Neue Westfälische - Herforder Kreisanzeiger
Der Rathausbalkon ist vergoldet
Die Mitarbeiter der Schlosserei Schnelle bereiten das Geländer am Büro des Bürgermeisters Tim Kähler neu auf und machen bei ihren Arbeiten eine glänzende Entdeckung.
Herford. Solch einen Fund haben Bernd Schnelle und sein Team noch nicht gehabt. Die Schlosserei hat von der Stadt Herford den Auftrag bekommen, den Rathausbalkon neu aufzuarbeiten. „Eine eher unspektakuläre Arbeit“, sagt Schlossermeister und Restaurator Bernd Schnelle. Bis er und seine Kollegen die Bürste ansetzen, um das Geländer von Rost zu befreien. „Unter den abgeplatzten Farbschichten glänzte es plötzlich.“Einige Handgriffe später kann das Team belegen: Der Balkon vor dem Büro des Bürgermeisters ist vergoldet.
Die eiserne Brüstung auf Höhe des ersten Stockwerks sollte von Grund auf wieder hübsch gemacht werden. Vor etwa fünf Jahren hat das Geländer zwar einen frischen Anstrich bekommen, diesmal sollte die Schlosserei Schnelle aber in die Tiefe gehen. Das Gitterwerk soll das Herforder Unternehmen komplett aufbereiten. Dafür muss zuerst der Rost entfernt werden. „Das Material wird abgebürstet, aber vorsichtig“, sagt Schnelle und lacht. „Schließlich weiß man nie, was man findet.“
In diesem Fall hat die Firma Gold gefunden. Die senkrechten Gitterstäbe sind komplett vergoldet. „Das Blattgold befindet sich aber nur an der Außenseite“, sagt Schnelle. Die glänzende Verpackung des Balkons sollte einst wohl ein besonders repräsentatives Bild abgeben.
Das Rathaus wurde am 7. Februar 1917 eingeweiht. Kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 hatten die Arbeiten am 15. April begonnen. Dass ein neues Rathaus gebaut werden soll, hielt der endgültige Baubeschluss am 30. Mai 1911 fest. So hat es Christoph Laue im historischen Überblick „100 Jahre Herforder Rathaus“festgehalten. In der 126 Seiten starken Abhandlung, die vom Herforder Geschichtsverein herausgegeben worden ist, findet sich allerdings kein Vermerk zum goldenen Balkon.
„Es sagt mir nichts“, sagt Laue im Gespräch mit der „NW“. Herfords Stadtarchivar ist im Herbst 2022 in den Ruhestand gegangen und schätzt die Aktenmenge über den Rathausbau im Archiv auf etwa 100 Stück. Bei dessen Durchsicht seien ihm keine Hinweise auf eine vergoldete Brüstung aufgefallen.
Auch bei der städtischen Denkmalbehörde gibt es nach Angaben von Bettina Lange keine Unterlagen dazu. „Das
Balkongitter ist aber seit der Bauzeit dran. Daran ist nichts verändert worden“, sagt Lange, die keine Idee hat, wo das Gold herkommt und wann es dort angebracht worden ist.
Christoph Laues Vermutung: „Ich gehe davon aus, dass es bauzeitlich passiert ist.“Denn große Veränderungen am Rathaus hätte es in all den Jahrzehnten kaum gegeben. „1988/89 wurde es neu gestrichen“, weiß Laue, der sich nicht vorstellen kann, dass zu diesem Zeitpunkt Blattgold aufgetragen worden ist.
Das deckt sich mit der Aussage des Willicher Stadtarchivars Udo Holzenthal. „Im Vorfeld des Ersten Weltkrieges hatten die Gemeinden Geld. Da kann ich mir einen vergoldeten Balkon durchaus vorstellen. Während der Kriege und
auch danach gab es keine Finanzmittel.“Holzenthal schätzt, ohne die genaue Geschichte des Herforder Rathauses zu kennen, dass der Balkon schon vor 1914 beauftragt und bezahlt worden ist. „Daher könnte die Vergoldung stammen.“
Ungewöhnlich ist die Entdeckung allemal: „Das ist für uns schon außergewöhnlich“, sagt Schlossermeister Schnelle, der schon viele interessante Aufträge umgesetzt hat. So haben er und sein Team den Jahrhundertbrunnen vor dem Modehaus Klingenthal restauriert, ebenso wie das historische und denkmalgeschützte Tor zum Alten Friedhof an der Hermannstraße, aber auch die Gestaltung des Davidsterns an der Synagoge ist Schnelles Werk. Ihm machen Arbeiten
Spaß, die stadtbildprägend sind. Die Aufarbeitung eines Balkons gehöre normalerweise nicht dazu. Durch die Entdeckung hat sich das jetzt geändert.
Etwa sechs Meter lang ist die Brüstung. Der Handlauf liegt zurzeit in der Werkstatt an der Gaußstraße. „Hier ist aber kein Gold dran“, sagt der Firmeninhaber. Dafür müssen die Restauratoren die verrosteten Flacheisen, die unterhalb des Handlaufs angebracht waren, austauschen. „Die waren so verrostet, dass sie nicht mehr zu verwenden sind und wir sie neu erstellt haben.“Auf den alten Flacheisen sind zudem orangefarbige Spuren deutlich zu sehen. „Das ist Bleimennige“, klärt der Fachmann auf. Das Rostschutzmittel ist häufig angewandt worden. „Der
Schwermetallanteil macht uns heute das Leben schwer.“
Während der Osterferien hat der Betrieb den Balkon hergerichtet. Mitte der Woche wird der Handlauf mithilfe eines Krans wieder auf die Brüstung gesetzt. „Per Hand ist das schwierig zu machen“, sagt Schnelle. Die Sperrigkeit und das Gewicht spielen hier eine Rolle. „Da wollen wir in der Höhe kein Risiko eingehen.“
Eingerüstet bleibt der Balkon vorm Bürgermeisterbüro dann noch eine Zeit lang. Denn nach den Restaurierungsarbeiten braucht das Geländer noch den passenden Anstrich. „Nach uns kommt der Maler.“Goldfarbig wird der Balkon aber wohl nicht gestrichen. Schnelle: „Die Farbe nutzt sich zu schnell ab, dann muss man in zwei Jahren wieder ran.“