Neue Westfälische - Höxtersche Kreiszeitung

Minister wehren sich im Atomstreit

Haben die grünen Ministerie­n für Wirtschaft und Umwelt beim Ausstieg aus der Kernkraft getrickst? Ein Bericht legt das nahe. Robert Habeck und Steffi Lemke halten dagegen.

- Andreas Niesmann

Berlin. Gemessen an der ganzen Aufregung, der „Affäre“, die der „Cicero“aufgedeckt haben will, gibt sich Robert Habeck fast schon aufreizend gelassen. Mit Händen in den Hosentasch­en und leicht wippend wartet er im Paul-löbehaus neben dem Berliner Reichstag auf den Beginn der Sondersitz­ung des Bundestags­ausschusse­s für Klimaschut­z und Energie. Einziger Tagesordnu­ngspunkt: die Befragung des Ministers für Wirtschaft und Energie.

Ein wichtiger Teil seiner Verteidigu­ngsstrateg­ie: Nach dem Ausbruch des Ukrainekri­eges gab es in Deutschlan­d weder einen Strommange­l noch Blackouts. Trotz leergelauf­ener Gasspeiche­r, trotz zerstörter Ostseepipe­lines und trotz der Abschaltun­g der letzten drei deutschen Atomkraftw­erke. Die Energiever­sorgung sei gesichert, die Strompreis­e auf dem Weg nach unten, die Gasspeiche­r voll. „Wir sind super durch die Krise gekommen“, findet der Vizekanzle­r.

Die Opposition und auch Teile der mitregiere­nden FDP sehen das nicht ganz so begeistert. Sie fragen sich schon lange, ob Deutschlan­d nicht besser durch die Krise gekommen wäre, wenn Habeck und sein Wirtschaft­sministeri­um frühzeitig eine Laufzeitve­rlängerung für die verblieben­en drei deutschen Kernkraftw­erke auf den Weg gebracht hätten. Eine Veröffentl­ichung des Magazins „Cicero“hat diesen Zweifeln nun neue Nahrung gegeben.

Das Magazin hatte die Bundesregi­erung erfolgreic­h auf Herausgabe einer Reihe interner Dokumente und E-mails zum Atomaussti­eg verklagt. Auf deren Grundlage wirft es Habecks Wirtschaft­sministeri­umsowiedem­vonseinerg­rünen Parteikoll­egin Steffi Lemke geführten Umwelt-ressort vor, bei der Prüfung einer möglichen Laufzeitve­rlängerung getäuscht und getrickst zu haben, um ein politisch genehmes Ergebnis zu bekommen.

Das wäre brisant, denn Habeck hatte im Frühjahr 2022 eine ideologief­reie Prüfung der Frage versproche­n, ob und wenn ja zu welchen Bedingunge­n ein Weiterbetr­ieb der Atommeiler bei der Bewältigun­g der Energiekri­se helfen könnte. Habeck hatte nach Abschluss der Prüfung für das Vorhalten einer „Einsatzres­erve“plädiert, während die FDP den Weiterbetr­ieb einschließ­lich der Bestellung neuer Brennstäbe gefordert hatte. Nach langem Streit setzte Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) per Machtwort einen Kompromiss durch: Neue Brennstäbe wurden nicht bestellt, die Kraftwerke aber blieben bis April 2023 am Netz, um die Versorgung­ssicherhei­t zu erhöhen. Nach allem, was man weiß, war Habeck das Machtwort des Kanzlers ganz recht. Es ersparte ihm den Konflikt mit Teilen seiner Partei.

Das Magazin „Cicero“glaubt nun herausgefu­nden zu haben, dass es Kräfte im Hintergrun­d gab, die eine solche Entscheidu­ng unbedingt verhindern wollten. „Grüne Parteisold­aten“in den Ministerie­n hätten aktiv dagegen gearbeitet und missliebig­e Einschätzu­ngen der Fachebenen wahlweise ignoriert, zurückgeha­lten oder manipulier­t. Vor allem den inzwischen von Habeck entlassene­n Wirtschaft­sstaatssek­retär Patrick Graichen und dessen Umweltkoll­egen Stefan Tidow hat das Magazin dabei im Blick. Habeck und seine Umwelt-kollegin Lemke, so der Vorwurf, seien von den eigenen Leuten in die Irre geführt worden.

Habeck selbst, das macht er nun klar, hält diese These für ziemlichen Unsinn. „Proaktiv“hätten er und sein Ministeriu­m die Debatte über einen möglichen Weiterbetr­ieb der Kraftwerke geführt, sagt der Minister. Schon vor Kriegsbegi­nn sei man deshalb auf die Kraftwerks­betreiber zugegangen. Deren ursprüngli­che Einschätzu­ng, dass die verblieben­en Brenneleme­nte nur bis Jahresende 2022 reichen würden, habe sich im Laufe des Sommers verändert, und deshalbhab­emandiedeb­atteüber eine Laufzeitve­rlängerung noch einmal aufgenomme­n und am Ende positiv beschieden. „Die Annahme, dass da eine Art Geheimwiss­en wäre, das mich nicht erreicht hätte, ist falsch“, betont Habeck.

Zumindest die FDP scheint Habeck überzeugen zu können. Nachdem deren energiepol­itischer Sprecher Michael Kruse zuvor verkündet hatte, „enttäuscht“von Habeck zu sein, rudert der klimapolit­ische Sprecher Olaf in der Beek nun zurück. „So wie der Minister es heute dargestell­t hat, ist es völlig logisch, wie er entschiede­n hat“, sagt der FDPMANN. Er habe keinen Grund, Habeck nicht zu glauben.

Auch Habecks Kabinettsk­ollegin Steffi Lemke scheint bei ihrer Befragung im Umweltauss­chuss nicht in Erklärungs­not zu kommen. Atomkraft sei eben eine Hochrisiko­technologi­e, weshalb jede sicherheit­srelevante Entscheidu­ng gründlich geprüft werden müsse, sagt die für Nuklearsic­herheit zuständige Ministerin. „Mir geht es darum, dass wir die nukleare Sicherheit in unserem Land jederzeit gewährleis­ten können.“

Der Union reichen die Antworten nicht. Es gebe noch ungeklärte Fragen, sagt Cduwirtsch­aftspoliti­ker Tilman Kuban. „Klar ist: Habeck muss sein Haus neu aufstellen, damit das Wirtschaft­sministeri­um wieder zum Hüter faktenbasi­erter sozialer Marktwirts­chaft wird“.

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Foto: dpa Robert Habeck und Steffi Lemke (beide Grüne) haben Stellung zu Vorwürfen rund um den Atomaussti­eg bezogen.

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