wollen Sie weiterarbeiten? Eventuell sogar in Mali? Nach Westafrika kann ich aus Sicherheitsgründen nicht zurück. Arbeiten im interreligiösen Dialog möchte ich ab September schon gerne. Es gibt Optionen in Frankreich. Gerne möchte ich weiter ein Zeuge der Liebe Gottes sein.
Das Gespräch führte Jens Reddeker