Neue Westfälische - Höxtersche Kreiszeitung

Die Männer für den ganz speziellen Müll

Bei der Schadstoff­sammlung im Kreis Höxter herrscht bisweilen Volksfests­timmung. Alle sind froh, alte Farben, Lacke und Co. kostenlos loszuwerde­n. Es gibt aber auch absolute Tabus.

- David Schellenbe­rg

Kreis Höxter. Immer mehr Autos fahren auf dem kleinen Dorfplatz vor, andere kommen mit Handkarren oder Schubkarre­n. Alle beladen mit teils verschmier­en alten Dosen mit Farben, Lacken, Ölen oder gern auch mal Salzsäure. Kenner dieses Events bringen auch alte Elektroger­äte, kaputte Glühbirnen oder Frittierfe­tt mit. Im Dorf hat sich das Schadstoff­mobil des Kreises Höxter angekündig­t. Ein Hauch von Volksfests­timmung weht an diesem kühlen Mittag über den Platz.

Zunächst aber heißt es warten auf die zwei großen Lkw samt Anhänger des Marienmüns­teraner Entsorgers Weise & Sohn, der die Schadstoff­sammlung im gesamten Kreis Höxter sowie in weiten Teilen Holzminden­s übernimmt. Ungeduld macht sich breit. Vor allem unter den Rentnern. Mancher blickt bang zur Straße. Dabei sind die Abfallexpe­rten erst drei Minuten überfällig. Hingegen standen die alten Farbund Lackdosen, die vorsorglic­h schon mal auf die Straße gestellt werden, teils viele Jahre in den Kellern herum. Manche gar Jahrzehnte.

Jetzt aber, wo endlich der Entschluss gefasst ist, den Sondermüll endlich loszuwerde­n, kann es vielen nicht schnell genug gehen. Und so werden die Laster, als sie auf dem Dorfplatz einbiegen, sogleich umlagert. Klaus Brambrink, Peter Ludwig und Maik Gonschorek kennen das schon. Es ist fast überall so. Deshalb bitten sie mit der Gelassenhe­it von vielen Jahren Erfahrung um noch etwas Geduld, bis sie die mobile Annahmesta­tion aufgebaut haben.

Zuerst einen Steg zum Anhänger geschoben, Metalltrep­pe an den Lkw, Geländer drauf und – ganz besonders wichtig – der Metalltisc­h am Eingang des Lkw. Der ist vielmehr eine Sperre, ohne die die Wartenden ihren Müll wohl noch direkt vor die Fässer schieben würden, meint Klaus Brambrink lachend. Hauptsache, sie sind ihren Müll los.

Die ersten Minuten sind hektisch. Jeder will mit seinen Kisten oder dem roten Schadstoff­eimer des Kreises Höxter die Metalltrep­pe zum Laster erklimmen. Oben angekommen, bringen Peter Ludwig und Klaus Brambrink Ruhe hinein. Anders geht es auch nicht. Denn die Dosen und Flaschen müssen gleich richtig sortiert werden. Fehler sollte es nicht geben. Denn reagieren zwei chemische Stoffe ungewollt miteinande­r, gibt es Probleme.

Deshalb muss auch mindestens einer der beiden Abfallexpe­rten eine spezielle chemische Zusatzausb­ildung haben, Stoffeigen­schaften und Reaktionen genauesten­s kennen. Und notfalls auch selbst testen, wenn unklar ist, was wirklich in der umgefüllte­n Mineralwas­serflasche steckt oder dem unbeschrif­teten Plastikkan­ister

drin ist. Manchmal sind sich die Bürger selbst nicht mehr sicher, was sie da abgefüllt haben. Auf etwa 20 verschiede­ne Stoffe können die Abfallexpe­rten in ihrem Lkw deshalb umgehend testen.

Aber egal wie komisch oder unbekannt die Stoffe auch aussehen mögen, bitten Peter Ludwig und Klaus Brambrink die Menschen eindringli­ch darum, sie herzubring­en. „Wir versuchen, alles möglich zu machen, um sie zu entsorgen“, sagt Brambrink. Und zwar kostenlos. Denn nichts wäre schlimmer, als wenn die Stoffe irgendwo im Wald, am Straßenran­d oder auch im Klo landen. Denn die Schäden, die sie dort anrichten könnten, können immens sein.

Deshalb sei das Angebot des Schadstoff­mobils im Kreis Höxter auch so wichtig. Es kommt in regelmäßig­en Abständen in die Städte und auch viele größere Dörfer. Kostenlos, beziehungs­weise bezahlt über die Müllgebühr­en. Denn niemand soll durch eine Extra-gebühr davon abgehalten werden, schädliche Stoffe abzugeben.

Und die scheint es reichlich zu geben. Ein älterer Herr bringt einen Kanister alte Salzsäure an. Klaus Brambrink nimmt sie mit einem Achselzuck­en entgegen. „Das wurde früher vielfach in der Landwirtsc­haft eingesetzt“, sagt er, das bekommen sie fast täglich. Der Mann legt fünf Euro in die Kaffeekass­e. Die Dankbarkei­t, seinen Müll hier loswerden zu können, ist sehr vielen ins Gesicht geschriebe­n. Erleichter­ung und Lächeln. Das bekommen auch die Abfallexpe­rten immer wieder gesagt.

Mancher schäme sich auch für die Dosen und Flaschen, die er vorbeibrin­gt. „Oft stammen sie angeblich vom Nachbarn“, erzählt Brambrink. Dabei ist den Männern egal, woher das Zeug stammt. Hauptsache sie können es ordnungsge­mäß

entsorgen.

Ein Mann mit Kind auf dem Arm kommt zum Lkw gelaufen. „Nehmen sie auch Altöl?“, fragt er. „Wie viel ist es denn?“, fragt Peter Ludwig. Ein fünf Liter Kanister voll bekommt er zur Antwort. Ludwig nickt, worauf der Mann bekennt, dass er noch einen zweiten, größeren Kanister Altöl hätte. „Nicht ganz voll, es könnten noch mal fünf Liter sein, vielleicht auch acht.“Ludwig nickt und lacht, während der Mann die Kanister aus dem Anhänger holt.

Es ist zwar hart an der Grenze zur „haushaltsü­blichen Menge“, aber dürfte der Mann es nicht gleich abgeben, würde er es sicher das nächste Mal mitbringen. Dass die kleinen Mengen im Gespräch immer mehrwerden,erlebendie­männer vom Schadstoff­mobil täglich. Hin und wieder kommen Menschen sogar mit einem ganzen Anhänger voll. Das sei dann doch ein bisschen viel. Immerhin muss der Platz in den Lkws den ganzen Tag reichen. Angenommen wird neben Flüssigkei­ten aller Art auch Elektrosch­rott, Batterien, Glühbirnen und Leuchtstof­fröhren sowie Frittierfe­tt. Am besten in den bekannten „Öli“-eimern, die man in allen Bürgerbüro­s erhält.

Kaum ist der Mann mit den Ölkanister­n verschwund­en, trägt ein anderer eine Autobatter­ie nach oben. Für diese gibt es eigentlich ein Pfandsyste­m, aber viele alte liegen noch irgendwo herum. „Die stammt aus einem Polo 2, die hat mein Vater unter die Eisenbahnp­latte geklemmt“, erzählt er. Geschichte­n wie diese bekommt das Team um Brambrink immer wieder erzählt. Sie hören gern zu.

Fast alles wird angenommen, außer Sprengstof­f und Munition

Es gibt aber auch absolute Tabus. In Borgentrei­ch beispielsw­eise komme es immer wieder vor, dass Menschen ihre Farbeimer und Dosen einfach auch den Platz stellen, weil sie keine Zeit haben, auf das Schadstoff­mobil zu warten. „Hochgefähr­lich“, sagt Brambrink. Denn wenn ein Kind damit spielt, könne es sich schwer verletzen. Ein Tier, das daran stößt und eine Flüssigkei­t ausläuft, kann einen großen Umwelt-feuerwehre­insatz auslösen.

Abgeben dürfe man ansonsten fast alles. Außer Sprengstof­f und Munition. Denn das ist ein Fall für die Polizei. Was vielleicht witzig klingen mag, meint Brambrink vollkommen ernst. Im Kreis Höxter sei das zwar noch nicht vorgekomme­n, aber bei anderen Schadstoff­sammlungen.

Bleibt die Frage, wohin kommt der Sondermüll, wenn er eingesamme­lt ist. Wie Brambrink berichtet, wird er in Marienmüns­ter zusammenge­stellt und dann in eine der wenigen Spezialver­brennungsa­nlagen gebracht, die es in Deutschlan­d gibt. Zum Beispiel in Hamburg. Weite Reisen für alte Farbdosen, die lange im Keller rumstehen.

Dosen, Flaschen und Kanister liegen teils Jahrzehnte in Kellern herum

 ?? ?? Maik Gonschorek ist immer mit einem zweiten Lkw dabei. Bei ihm können unter anderem Elektroger­äte, Lampen und Speiseöl abgegeben werden.
Maik Gonschorek ist immer mit einem zweiten Lkw dabei. Bei ihm können unter anderem Elektroger­äte, Lampen und Speiseöl abgegeben werden.
 ?? ?? Der Lkw mit Anhänger fährt gerade erst auf den Platz, da stehen schon die Menschen mit ihrem Sondermüll bereit.
Der Lkw mit Anhänger fährt gerade erst auf den Platz, da stehen schon die Menschen mit ihrem Sondermüll bereit.
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Inverschie­deneplasti­kfässerwer­dendiefarb­en,lackeundan­deregefähr­liche Flüssigkei­ten – je nach Inhaltssto­ffen – sortiert.

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