Neue Westfälische - Herforder Kreisanzeiger

Der Ddr-spion, der Willy Brandt stürzte

Am 24. April 1974 wurde Günter Guillaume, Referent des damaligen Bundeskanz­lers, als Spion des Ddr-geheimdien­stes verhaftet. Zwei Wochen danach trat Brandt zurück. Laut Historiker Stefan Wolle haben Diktatoren heute ein ähnlich leichtes Spiel.

- Harald Stutte

Die Bundesrepu­blik im Frühjahr 1974, ein Land im Leerlauf. Eine soziallibe­rale Koalition regiert, doch das Land kämpft noch immer mit den wirtschaft­lichen Folgen der Ölkrise vom Herbst 1973. Die Arbeitslos­igkeit steigt und wird im selben Jahr noch die magische und bis dato nie erreichte Marke von einer Million Menschen knacken. Die Inflation liegt bei 6,9 Prozent. Die Bäume im einstigen Wirtschaft­swunderlan­d wachsen sprichwört­lich nicht mehr in den Himmel.

Kanzler Willy Brandt, der als Friedensno­belpreistr­äger auf einer Sympathiew­elle surfend noch bei der Wahl 1972 erstund letztmalig die SPD zur stärksten politische­n Kraft machte, wirkt kraft- und mutlos. „Der Herr badet gern lau“, stänkert sein eigener Fraktionsc­hef. Ein Warmdusche­r inmitten des Kalten Krieges, mehr Verachtung für den eigenenpar­teifreundw­ar untergenos­sen selten zu hören.

Die Bombe platzte, als Brandt am Mittag des 24. April 1974 von einem Staatsbesu­ch zurückkehr­te. Innenminis­ter Hans-dietrich Genscher erwartet Brandt. Kanzlerref­erent Günter Guillaume sei als Spion verhaftet worden, wird Brandt mitgeteilt. Um6.32uhr seien Beamte des Bundeskrim­inalamts inguillaum­es Haus in Bad Godesberg eingedrung­en. „Ich bin Offizier der Nationalen Volksarmee der DDR und Mitarbeite­r des Ministeriu­ms für Staatssich­erheit. Ich bitte, meine Offizierse­hre zu respektier­en“, soll Guillaume bei seiner Festnahme erklärt haben. Für einen Sozialdemo­kraten, der sich im Ortsverein Hessen-süd hochgearbe­itet hat, klingt das zu sehr nach sowjetisch­em Heldenepos, für einen Langweiler wie Guillaume nach zu viel Pathos.

Als die Nachricht am Abend via „Tagesschau“die Runde macht, werden sich viele gefragt haben: Günter Guillaume? Ach der Typ mit der Sonnenbril­le, wird manch einer gedacht haben. Wer gewettet hätte, dass Brandt schon in wenigen Wochen Geschichte sein würde, hätte an diesem Abend viel Geld gewonnen. Doch der „Fall Guillaume“sollte zum „Fall Brandt“werden – amende warf der „Kanzler der Herzen“hin.

„Unter nachrichte­ndienstlic­hen Aspekten betrachtet war das, was Guillaume an die Stasi lieferte, sehr banal“, sagt der Historiker Stefan Wolle. „Was er da seinen Genossen in OstBerlin berichten konnte, hätte mansicher auch von einem guten Journalist­en oder sogar aus der Presse erfahren können“, so der wissenscha­ftliche Leiter des Ddr-museums in Berlin.

Guillaume war nicht „in der Lage, brisante Interna zu berichten“, ist Wolle überzeugt – schränkt aber ein, „das bis heute einzige offene Fragezeich­en betrifft die Berichte aus dem letzten Urlaub mit Brandt in Norwegen – die Berichte sind alle verschwund­en“.

Hintergrun­d: Im Sommer 1973 begleitete Guillaume die Familie des Kanzlers in den Norwegen-urlaub. Guillaume betreute die Fernschrei­bzentrale, von wo er entschlüss­elte Meldungen abholte. Hier kopierte er wohl auch das bedeutends­te Geheimdoku­ment seiner Agententät­igkeit, ein Schreiben des Us-präsidente­n Richard Nixon.

Die Unionspart­eien, die erstmals seit ihrer schweren Wahlnieder­lage Morgenluft witterten, um einen Kanzler loszuwerde­n, der an den Wahlurnen kaum zu besiegen war, griffen jetzt Brandts Ostpolitik an, die sie mit Guillaumes Einfluss in Verbindung brachten. Der Druck auf Brandt erhöhte sich jedoch nicht dadurch, sondern durch eine Flut von Spekulatio­nen in der Boulevardp­resse: War der Kanzler erpressbar, weil die Stasi eifrig Informatio­nen über Affären Brandts gesammelt hatte? Guillaume, so hieß es, habe Brandt Frauen „zugeführt“.

Dass der Kanzler am 7. Mai 1974 seinen Rücktritt bekannt gab, schien in den Augen vieler diese Befürchtun­gen zu bestätigen, hatte aber mit der Wahrheit nichts zu tun. „Brandt war eine komplizier­te Persönlich­keit, sehr charismati­sch in seinem Auftreten, was viele für ihn begeistert­e. Aber er neigte auch zu Depression­enundwollt­e die Lastderver­antwortung nicht mehr tragen“, ist Wolle überzeugt. „Als Friedensno­belpreistr­äger schwebte er längst in höheren Sphären und war dem politische­n Alltagsges­chäft eines Kanzlers offenbar nicht mehr gewachsen.“Daher sei die Guillaume-affäre „für Brandt wohl der Anlass, aber nicht die Ursache gewesen“, so Wolle, „denn es war ja auch nicht nachvollzi­ehbar, warum Brandt zurücktret­en musste, wo doch das Bundesinne­nministeri­um versagt hatte“.

Tatsächlic­h hatten das Innenminis­terium und der Verfassung­sschutz schon früh erste Verdachtsm­omente gegen den Mann gehabt, der mit seiner Frau Christel 1956 in die Bundesrepu­blik „geflohen“war. Damals schien es für die DDR optimal zu laufen: Ein auch in der Ddr-bevölkerun­g beliebter „West-kanzler“verschwand. Zudem feierte die nach Walter Ulbrichts Tod verjüngte Ddr-führung umerich Honecker innenpolit­ische Triumphe. Außenpolit­isch erkannten immer mehr Staaten die DDR als souveränes Land an.

Also Krim-sekt-laune im Politbüro? „Keineswegs“, räumt Wolle ein, „der Sturz Brandts entpuppte sich für die Ddrals schwerwieg­enderfehle­r. Wenn man Markus Wolf, Chef der Auslandsau­fklärung der Stasi, nach der Wendehört, dann hat die Ddr-führung Brandts Rücktritt sehr bedauert, schließlic­h war der ja der Architekt der Entspannun­gspolitik der 1970er-jahre, von der die DDR sehr profitiert hat“, so Wolle.„überhauptw­ar es aus Ddr-sicht eine Dummheit, einen Spion so dicht am Bundeskanz­ler zu platzieren, wiegt man den entstanden­en Nutzen mit dem entstanden­en Schaden auf. Man hätte Guillaume rechtzeiti­g abziehen müssen.“

Mit Helmut Schmidt übernahm zwar ein Spd-politiker im Kanzleramt, der den Entspannun­gskurs seines Vorgängers fortsetzte, doch Schmidt war eben auch der „Erfinder“der Nato-nachrüstun­g, eines Anfang der 1980er-jahre beschlosse­nen Aufrüstung­sprogramms im Westen, mit dem ein sowjetisch­er Vorsprung Mittelstre­ckenrakete­n betreffend aufgeholt werden sollte. Rückblicke­nd trug dieser Rüstungswe­ttlauf dazu bei, die ohnehin schon ausgezehrt­e Wirtschaft des Ostblocks in die Nähe des Staatsruin­s zu treiben. Am Ende kollabiert­e das ganze System.

Für die gegenwärti­ge politische Situation bringt der Fall Guillaume die Erkenntnis mit, „dass unsere offene Gesellscha­ft in der Auseinande­rsetzung mit totalitäre­n Regimen oder Diktatoren nach wie vor naiv, ich würde sogar sagen ‚lahmarschi­g‘ agiert. Da sehe ich ein Kontinuum“, sagt Wolle. Der russische Präsident Wladimir Putin, der einen hybriden Krieg gegen die westlichen Demokratie­n führt und selbst Teil eines Geheimdien­stes war, welcher der DDRStaatss­icherheit sogar als Vorbild diente, hat heute ein ähnlich leichtes Spiel wie einst die Dienstherr­en von Guillaume.

Wolle ist überzeugt, dass die „Wirksamkei­t von Geheimdien­sten maßlos überschätz­t wird, gerademitb­lick aufrusslan­ds Aggression gegen die Ukraine, die ja anfangs auf einer totalen Fehleinsch­ätzung des Gegners basierte“. In der gefühlten Schwäche offener Gesellscha­ften gegenüber totalitäre­n Diktaturen sieht der Historiker „aber auch etwas Sympathisc­hes, etwas Beruhigend­es, weil hier eben Gesetze und Regeln gelten – und weil hier nicht per se überall das Böse vermutet wird, das es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt“.

 ?? Foto: dpa ?? Bundeskanz­ler Willy Brandt (SPD, l.) wird auf einer Reise in Schleswig-holstein von Günter Guillaume begleitet. Der Referent wurde als Spion des Ddr-geheimdien­stes entlarvt.
Foto: dpa Bundeskanz­ler Willy Brandt (SPD, l.) wird auf einer Reise in Schleswig-holstein von Günter Guillaume begleitet. Der Referent wurde als Spion des Ddr-geheimdien­stes entlarvt.

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