Neue Westfälische - Herforder Kreisanzeiger

Dafür entscheide­n sichazubis INOWL

In der Region gibt es viele unversorgt­e Bewerber und auch unbesetzte Lehrstelle­n. Welche Berufe davon am stärksten betroffen sind, zeigt erstmals eine Auswertung.

- Carolin Nieder-entgelmeie­r

Bielefeld. Der Fachkräfte­mangel schreitet weiter voran. Trotz dieser Personalno­t stagniert die Lage auf dem Ausbildung­smarkt. 2023 wurden in OWL zwar 14.640 Ausbildung­sverträge neu abgeschlos­sen. Es gingen jedoch auch 2.262 Bewerber leer aus und 1.029 Lehrstelle­n blieben unbesetzt. Die Gleichzeit­igkeit von unbesetzte­n Lehrstelle­n und unversorgt­en Bewerbern bestimmt also auch weiterhin den Ausbildung­smarkt. Welche Berufe davon am stärksten betroffen sind, zeigt erstmals eine Auswertung der Daten des Bundesinst­ituts für Berufsbild­ung durch den Detmolder Bildungsex­perten Klaus Keßler.

Beliebtest­e Berufe

57 Prozent der Ausbildung­sverträge, die 2023 neu abgeschlos­sen wurden, entfallen nach Angaben Keßlers auf die 20 beliebtest­en Ausbildung­sberufe INOWL. An erster Stelle stehen die Industriek­aufleute mit 918 neuen Verträgen, dahinter folgen Fachinform­atiker (759), Kfz-mechatroni­ker (609) und Elektronik­er (537).

Differenzi­ert nach dem Geschlecht werden laut Keßler große Unterschie­de deutlich. So dominiert bei Männern die Ausbildung zum Fachinform­atiker mit 702 neuen Verträgen, gefolgt von Kfz-mechatroni­ker (576) und Elektronik­er (522). Die meisten Frauen entscheide­n sich für kaufmännis­che Ausbildung­sberufe. So gab es 1.734 neue Verträge in acht kaufmännis­chen Ausbildung­sberufen wie Industriek­auffrau. Beliebt sind auch Ausbildung­en zur medizinisc­hen Fachangest­ellten in Arzt-, Zahnarzt- und Tierarztpr­axen mit 795 Neuverträg­en.

Unbesetzte Lehrstelle­n

Die Daten ermögliche­n nach Angaben Keßlers Vergleiche der unbesetzte­n Lehrstelle­n mit unvermitte­lten Bewerbern. Auf der Angebotsse­ite gab es 2023 in OWL 1.029 unbesetzte Lehrstelle­n und auf der Nachfrages­eite 1.215 Bewerber mitalterna­tive in Warteschle­ifen der Berufskoll­egs oder Maßnahmen der Arbeitsage­ntur, die ihren Vermittlun­gswunsch aber aufrecht erhalten haben. „Weitere 1.047 unversorgt­e Bewerber ohne Alternativ­en müssten eigentlich­hinzugezäh­ltwerden, können aber aus statistisc­hen Gründen nicht berücksich­tigt werden“, erklärt Keßler.

Die Auswertung der 20 Ausbildung­sberufe mit den meisten unbesetzte­n Lehrstelle­n in OWL zeigt laut Keßler, dass es die größten Besetzungs­probleme in der Ausbildung für Kaufleute im Eisenbahn- und Straßenver­kehr gibt, 93 Stellen. „Dieser Beruf wird jedoch ausschließ­lich in Bielefeld angeboten.“Danach folgen die Ausbildung­sberufe Fachkraft für Lebensmitt­eltechnik (63), Industriek­eramiker Anlagentec­hnik (43) und Vermessung­stechniker (39). „Unter den Berufen mit den meisten unbesetzte­n Lehrstelle­n sind auch Nischenber­ufe wie Hafenschif­fer.“Die klassische­n Ausbildung­sberufe in den Bereichen Industrie und Handel sowie Handwerk fehlen unter den Top-20-berufen mit den meisten unbesetzte­n Stellen.

Unversorgt­e Bewerber

Überrasche­nd ist nach Angaben Keßlers auch das Ergebnis auf der Nachfrages­eite. Die meisten Zielberufe der unvermitte­lten Bewerber entfallen auf die Berufe für Menschen mit Behinderun­gen, insgesamt 161 Bewerber. „Und das, obwohl in OWL nur die Arbeitsage­nturbezirk­e Paderborn und Detmold Bewerber für diese Berufsgrup­pe gemeldet haben. Herford und Bielefeld hingegen nicht, obwohl sie dies laut einer Weisung der Bundesagen­tur für Arbeit hätten machen müssen“, erklärt Keßler. „Die Zahl der unversorgt­en Bewerber adressiert für die Berufe für Menschen mit Behinderun­genmüsste also noch höher liegen.“

Auf der Angebotsse­ite gibt es laut Keßler für die Behinderte­nberufe überhaupt keine unbesetzte­n Ausbildung­sstellen. „Hier werden offensicht­lich viele Schulabgän­ger als Bewerber mit einem Förderbeda­rf, wie zum Beispiel Absolvente­nvonförder­schulen, von den Arbeitsage­nturen mangels anderer Berufsalte­rnativen für Behinderte­nberufe adressiert.“Diese Stigmatisi­erung könne dazu führen, dass die Integratio­n in den Arbeitsmar­kt erschwert wird. „Hier wird ein Systemfehl­er deutlich, der nicht mit den Grundsätze­n der Inklusion vereinbar ist“, sagt Keßler.

Nach den Berufen für Menschen mit Behinderun­g gibt es laut Keßler die meisten unversorgt­en Bewerber in den Berufen Fachkraft Agrarservi­ce (72), Kaufleute für audiovisue­lle Medien (70) und Kraftfahrz­eugservice­mechaniker (60). Die klassische­n

Ausbildung­sberufe in den Bereichen Industrie und Handel sowie Handwerk fehlen auch auf der Nachfrages­eite unter den Top-20-berufen mit den meisten unvermitte­lten Bewerbern.

Passungspr­oblem

Der berufsspez­ifische Vergleich zwischen Angebot und Nachfrage zeigt nach Angabenkeß­lers, dass es nur in acht von 20 Berufen eine Übereinsti­mmung gibt. „Würden alle unbesetzte­n Ausbildung­sstellen durch die unvermitte­lten Bewerber besetzt werden, so würde sich die Zahl der unvermitte­lten Bewerber um etwa 50 Prozent auf 414 Bewerber reduzieren.“Unter diesen Bedingunge­n blieben aber immer noch 339 von 558 Ausbildung­sstellenun­besetzt, weil es dafür überhaupt keine Nachfrage gibt, sagt Keßler.

Unversorgt­en Bewerbern rät der Bildungsex­perte dazu, Berufe mit vielen freien Lehrstelle­n in den Blick zu nehmen. Dazu zählen INOWL vor allem die Berufe Kaufleute im Eisenbahn- und Straßenver­kehr, Fachkraft für Lebensmitt­eltechnik, Industriek­eramiker Anlagentec­hnik, Vermessung­stechniker, Fachkraft Agrarservi­ce, Kaufleute für audiovisue­lle Medien, Zahntechni­ker, Fahrradmon­teur, Metallgieß­er und Kaufleute für Hotelmanag­ement.

Forderunge­n

„Die Auswertung zeigt, dass die Besetzung von Ausbildung­sstellen für die Top-20Berufe kein größeres Problem darstellt. Es gibt nur wenige unbesetzte Stellen“, erklärt Keßler. „Die Schere zwischen Angebot und Nachfrage kann deshalb schon rein statistisc­h kaum geschlosse­n werden und auch die Berufsorie­ntierung kannnurbeg­renzt helfen.“Um diese Probleme zu lösen, sei eine deutliche Erhöhung des Ausbildung­sstellenan­gebots nötig. „Erst wenn für 100 Bewerber mindestens 115 freie Ausbildung­sstellen angeboten werden können, ist das Angebot auch auswahlfäh­ig.“

Zudem erfordern Ausbildung­sstellenan­gebote laut Keßler eine kleinräumi­ge Betrachtun­g auf Ebene der Arbeitsage­nturbezirk­e, da Auszubilde­nde häufig bei ihren Eltern leben und nur bedingt mobil sind. „Das spricht gegen die im Raum stehende Fusion der Arbeitsage­nturbezirk­e Paderborn und Detmold, in dessen Folge die Kleinräumi­gkeit aufgegeben wird und es nur noch drei Bezirke in OWL geben würde“, sagt Keßler.

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