Neue Westfälische - Höxtersche Kreiszeitung
Die Männer für den ganz speziellen Müll
Bei der Schadstoffsammlung im Kreis Höxter herrscht bisweilen Volksfeststimmung. Alle sind froh, alte Farben, Lacke und Co. kostenlos loszuwerden. Es gibt aber auch absolute Tabus.
Kreis Höxter. Immer mehr Autos fahren auf dem kleinen Dorfplatz vor, andere kommen mit Handkarren oder Schubkarren. Alle beladen mit teils verschmieren alten Dosen mit Farben, Lacken, Ölen oder gern auch mal Salzsäure. Kenner dieses Events bringen auch alte Elektrogeräte, kaputte Glühbirnen oder Frittierfett mit. Im Dorf hat sich das Schadstoffmobil des Kreises Höxter angekündigt. Ein Hauch von Volksfeststimmung weht an diesem kühlen Mittag über den Platz.
Zunächst aber heißt es warten auf die zwei großen Lkw samt Anhänger des Marienmünsteraner Entsorgers Weise & Sohn, der die Schadstoffsammlung im gesamten Kreis Höxter sowie in weiten Teilen Holzmindens übernimmt. Ungeduld macht sich breit. Vor allem unter den Rentnern. Mancher blickt bang zur Straße. Dabei sind die Abfallexperten erst drei Minuten überfällig. Hingegen standen die alten Farbund Lackdosen, die vorsorglich schon mal auf die Straße gestellt werden, teils viele Jahre in den Kellern herum. Manche gar Jahrzehnte.
Jetzt aber, wo endlich der Entschluss gefasst ist, den Sondermüll endlich loszuwerden, kann es vielen nicht schnell genug gehen. Und so werden die Laster, als sie auf dem Dorfplatz einbiegen, sogleich umlagert. Klaus Brambrink, Peter Ludwig und Maik Gonschorek kennen das schon. Es ist fast überall so. Deshalb bitten sie mit der Gelassenheit von vielen Jahren Erfahrung um noch etwas Geduld, bis sie die mobile Annahmestation aufgebaut haben.
Zuerst einen Steg zum Anhänger geschoben, Metalltreppe an den Lkw, Geländer drauf und – ganz besonders wichtig – der Metalltisch am Eingang des Lkw. Der ist vielmehr eine Sperre, ohne die die Wartenden ihren Müll wohl noch direkt vor die Fässer schieben würden, meint Klaus Brambrink lachend. Hauptsache, sie sind ihren Müll los.
Die ersten Minuten sind hektisch. Jeder will mit seinen Kisten oder dem roten Schadstoffeimer des Kreises Höxter die Metalltreppe zum Laster erklimmen. Oben angekommen, bringen Peter Ludwig und Klaus Brambrink Ruhe hinein. Anders geht es auch nicht. Denn die Dosen und Flaschen müssen gleich richtig sortiert werden. Fehler sollte es nicht geben. Denn reagieren zwei chemische Stoffe ungewollt miteinander, gibt es Probleme.
Deshalb muss auch mindestens einer der beiden Abfallexperten eine spezielle chemische Zusatzausbildung haben, Stoffeigenschaften und Reaktionen genauestens kennen. Und notfalls auch selbst testen, wenn unklar ist, was wirklich in der umgefüllten Mineralwasserflasche steckt oder dem unbeschrifteten Plastikkanister
drin ist. Manchmal sind sich die Bürger selbst nicht mehr sicher, was sie da abgefüllt haben. Auf etwa 20 verschiedene Stoffe können die Abfallexperten in ihrem Lkw deshalb umgehend testen.
Aber egal wie komisch oder unbekannt die Stoffe auch aussehen mögen, bitten Peter Ludwig und Klaus Brambrink die Menschen eindringlich darum, sie herzubringen. „Wir versuchen, alles möglich zu machen, um sie zu entsorgen“, sagt Brambrink. Und zwar kostenlos. Denn nichts wäre schlimmer, als wenn die Stoffe irgendwo im Wald, am Straßenrand oder auch im Klo landen. Denn die Schäden, die sie dort anrichten könnten, können immens sein.
Deshalb sei das Angebot des Schadstoffmobils im Kreis Höxter auch so wichtig. Es kommt in regelmäßigen Abständen in die Städte und auch viele größere Dörfer. Kostenlos, beziehungsweise bezahlt über die Müllgebühren. Denn niemand soll durch eine Extra-gebühr davon abgehalten werden, schädliche Stoffe abzugeben.
Und die scheint es reichlich zu geben. Ein älterer Herr bringt einen Kanister alte Salzsäure an. Klaus Brambrink nimmt sie mit einem Achselzucken entgegen. „Das wurde früher vielfach in der Landwirtschaft eingesetzt“, sagt er, das bekommen sie fast täglich. Der Mann legt fünf Euro in die Kaffeekasse. Die Dankbarkeit, seinen Müll hier loswerden zu können, ist sehr vielen ins Gesicht geschrieben. Erleichterung und Lächeln. Das bekommen auch die Abfallexperten immer wieder gesagt.
Mancher schäme sich auch für die Dosen und Flaschen, die er vorbeibringt. „Oft stammen sie angeblich vom Nachbarn“, erzählt Brambrink. Dabei ist den Männern egal, woher das Zeug stammt. Hauptsache sie können es ordnungsgemäß
entsorgen.
Ein Mann mit Kind auf dem Arm kommt zum Lkw gelaufen. „Nehmen sie auch Altöl?“, fragt er. „Wie viel ist es denn?“, fragt Peter Ludwig. Ein fünf Liter Kanister voll bekommt er zur Antwort. Ludwig nickt, worauf der Mann bekennt, dass er noch einen zweiten, größeren Kanister Altöl hätte. „Nicht ganz voll, es könnten noch mal fünf Liter sein, vielleicht auch acht.“Ludwig nickt und lacht, während der Mann die Kanister aus dem Anhänger holt.
Es ist zwar hart an der Grenze zur „haushaltsüblichen Menge“, aber dürfte der Mann es nicht gleich abgeben, würde er es sicher das nächste Mal mitbringen. Dass die kleinen Mengen im Gespräch immer mehrwerden,erlebendiemänner vom Schadstoffmobil täglich. Hin und wieder kommen Menschen sogar mit einem ganzen Anhänger voll. Das sei dann doch ein bisschen viel. Immerhin muss der Platz in den Lkws den ganzen Tag reichen. Angenommen wird neben Flüssigkeiten aller Art auch Elektroschrott, Batterien, Glühbirnen und Leuchtstoffröhren sowie Frittierfett. Am besten in den bekannten „Öli“-eimern, die man in allen Bürgerbüros erhält.
Kaum ist der Mann mit den Ölkanistern verschwunden, trägt ein anderer eine Autobatterie nach oben. Für diese gibt es eigentlich ein Pfandsystem, aber viele alte liegen noch irgendwo herum. „Die stammt aus einem Polo 2, die hat mein Vater unter die Eisenbahnplatte geklemmt“, erzählt er. Geschichten wie diese bekommt das Team um Brambrink immer wieder erzählt. Sie hören gern zu.
Fast alles wird angenommen, außer Sprengstoff und Munition
Es gibt aber auch absolute Tabus. In Borgentreich beispielsweise komme es immer wieder vor, dass Menschen ihre Farbeimer und Dosen einfach auch den Platz stellen, weil sie keine Zeit haben, auf das Schadstoffmobil zu warten. „Hochgefährlich“, sagt Brambrink. Denn wenn ein Kind damit spielt, könne es sich schwer verletzen. Ein Tier, das daran stößt und eine Flüssigkeit ausläuft, kann einen großen Umwelt-feuerwehreinsatz auslösen.
Abgeben dürfe man ansonsten fast alles. Außer Sprengstoff und Munition. Denn das ist ein Fall für die Polizei. Was vielleicht witzig klingen mag, meint Brambrink vollkommen ernst. Im Kreis Höxter sei das zwar noch nicht vorgekommen, aber bei anderen Schadstoffsammlungen.
Bleibt die Frage, wohin kommt der Sondermüll, wenn er eingesammelt ist. Wie Brambrink berichtet, wird er in Marienmünster zusammengestellt und dann in eine der wenigen Spezialverbrennungsanlagen gebracht, die es in Deutschland gibt. Zum Beispiel in Hamburg. Weite Reisen für alte Farbdosen, die lange im Keller rumstehen.
Dosen, Flaschen und Kanister liegen teils Jahrzehnte in Kellern herum