Neue Westfälische - Herforder Kreisanzeiger
Friedanadig: Die Herforderin, die das Grundgesetz entscheidend beeinflusste
Vor einem Dreiviertel Jahrhundert wurden die Grundlagen für unsere heutige Demokratie gelegt. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau wurde festgeschrieben. Das war keine Selbstverständlichkeit.
Herford. Wenn Tim Kähler auf den Namen Frieda Nadig angesprochen wird, ist er voll des Lobes. „Unsere Stadt ist stolz darauf, dass es solch eine hervorragende Frau aus Herford gibt“, sagt der Bürgermeister im Gespräch mit der „Neuen Westfälischen“. Der Grund liegt auf der Hand: Wenn an diesem Donnerstag der 75. Jahrestag des Inkrafttretens des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gefeiert wird, ist dies auch ein Ehrentag für jene Frau, die am 11. Dezember 1897 in Herford geboren wurde.
Denn Friederike Charlotte Louise Nadig, wie sie vollständig hieß, sollte viele Jahrzehnte später eine entscheidende Rolle bei der Erarbeitung des Grundgesetzes spielen. Die Tochter einer Näherin und eines Tischlers, der selbst für die SPD von 1919 bis 1931 Mitglied des preußischen Landtags war, gehörte dem Parlamentarischen Rat an, der in den Jahren 1948/49 das Grundgesetz erarbeitete.
„Sie war eine Sozialdemokratin, wie sie im Buche steht“, betont Kähler. Denn in Zusammenarbeit mit ihren Kolleginnen Elisabeth Selbert (SPD), Helene Weber (CDU) und Helene Wessel (Zentrumspartei) gelang es ihr, den schlicht klingenden Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“im Grundgesetz (GG) zu verankern, nachdem sie zuvor heftigen Widerspruch überwinden musste. Er ist im Artikel 3, Absatz 2 des GG zu finden.
„Herford ist die Stadt der starken Frauen“
„Vier Frauen schafften es, einen modernen Frauenbegriff zu prägen und ihn ins Grundgesetz zu schreiben“, lobt Kähler. „Das war kein Selbstläufer“, fügt der Bürgermeister hinzu. „Herford ist die Stadt der starken Frauen. Da passt Frieda Nadig wunderbar rein.“Mit diesem Satz spielt Kähler auf die Geschichte der Hansestadt als Sitz des Chorfrauenstifts an, das 823 zur Reichsabtei mit weitreichenden politischen Rechten erhoben worden war.
Warum die Durchsetzung des Gleichheitsgrundsatzes kein Spaziergang war, verdeutlicht alleine dieser Umstand:
Im Jahr 1948 mussten Frauen in Deutschland noch ihre Ehemänner um Erlaubnis fragen, wenn sie eine Berufstätigkeit aufnehmen wollten. Insbesondere Frieda Nadig und ihre Spd-kollegin im Parlamentarischen Rat hätten sich aber auch noch weitreichendere Rechte für die Frauen vorstellen können, konnten diese Ideen aber letztlich nicht durchsetzen. Dazu zählt zum Beispiel die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern, wie Kähler erläutert. „Wir arbeiten heute noch daran, dass Frauen zu gleicher Bezahlung arbeiten“, sagt der Bürgermeister. Die EU hat sich die gleiche Bezahlung von Frauen und Männernals konkretes Ziel bis 2026 gesetzt. Den offiziellen Angaben zufolge liegt der durchschnittliche Gehaltsunterschied zwischen den Geschlechtern in der EU aktuell bei 18 Prozent.
Doch das schmälert nicht den wegweisenden Einsatz von Frieda Nadig, die mit ihrer Präsenz im Parlamentarischen Rat maßgeblich dazu beigetragen hat, dass das Gleichberechtigungsthema erstmals nach Kriegsende im wichtigsten Gesetzeswerk unserer Demokratie zur Geltung gebracht wurde. Ein gezeichnetes Porträt von Nadig hängt bis heute im kleinen Sitzungssaal des Rathauses. Auch ein modernes Denkmal erinnert vor dem Rathaus an Frieda Nadig. „Es gehört ans Rathaus, weil es die moderne Demokratie repräsentiert“, betont Kähler. Es gibt auch noch eine Angehörige von Frieda Nadig in Herford – die 91-jährige Nichte Gisela Bäumer, die auch in einem Haus mit Frieda Nadig gewohnt hat, wie die Stadt auf Anfrage mitteilte.
Gleich neben Nadigs Portät im Rathaus hängt ein Gemälde, das Herrmann Höpker Aschoff zeigt, der als Herforder ebenfalls dem Parlamentarischen Rat angehörte und von 1951 bis 1954 erster Präsident des Bundesverfassungsgerichts war, sowie eines des Sozialdemokraten Carl Servering, der ebenfalls in Herford das Licht der Welt erblickte. An diesem Donnerstag verteilen Tim Kähler und Landrat Jürgen Müller (beide SPD) Grundgesetze an die Herforderinnen und Herforder in der Innenstadt. Die Aktion beginnt um 12 Uhr auf dem Rathausplatz.