Neue Westfälische - Herforder Kreisanzeiger
Man vergisst nicht, wie man schwimmt
23. Fortsetzung „Bringta Glück“, sagte er zur Erläuterung und reichte uns zwei voll beladene Pappschalen mit Holzpiekern, eingesteckt wie Gipfelkreuze. Wir wählten einen der Stehtische. Ich drückte mir meine fast gefrorene Dose in den Nacken. Ein Tropfen Kondenswasser fand den Weg unter meine Shirts und rann mir frisch den Rücken hinunter. Schweigend aßen wir und überschauten das Gelände. Vor uns lagen die glitzernden Schwimmbadbecken wie ein Versprechen. Zwei Jungs mit Mädchen auf den Schultern rangelten. Vom Dreimeterbrett machte ein Blondschopf einen Salto, was ihm von einem halben Dutzend Seniorinnen, die sich in Aquagymnastik versuchten, einige Klatscher Applaus einbrachte. Ein zartes Sommersprossengesicht mit feuerroten Haaren und tiefblauen Augen entdeckte ich nicht. „Kann ich dir helfen?“Ich zuckte zusammen. Ich musste zu lange vor mich hin gestarrt haben. Und als mein Blick sich wieder fokussiert hatte, zuckte ich abermals. Ein paar Tische weiter stand Ayla Münch und hatte fragend, eine Sonnenbrille mit pinken Gläsern auf der Nasenspitze, den Kopf schief gelegt. Sie trug ein Wickelkleid, um ihr Handgelenk lag ein enger, edel wirkender Armreif. „Ich, äh . . .“Sie lachte. Mein Rachen war verklebt, was mein Gestammel klingen ließ, als wäre ich im Stimmbruch. Ich konnte direkt fühlen, wie Viktor sich neben mir an die Tischkante krallte. Sei einmal cool, Krüger! Ich räusperte mich, um den Hals freizubekommen. „Baby, kommst du?“Ayla hatte sich abgewandt, ohne dass ich noch etwas hatte sagen können, und ich bildete mir ein, wie sie mein Rumgehaspel nachäffte. Am Tresen wartete ein knapp dreißigjähriger Mann mit angehenden Geheimratsecken, der Ayla zu sich gerufen hatte. Mit einer seltsam fahlen Stimme. Ein Spitzbauch zeichnete sich unter dem weißen Leinenhemd ab, das über seine Badeshorts fiel. Mir stockte der Atem. An der Hand des Mannes funkelte ein Siegelring. Der Hunne! Der, der Viktor fast überfahren hätte. Erschrocken drehten wir uns weg, in der Hoffnung, dass er uns nicht wiedererkannt hatte. „Alter, was?“, zischte Viktor. „Ist die mit dem Typen zusammen?“Ich sagte nichts. Der Mann mit dem Siegelring, an dessen Seite Ayla die Terrassentreppe hinunterstolzierte, schien glücklicherweise keinerlei Interesse an uns zu haben. Auf dem Hemd des Mannes war in Anthrazit ein Motiv aufgestickt, das den ganzen Rücken überspannte. Die Statue eines brüllenden Löwen. Und mir fiel ein, wer uns sagen konnte, wo wir das rothaarige Mädchen finden würden. Aufgeregt schob ich mir die letzten Pommes in den Mund und kratzte ein paar Salzkörner aus der Schale, die ich über meine Schulter warf. Bringta Glück! Und ein bisschen Glück hatte noch niemandem geschadet. AUF DEM WEG ZURÜCK in die Innenstadt schilderte ich Viktor meine Begegnung mit dem Mädchen noch einmal im Detail. Die Steinmetzin hatte gesagt, dass sie sich schon gedacht hatte, dass die Rothaarige zu denen gehörte. Ich war mir sicher, dass Frau Berger etwas über dieses Mädchen wusste. „Versuchen können wir es“, hatte Viktor gesagt. Und kurz darauf hatten wir in der Werkstatt gestanden. Niemand hatte das Werkzeug weggeräumt. Der Gabelstapler war nicht bewegt worden. Kunden waren ebenfalls keine in der Halle gewesen. (Fortsetzung folgt) © 2022 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München