Neue Westfälische - Herforder Kreisanzeiger

Der Rathausbal­kon ist vergoldet

Die Mitarbeite­r der Schlossere­i Schnelle bereiten das Geländer am Büro des Bürgermeis­ters Tim Kähler neu auf und machen bei ihren Arbeiten eine glänzende Entdeckung.

- Susanne Blersch

Herford. Solch einen Fund haben Bernd Schnelle und sein Team noch nicht gehabt. Die Schlossere­i hat von der Stadt Herford den Auftrag bekommen, den Rathausbal­kon neu aufzuarbei­ten. „Eine eher unspektaku­läre Arbeit“, sagt Schlosserm­eister und Restaurato­r Bernd Schnelle. Bis er und seine Kollegen die Bürste ansetzen, um das Geländer von Rost zu befreien. „Unter den abgeplatzt­en Farbschich­ten glänzte es plötzlich.“Einige Handgriffe später kann das Team belegen: Der Balkon vor dem Büro des Bürgermeis­ters ist vergoldet.

Die eiserne Brüstung auf Höhe des ersten Stockwerks sollte von Grund auf wieder hübsch gemacht werden. Vor etwa fünf Jahren hat das Geländer zwar einen frischen Anstrich bekommen, diesmal sollte die Schlossere­i Schnelle aber in die Tiefe gehen. Das Gitterwerk soll das Herforder Unternehme­n komplett aufbereite­n. Dafür muss zuerst der Rost entfernt werden. „Das Material wird abgebürste­t, aber vorsichtig“, sagt Schnelle und lacht. „Schließlic­h weiß man nie, was man findet.“

In diesem Fall hat die Firma Gold gefunden. Die senkrechte­n Gitterstäb­e sind komplett vergoldet. „Das Blattgold befindet sich aber nur an der Außenseite“, sagt Schnelle. Die glänzende Verpackung des Balkons sollte einst wohl ein besonders repräsenta­tives Bild abgeben.

Das Rathaus wurde am 7. Februar 1917 eingeweiht. Kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 hatten die Arbeiten am 15. April begonnen. Dass ein neues Rathaus gebaut werden soll, hielt der endgültige Baubeschlu­ss am 30. Mai 1911 fest. So hat es Christoph Laue im historisch­en Überblick „100 Jahre Herforder Rathaus“festgehalt­en. In der 126 Seiten starken Abhandlung, die vom Herforder Geschichts­verein herausgege­ben worden ist, findet sich allerdings kein Vermerk zum goldenen Balkon.

„Es sagt mir nichts“, sagt Laue im Gespräch mit der „NW“. Herfords Stadtarchi­var ist im Herbst 2022 in den Ruhestand gegangen und schätzt die Aktenmenge über den Rathausbau im Archiv auf etwa 100 Stück. Bei dessen Durchsicht seien ihm keine Hinweise auf eine vergoldete Brüstung aufgefalle­n.

Auch bei der städtische­n Denkmalbeh­örde gibt es nach Angaben von Bettina Lange keine Unterlagen dazu. „Das

Balkongitt­er ist aber seit der Bauzeit dran. Daran ist nichts verändert worden“, sagt Lange, die keine Idee hat, wo das Gold herkommt und wann es dort angebracht worden ist.

Christoph Laues Vermutung: „Ich gehe davon aus, dass es bauzeitlic­h passiert ist.“Denn große Veränderun­gen am Rathaus hätte es in all den Jahrzehnte­n kaum gegeben. „1988/89 wurde es neu gestrichen“, weiß Laue, der sich nicht vorstellen kann, dass zu diesem Zeitpunkt Blattgold aufgetrage­n worden ist.

Das deckt sich mit der Aussage des Willicher Stadtarchi­vars Udo Holzenthal. „Im Vorfeld des Ersten Weltkriege­s hatten die Gemeinden Geld. Da kann ich mir einen vergoldete­n Balkon durchaus vorstellen. Während der Kriege und

auch danach gab es keine Finanzmitt­el.“Holzenthal schätzt, ohne die genaue Geschichte des Herforder Rathauses zu kennen, dass der Balkon schon vor 1914 beauftragt und bezahlt worden ist. „Daher könnte die Vergoldung stammen.“

Ungewöhnli­ch ist die Entdeckung allemal: „Das ist für uns schon außergewöh­nlich“, sagt Schlosserm­eister Schnelle, der schon viele interessan­te Aufträge umgesetzt hat. So haben er und sein Team den Jahrhunder­tbrunnen vor dem Modehaus Klingentha­l restaurier­t, ebenso wie das historisch­e und denkmalges­chützte Tor zum Alten Friedhof an der Hermannstr­aße, aber auch die Gestaltung des Davidstern­s an der Synagoge ist Schnelles Werk. Ihm machen Arbeiten

Spaß, die stadtbildp­rägend sind. Die Aufarbeitu­ng eines Balkons gehöre normalerwe­ise nicht dazu. Durch die Entdeckung hat sich das jetzt geändert.

Etwa sechs Meter lang ist die Brüstung. Der Handlauf liegt zurzeit in der Werkstatt an der Gaußstraße. „Hier ist aber kein Gold dran“, sagt der Firmeninha­ber. Dafür müssen die Restaurato­ren die verrostete­n Flacheisen, die unterhalb des Handlaufs angebracht waren, austausche­n. „Die waren so verrostet, dass sie nicht mehr zu verwenden sind und wir sie neu erstellt haben.“Auf den alten Flacheisen sind zudem orangefarb­ige Spuren deutlich zu sehen. „Das ist Bleimennig­e“, klärt der Fachmann auf. Das Rostschutz­mittel ist häufig angewandt worden. „Der

Schwermeta­llanteil macht uns heute das Leben schwer.“

Während der Osterferie­n hat der Betrieb den Balkon hergericht­et. Mitte der Woche wird der Handlauf mithilfe eines Krans wieder auf die Brüstung gesetzt. „Per Hand ist das schwierig zu machen“, sagt Schnelle. Die Sperrigkei­t und das Gewicht spielen hier eine Rolle. „Da wollen wir in der Höhe kein Risiko eingehen.“

Eingerüste­t bleibt der Balkon vorm Bürgermeis­terbüro dann noch eine Zeit lang. Denn nach den Restaurier­ungsarbeit­en braucht das Geländer noch den passenden Anstrich. „Nach uns kommt der Maler.“Goldfarbig wird der Balkon aber wohl nicht gestrichen. Schnelle: „Die Farbe nutzt sich zu schnell ab, dann muss man in zwei Jahren wieder ran.“

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Foto: Bernd Schnelle Auf diesem Bild ist die glänzende Blattgold-Verzierung deutlich zu sehen. Sie ist unter etlichen Schichten Farbe und Rost verborgen gewesen.
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Über dem Haupteinga­ng des Rathauses ist der Balkon derzeit eingerüste­t.
 ?? Fotos: Susanne Blersch ?? Bernd Schnelle, Schlosserm­eister und Restaurato­r, bereitet in seiner Werkstatt den Handlauf des Balkons auf.
Fotos: Susanne Blersch Bernd Schnelle, Schlosserm­eister und Restaurato­r, bereitet in seiner Werkstatt den Handlauf des Balkons auf.

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