Neue Westfälische - Herforder Kreisanzeiger
Wie Historiker der SPD wegen ihrer Haltung zu Putins Krieg zusetzen
Prominente Wissenschaftler mahnen bei den Sozialdemokraten in einem Brandbrief mehr eindeutige Solidarität mit der Ukraine an. Unter ihnen ist auch Heinrich August Winkler, selbst seit 62 Jahren Mitglied in der Partei.
Berlin. Wenn sich berühmte Intellektuelle Deutschlands zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine äußern, kanndasdie Politikkaumignorieren. Als der weltweit rezipierte Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas bereits im April 2022 schon kurz nach dem Überfall von Verhandlungen gesprochen hatte, während es im Land vor allem um Waffenlieferungen an Kiew ging, herrschte Aufregung. So sehr, dass Habermas, heute 94 Jahre alt, später deutlich machte, wie erschrocken er über die heftigen Reaktionen war.
Was hatte er getan? Er hatte in einem Gastbeitrag für die „Süddeutsche Zeitung“unter anderem geschrieben: Noch nehme der Kriegsverbrecher Wladimirputinimweltsicherheitsrat den Sitz einer Vetomacht ein und könne seinen Gegnernmit Atomwaffen drohen – „noch muss mit ihm ein
Ende des Krieges, wenigstens ein Waffenstillstand verhandelt werden“. Er, Habermas, sehe keine überzeugende Rechtfertigung für die Forderung nach einer Politik, „die – im peinigenden, immer unerträglicher werdenden Anblick der täglich qualvolleren Opfer – den gleichwohl gut begründeten Entschluss der Nichtbeteiligung an diesem Krieg de facto aufs Spiel setzt“.
Nun haben fünf Historikerinnen und Historiker in entgegengesetzter Tonlage der Spd-führung einen Brandbrief geschrieben. Was die SPD besonders trifft: Unter den Wissenschaftlern ist Heinrich August Winkler, 85 Jahre alt und seit 62 Jahren in der SPD. Erzähltzudenwichtigstenhistorikern der Gegenwart. In dem Brief wird Bundeskanzler Olaf Scholz, sowie den Parteiund Fraktionsspitzen vorgeworfen, es an „unzweideutiger Solidarität mit der Ukraine“vermissen zu lassen und in Fragen von Waffenlieferungen „immer wieder willkürlich, erratisch und nicht selten faktisch falsch“zu argumentieren.
Ferner fehle innerhalb der SPD eine ehrliche Aufarbeitung der Fehler in der Russlandpolitik der letzten Jahrzehnte. Und: Scholz und viele Spd-spitzenpolitiker ignorierten wertvolle Wissensressourcen. „Die SPD macht sich so unglaubwürdig und bereitet einer gefährlichen Desinformationskultur den Boden.“Von „gefährlicher Realitätsverweigerung“ist die Rede und einer zu schwachen Haltung gegenüber Putin.
Die Post ist schwere Kost für das Willy-brandt-haus. Genossinnen und Genossen fühlen sich ungerecht behandelt, weil sie nach eigenem Empfinden vieles genau so machen, was die Historiker fordern. Die Russlandpolitik sei mit einem Parteitagsbeschluss vom Dezember 2023 quasi revidiert worden. Putin werde nur zu Verhandlungen bereit sein, „wenn ihm unzweideutig vermittelt wird, dass der Westen seine erheblich größeren Ressourcen solange wie nötig einsetzen wird, um eine Niederlage der Ukraine zu verhindern“.
Genau das predige Scholz den ganzen Tag. „So lange wie nötig“, sagt der Kanzler tatsächlich bei jeder Gelegenheit. Und auch diesen Appell der Historiker erfüllt die SPD aus eigener Sicht: die klare Aussage, „dass es nicht darum geht, Russland anzugreifen und zu schädigen, sondern die 1991 auch von Russland anerkannte Unabhängigkeit der Ukraine wiederherzustellen.“