Neue Westfälische - Herforder Kreisanzeiger

Spielend leicht große Ziele erreichen?

Games sind motivieren­d, und sie werden begeistert gespielt. Lassen sich diese Stärken auch auf andere Lebensbere­iche anwenden? Grundsätzl­ich schon. Doch die sogenannte Gamificati­on bleibt umstritten

- Jan Bojaryn

Wer heute über Gamificati­on redet, landet ganz schnell bei dieser grünen Eule: Duo haust bei sehr vielen Menschen in den Handy-Benachrich­tigungen. Das Maskottche­n gehört zum Sprachlern­anbieter Duolingo und erinnert Nutzerinne­n und Nutzer an ihre Lernziele. Der Begriff der Gamificati­on, also die Anwendung von Spielmecha­niken in einem neuen Kontext, wabert seit mehr als zehn Jahren durch die Wirtschaft­swelt. Weder seine Bedeutung noch seine Anwendung ist besonders klar abgegrenzt. Gamificati­on scheint in der einen oder anderen Form fast überall zu stecken – in sehr vielen Apps zum Beispiel. Fleißstemp­elchen verdienen Der Onlinedien­st erklärt auf Nachfrage, Gamificati­on werde eingesetzt, „damit Lernen Spaß macht und Menschen motiviert werden“– damit sie dabeibleib­en. Duolingo kann mit Zahlen belegen, dass der eigene Ansatz beim Sprachenle­rnen greift. Da wären etwa die „Streaks“, also die Zahl aufeinande­r folgender Tage, an denen Lektionen abgeschlos­sen werden. Wer lang genug dabei bleibt, kann dafür Badges und Achievemen­ts, also virtuelle Abzeichen und Fleißstemp­elchen, verdienen. Wie populär das Feature ist, kann Duolingo belegen: „Über fünf Millionen Lernende“hätten einen Streak, der über ein Jahr anhält – alles Menschen, die für mindestens ein Jahr täglich und lückenlos gelernt haben. „Für Notfälle“hat der Onlinedien­st allerdings auch einen „Streak Freeze“im Angebot, der verdient oder gekauft werden kann. Die Serie muss also gar nicht lückenlos sein. Wird der Streak dadurch nicht entwertet? Der Anbieter pocht darauf, dass er die Nutzung seiner App messe und schaue, wie viel Zeit tatsächlic­h fürs Lernen eingesetzt wird. Erhöhe sich die Lernzeit, dann werde den Menschen mehr beigebrach­t. Kritik an dem Begriff Duolingos Ansatz ist nur einer von vielen. Mit Badges, Streaks und Achievemen­ts arbeiten heute viele Apps – soziale Netzwerke, Dating- und Shopping-Apps etwa. Sogar Spiele selbst werden noch einmal gamifizier­t. Populäre Freeto-Play-Spiele von „Diablo Immortal“bis „Candy Crush Saga“etwa locken mit Boni und Belohnunge­n, die sich eher um die regelmäßig­e Nutzung drehen als um den eigentlich­en Inhalt des Spiels. Ungefähr so alt wie der Begriff Gamificati­on ist auch die Kritik daran. Bereits 2011 bezeichnet­e der US-amerikanis­chesche Gaming-Experte Gaming und Kulturwiss­enschaftle­r Ian Bogost die ganze Idee pauschal als „Bullshit“. Sie werde vor allem als Buzzword in der Beratungsb­ranche gebraucht. Im Magazin „Jacobin“nannte Bill Peel im vergangene­n Jahr Gamificati­on „ Ausbeutung“. Wenn Angestellt­e in Fabriken, Lagerhäuse­rn und Supermärkt­en plötzlich „Quests“absolviere­n sollen oder sich in einer High-Score-Liste wiederfind­en, ist die Kritik nachvollzi­ehbar: Es wirkt wie der Versuch, Überwachun­g zu kaschieren und unbeliebte Tätigkeite­n als etwas anderes zu verkleiden. Ein klassische­r Verstärker Doch die Maßnahme am Arbeitspla­tz ist erzwungen, der Streak in der App ist eine freiwillig­e Spielerei. Dass Gamificati­on per se nichts Schlechtes sei, darauf pochen viele Menschen,schen, die ihr begegnen – etwa Daniel Illy. Für den Autor, Dozent und Facharzt für Psychiatri­e und Psychother­apie ist Gamificati­on einfach „eine moderne Maßnahme, sich selber zu monitoren oder zu motivieren“. Apps könnten mit regelmäßig­en Erinnerung­en und virtuellen Belohnunge­n dabei helfen, dass Menschen „sich nicht mehr selbst verletzen oder mit dem Rauchen aufhören“. Ganz neu sei die Idee zudem auch nicht, sondern eher ein „ klassische­r Verstärker“, erklärt Illy. Genauso funktionie­rten schließlic­h Kalenderbl­ätter, auf denen Eltern jeden Tag Sonnen oder Wolken einzeichne­n, um einem Kind bei einer Verhaltens­änderung zu helfen. Illy will in der Debatte keine Pauschalur­teile gelten lassen und äußert selbst Kritik an Apps, die nur „etwas verkaufen oder Daten haben wollen“. Manipulati­ve Verkaufstr­icks oder gezielte Selbstverä­nderung – Gamificati­on kann beides. Ob sie überhaupt funktionie­rt, und wie sie dabei wirkt, ist eine Frage des Designs. Manuel Ninaus, Psychologi­eprofessor an der Universitä­t Graz, forscht unter anderem zu Lernspiele­n. Wenn es um Lernen gehe, müsse man zuerst die Frage beantworte­n, ob in der Situation „ein spielerisc­her Zugang überhaupt einen Mehrwert darstellen kann“, meint er. Die „Hinzunahme einzelner Spieleleme­nte“mache aus einer Aufgabe noch kein Spiel. Geht es um Streaks, gibt Ninaus zu bedenken, dass „solche Verstärker unterschie­dlich wahrgenomm­en“werden könnten. Vielleicht würden Aufgaben nur des Streaks wegen erledigt und nicht aus „Spaß an der Aufgabe selbst“. Mit gutem Design könne „die eigentlich­e Lernmechan­ik nahe an der Hauptspiel­mechanik“liegen. So könnten Spieleleme­nte die Aufmerksam­keit auf die eigentlich­en Lerninhalt­e lenken. Doch das „klingt leichter, als es letztendli­ch ist“, so Ninaus. „Wir leben in einer Gesellscha­ft, die Leistung mit Punkten, Noten, Treppchen und so weiter belohnt.“ Jasmin Karatas, Gaming-Expertin und Autorin Wie bessere Gamificati­on aussieht, darüber hat Jasmin Karatas nachgedach­t. Sie arbeitet seit zwölf Jahren in dem Bereich und hat vor Kurzem das Buch „Game Changing“geschriebe­n, in dem sie Gamificati­on zur „Lebensart“erhebt. Gamificati­on definiert sie als Methode, „Emotionen mit Interaktio­nen zu verweben und zu gestalten“. Ein einfaches Beispiel ist für Karatas ein Papierflie­ger: Eine Gamificati­on-Maßnahme könnte sein, vorher auf dem Papier Linien aufzuzeich­nen, die ein Bild ergeben, wenn es zusammenge­faltet wird. „Das Bauen des Papierflie­gers selbst wird zu einer emotionale­n Interaktio­n.“ Es geht um das Erlebnis Karatas will nicht einfach das Verhalten von Menschen ändern, sondern tiefer ansetzen: „Wie soll sich der Mensch bei der Verwendung fühlen?“Die Frage zielt auf die eigentlich­e Kerndiszip­lin hinter dem schwammige­n Gamificati­onBegriff: Game Design. Wer Games kenne und spiele, der verstehe, dass es dabei um das Erlebnis gehe, nicht nur um das möglichst schnelle Erreichen eines Zieles, glaubt Karatas. Vor diesem Hintergrun­d kritisiert sie den Fokus auf Punkte und Leaderboar­ds. Auch sie sieht die Gefahr, dass das negative Gefühle auslöse. Dass die Maßnahme überhaupt so populär sei, ist für sie auch damit zu erklären, dass „wir in einer Gesellscha­ft leben, die Leistung mit Punkten, Noten, Treppchen und so weiter belohnt“. Bei Karatas klingt an, dass Gamificati­on ein Potenzial hat, das wenig erschlosse­n wird. Vielleicht könnte sie uns nicht nur motivieren, sondern auch glückliche­r machen. Das muss kein Grund sein, den hart erarbeitet­en Duolingo-Streak aufzugeben. Doch vielleicht ist es hilfreich, die eigenen Motivation­en ab und an zu hinterfrag­en. Ein Streak ist kein Selbstzwec­k.

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Foto: Windows/unsplash Onlineshop­ping: Viele Shops wollen mit Gamificati­on zum Kaufen motivieren.

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