Neue Westfälische - Herforder Kreisanzeiger
Im Herforder Rathaus wirdeines der letzten Todesurteile der Bundesrepublik gefällt
Drei Männer brechen in Vlotho bei der Familie eines britischen Offiziers ein. Einer der Verbrecher ist bewaffnet und tötet den Oberst. Darauf steht der Galgen.
Herford/vlotho. Der große Saal im Herforder Rathaus mit seiner dunklen Holzvertäfelung. Hier tagt das Stadtparlament, hier wird über die Zukunft Herfords entschieden. Es ist aber auch ein Raum voller Vergangenheit. Im Sommer 1950 ist der große Saal der Ort, an dem wohl eines der letzten Todesurteile in der noch jungen Bundesrepublik gefällt wird – obwohl die Todesstrafe im neuen deutschen Staat bereits abgeschafft ist.
Sie wird verhängt für eine Tat, die in Großbritannien Bestürzung auslöst: der Mord an Sir John Sheehy, den Finanzexperten der britischen Militärregierung in Deutschland.
Der59-jährigebeamteübernimmt nach seinem Studium zunächst in Indien und Burma, dem heutigen Myanmar, über Jahrzehnte Verwaltungsaufgaben für das Britische Empire. Er kämpft zwischen 1914 und 1918 im Ersten Weltkrieg und ist bis zur indischen Unabhängigkeit 1947 wieder auf dem Subkontinent im Dienst. In der Nacht zum 11. Mai 1949 wird er in Vlotho erschossen.
Ein weißes Haus an der Weserstraße: Damals ist das Anwesen samt des repräsentativen Grundstücks von der britischen Militärregierung für dieunterbringungihresbeamten requiriert. Oberst John Sheehy, geboren 1889 im irischen Tuam als Sohn eines Polizisten, hat es mit seiner Frau bezogen. Sie hat ihn nach Deutschland begleitet. Das Paar hat drei Kinder.
Mit der Unabhängigkeit hat der Kolonialbeamte Indien verlassen und ist als Finanzexperte zunächst in den Dienst des Alliierten Kontrollrats in Deutschland gewechselt. Der Kontrollrat hat nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Verwaltung des in vier Besatzungszonen aufgeteilten früheren Deutschen Reichs übernommen – bis zur Gründung der Bundesrepublik 1949. Sheehy ist mittlerweile Finanzexperte des Militärgouverneurs.
Sicherheitslage in Ostwestfalen ist damals nicht gut
Brauerei leben. W. undm. kappen die Telefonleitung, gehen ins Gebäude, sperren das Dienstmädchen ein, während ihr Komplize draußen Schmiere steht.
Im Inneren stehen die Männer nach kurzer Zeit im Schlafzimmerambettvonjohnsheehy. Sie halten dem Oberst eine Pistole an den Kopf, wecken ihn. „Hände hoch, geben Sie die Uhr her“, wollen die Täter – wie Robert M. später berichtet – gesagt haben.
Auch John Sheehys Ehefrau wird wach. Sie berichtet gegenüber den Ermittlern, dass sie zunächst eine Person mit einer Pistole gesehen hat. „Der Fremde richtete den Revolver auf mich, was er sagte, konnte ich nicht verstehen“, so die Witwe.
Sie habe gesehen, dass ihr Mann etwas in der Hand gehalten habe – offenbar ist es ein Schuh. Dann sei ein Schuss gefallen. John Sheehy sackt zusammen, die Täter fliehen. Die Ehefrau riegelt die Tür ab, bis die Haushaltshilfe hinunterkommt. Ein zur Hilfe gerufener deutscher Arzt kann nur noch den Tod des 59-Jährigen feststellen. Die Kugel hat sein Herz getroffen.
Antonius W. behauptet später, dass der Schuss unabsichtlich losgegangen ist. „Ich habe nicht gewusst, dass die Waffe geladen war“, sagt er aus. John Sheehys Witwe hingegen geht davon aus, dass sich ihr Mann gegen die Einbrecher in der Tatnachtwehrenwill. Nachder Flucht der drei Männer beginnen die Ermittlungen: Vor allem Fingerabdrücke sind es, die damals am Tatort genommen werden. Auch die Kugel lässt Rückschlüsse auf die Waffe zu. Zeugen werden befragt.
In Großbritannien löst die Tat Bestürzung aus. „Thieves kill Briton in German Home“,
„Diebe töten Briten in (seinem) deutschen Haus“, titelt der britische Daily Mirror. Und weiter heißt es: Einbrecher ermordeten Sir John Sheehy.
Es dauert Tage, bis die Ermittler erfolgreich sind und die Verbrecher fassen. Als erster Täter wird Robert M. gefasst. Der 30-Jährige versucht, aus der Haft einen Kassiber, eine versteckte Nachricht, zu schmuggeln, in der er Antonius W. belastet. Durch diese Nachricht von M., der kurz darauf auch ein Geständnis ablegt, kommen die britischen Mordermittler dem 24-Jährigen auf die Spur.
Britische Zeitung berichtet über den Mord in Vlotho
Am 25. Mai klicken für den Schützen in Minden die Handschellen. Antonius W., der nach seiner Verhaftung in das Mindener Gefängnis gebracht wird, ahnt, was ihm droht und weint. „Mister Harris, werde ich nun gehängt?“, fragt er den ihn begleitenden britischen Polizeioffizier.
Die Ermittlungen in dem Mordfall laufen zunächst beim sogenannten niederen Gericht in Bielefeld, einer Art Untersuchungsgericht und Staatsanwaltschaft, die sowohl die Zeugen als auch die Beschuldigten vernimmt, Beweise registriert und schließlich den Fall zur Verhandlung an das Obergericht übergibt. Dort bestätigt sich auch, dass Antonius W.s Komplize Robert M. bereits vier Raubüberfälle verübt hat. Etwa auf das Ausflugslokal Walhalla inbadsalzuflen und auf einen Landwirt im Exteraner Ortsteil Solterwisch.
Das Obergericht hat 1950 ebenfalls in Bielefeld seinen
Der Mord löst in Großbritannien Bestürzung aus.
Sitz, verlegt ihn aber für den am 4. Juni 1950 beginnenden Mord-prozess gegen das Trio in den großen Saal des Herforder Rathauses.
Zwei Tage werden die Richter Zeugen und Sachverständige hören, darunter die Witwe, die Kriminalbeamten und die Angeklagten. Peter W. bleibt bei der Version, dass es sich um einen Unfall gehandelt hat, er ja gar nicht schießen wollte. Bereits einen Tag später, am Morgen des 5. Juli ergeht das Urteil. Der Komplize M., der mit Peter W. im Haus war, erhält eine Zuchthausstrafe von 15 Jahren, sein Stiefbruder, der in der Tatnacht Schmiere steht, muss für zehn Jahre in Haft.
Als Hauptschuldigen sieht der britische Ankläger Antonius W. Er ist, so der Staatsanwalt, der Kopf der Bande. Er hat das Haus ausgesucht, das Telefonkabel zerschnitten, das Dienstmädchen eingesperrt sowie John Sheehy und seine Frau mit der Pistole bedroht.
Das Gericht hat mittlerweile die Wahl zwischen der Anwendung des bundesdeutschen Strafrechts und dem britischen Recht, das nach wie vor die Todesstrafe ermöglicht. Antonius W.s Verteidiger verweistauf dasalter seines Mandanten, dass er nicht gewusst habe, wen er überfällt, und bittet um Milde.
W. hat an beiden Prozesstagen, so Beobachter, fast regungslos auf seinem Platz gesessen. Ebenso regungslos nimmt er den Schuldspruch und das Urteil auf: die Todesstrafe – damals etwa durch Erschießen oder aber vor allem durch Hängen am Galgen praktiziert. Der Tod tritt beim Hängen nicht durch den Luftabschluss ein, sondern durch das Fallen des Delinquenten, bei dem ihm das Genick gebrochen wird. Hingerichtet werden damals noch vor allem Ns-kriegsverbrecher, aber auch gewöhnliche Täter in den Zuchthäusern in Werl und vor allem im niedersächsischen Hameln mit dem Galgen. Antonius W., aber auch seine beiden Mitangeklagten, werden damals zunächst nach Werl überstellt.
Antonius W. wendet sich über seinen Verteidiger im August an das höchste britische Gericht. Der britische Generalstaatsanwalt zählt in der eineinhalbstündigen Berufungsverhandlung – die offenbar auf einem alten Bild des Herforder Kommunalarchivs zu sehen ist – noch einmal alle Fakten auf, die gegen Antonius W. sprechen – und auch das Gericht bestätigte das Todesurteil.
John Sheehys Frau hat in der Tatnacht mehrfach den Namen ihres Mannes „John“gerufen. Antonius W. hätte danach klar sein müssen, dass es sich um Angehörige der britischen Streitkräfte handelt, erklären die Richter. Damit hat Antonius W. wohl die Basis für sein eigenes Todesurteil geschaffen. Und gleichzeitig zeigt das Urteil einen Zwiespalt zwischen dem britischen Besatzungsrecht und dem neu geschaffenen bundesdeutschen Strafrecht, das schon damals – entgegen einiger Gesetze in den Bundesländern – bereits keine Todesstrafe mehr kennt. Doch auch nach der westdeutschen Staatsgründung werden laut Internet ab Mai 1949 insgesamt16weiteremänner, vor allem Ns-täter, aber offensichtlich auch drei andere Straftäter, hingerichtet.
Letztlich hat Antonius W. aber trotz der beiden Gerichtsverfahren noch Glück. Derhohe Kommissar, der damals für die Bestätigung von Todesurteilen zuständig ist, unterschreibt das Herforder Urteil nicht. Die Strafe für Antonius W. wird in 21 Jahre Zuchthaus umgewandelt. Danach müsste er um das Jahr 1970 wieder entlassen worden sein. Seine Spur verliert sich. Die Witwe Jean Sheehy und ihre drei Kinder müssen wie viele andere Angehörige von Mordopfern lebenslänglich mit den Folgen der Tat leben.