Neue Westfälische - Herforder Kreisanzeiger
Kinder werden schlechter medizinisch versorgt
Die Notfallpraxis ist künftig an drei Tagen pro Woche geschlossen. Eltern aus Bielefeld und dem Kreis Gütersloh können dann nur telefonische oder nicht fachliche Hilfe in Anspruch nehmen. Ein Ärztlicher Direktor protestiert.
Bielefeld. Schlechte Nachrichten für viele Eltern und Kinder: Die Kindernotfallpraxis der KVWL (Kassenärztliche Vereinigung) kürzt drastisch ihre Öffnungszeiten. Künftig ist die Praxis an drei Tagen die Woche geschlossen. Für Bielefeld und den Kreis Gütersloh bedeutet das eine deutlich schlechtere Notfallversorgung von Kindern. Das prangern Experten deutlich an.
Geöffnet ist die Praxis künftig nur noch mittwochs und freitags von 16 bis 21 Uhr sowie samstags, sonntags und feiertags von 9 bis 21 Uhr. Eltern, die in dieser Zeit eineärztliche Versorgung für ihr Kind benötigen, müssen sich dann an den Allgemeinärztlichen Notfalldienst der Kassenärztlichen Vereinigung im Klinikum Bielefeld wenden. Dort arbeiten keine Kinderärzte.
Alternativ haben Eltern die Möglichkeit, unter der bundesweit einheitlichen Servicenummer 116 117 eine telefonische Ersteinschätzung durch medizinisch geschultes Personal vornehmen zu lassen. Hier wird mit Unterstützung einer Software entschieden, welcher Behandlungsort für das Kind der richtige ist: Krankenhaus, Notfallpraxis, reguläre Praxis oder Videosprechstunde.
Klinik fürchtet Überlastung der Notaufnahme
So weit zur Theorie. In der Praxis, fürchtet Eckard Hamelmann, der Ärztliche Direktor des Kinderzentrums Bethel, wird es anders kommen. „Wir werden diese über 4.000 Patienten, die dann jährlich nicht mehr über die Kindernotfallpraxis der KVWL betreut werden, zu einem großen Teil in der Notaufnahme des Kinderzentrums sehen. Das heißt, es wird noch schwerer, die Notaufnahme für echte Notfälle freizuhalten.“Dies sei bereits in der Vergangenheit ein großes Problem gewesen. Hamelmann bedauert deshalb den Einschnitt: „Für unser Team bedeutet das eine Mehrbelastung. Für die Region bedeutet dasganzklar eine
Verschlechterung der Notfallversorgung von Kindern.“
Wichtig ist für Eltern, zu unterscheiden: Denn zwar befindet sich die Notfallpraxis für Bielefeld und den Kreis Gütersloh im Evangelischen Klinikum Bethel, die Klinik stellt aber nur die Räume, nicht das Personal. Die Versorgungspflicht für Zeiträume ohne geöffnete Kinderarztpraxen obliegt der Kassenärztlichen Vereinigung, die niedergelassene Kinderärzte bereit stellt.
Für Eltern bedeutet die Situation vorrangig erstmal eins: Sie werden künftig noch länger warten müssen. Vor allem, wenn sie erst den Allgemeinen Ärztlichen Notdienst in Anspruch nehmen. Denn da hier keine Kinderfachärzte arbeiten, werden die Patienten in vielen Fällen nach langer Wartezeit ins Kinderzentrum Bethel geschickt werden – wo sie dann wieder warten müssen. „Das ist ganz klar eine Einschränkung in der Versorgung“, sagt Marcus Heidemann, Vorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte Westfalen-lippe.
„Und trotzdem geht es nicht anders, weil die niedergelassenen Kinderärzte durch die Notdienste eine massive Ausweitung ihrer Arbeitszeiten und eine unzumutbare Überlastung erfahren. Auch das erhöht die Gefahr, Dinge zu übersehen oder nicht richtig einzuschätzen.“
Genau dieser Fall war zuletzt in der Region eingetreten, als die vierjährige Emily Jahnke nach einer tagelangen Odyssee durch Notaufnahmen und Praxen an einer übersehenen Blutvergiftung und Lungenentzündung starb.
Ein großes Problem ist vor diesem Hintergrund aber nicht nur die Personalknappheit, sondern immer wieder auch die Überfüllung der Notfalleinrichtungen mit Patienten, die das Angebot eigentlich nicht brauchen. Auch im Notdienst sei das immer wieder der Fall, so Heidemann. „Da hustet ein Kind schon drei Tage. Und dann kommen Eltern erst abends, weil es tagsüber mit ihren Arbeitszeiten nicht passt. Oder sie erst abends ein Auto haben. Oder die Vertretung ihres regulären Kinderarztes nichtmögen. Dafürist dernotdienst aber nicht da.“
Auch Sebastian Gaus, Ärztlicher Leiter der Notaufnahme im Kinderzentrum Bethel, erlebt in seinem Arbeitsalltag immer wieder, dass Kinder, die unter einem einfachen Infekt leiden, mit ihren Eltern in der Noki oder der Kindernotfallpraxis vorstellig werden. „Das führt zu langen Wartezeiten und Unmut. Natürlich müssen aber die schwer kranken Kinder vorrangig behandelt werden.“
Kürzungen auch in anderen Kreisen OWLS möglich
Doch woran erkennen Eltern, dass ihr Kind kein Notfall ist? Fieber bei Kindern, auch hohes, sei zum Beispiel erstmal nicht besorgniserregend. „Fieber ist keine Erkrankung, sondern ein Symptom, das uns anzeigt, dass etwas nicht in Ordnung ist“, ergänzt Kinderärztin Pascale Gerdes. „Wichtig ist dabei immer der
Gesamteindruck: Hat das Kind Erkältungsanzeichen? Trinkt es ausreichend? Lässt es Urin? Ist es schlapp, aber verhält sich sonst wie immer? Dann ist es kein Notfall.“
Ein Einschätzungsvermögen wie dieses könnte künftig immer wichtiger für Eltern werden. Denn unter Umständen stehen der Region OWL noch weitere Einschnitte in der Notfallversorgung von Kindern bevor, das kann Kinderärztesprecher Marcus Heidemann nicht ausschließen. „Es kann passieren, dass zwei weitere Notfallbezirkezusammengelegt werden, wie das in Bielefeld und im Kreis Gütersloh geschehen ist.“Hintergrund für die Engpässe sind Personalknappheitundnachwuchssorgen. So teilt die Kassenärztliche Vereinigung auf Anfrage dieser Redaktion mit: „Die Herausforderung ist, bei sinkender Zahl an Ärztinnen und Ärzten in zentralen Bereitschaftsdienst-praxen dennoch einen umfassenden, täglichen Bereitschaftsdienst anzubieten, dessen Dienste sich die Mediziner teilen.“