Neue Westfälische - Höxtersche Kreiszeitung
Minister wehren sich im Atomstreit
Haben die grünen Ministerien für Wirtschaft und Umwelt beim Ausstieg aus der Kernkraft getrickst? Ein Bericht legt das nahe. Robert Habeck und Steffi Lemke halten dagegen.
Berlin. Gemessen an der ganzen Aufregung, der „Affäre“, die der „Cicero“aufgedeckt haben will, gibt sich Robert Habeck fast schon aufreizend gelassen. Mit Händen in den Hosentaschen und leicht wippend wartet er im Paul-löbehaus neben dem Berliner Reichstag auf den Beginn der Sondersitzung des Bundestagsausschusses für Klimaschutz und Energie. Einziger Tagesordnungspunkt: die Befragung des Ministers für Wirtschaft und Energie.
Ein wichtiger Teil seiner Verteidigungsstrategie: Nach dem Ausbruch des Ukrainekrieges gab es in Deutschland weder einen Strommangel noch Blackouts. Trotz leergelaufener Gasspeicher, trotz zerstörter Ostseepipelines und trotz der Abschaltung der letzten drei deutschen Atomkraftwerke. Die Energieversorgung sei gesichert, die Strompreise auf dem Weg nach unten, die Gasspeicher voll. „Wir sind super durch die Krise gekommen“, findet der Vizekanzler.
Die Opposition und auch Teile der mitregierenden FDP sehen das nicht ganz so begeistert. Sie fragen sich schon lange, ob Deutschland nicht besser durch die Krise gekommen wäre, wenn Habeck und sein Wirtschaftsministerium frühzeitig eine Laufzeitverlängerung für die verbliebenen drei deutschen Kernkraftwerke auf den Weg gebracht hätten. Eine Veröffentlichung des Magazins „Cicero“hat diesen Zweifeln nun neue Nahrung gegeben.
Das Magazin hatte die Bundesregierung erfolgreich auf Herausgabe einer Reihe interner Dokumente und E-mails zum Atomausstieg verklagt. Auf deren Grundlage wirft es Habecks Wirtschaftsministeriumsowiedemvonseinergrünen Parteikollegin Steffi Lemke geführten Umwelt-ressort vor, bei der Prüfung einer möglichen Laufzeitverlängerung getäuscht und getrickst zu haben, um ein politisch genehmes Ergebnis zu bekommen.
Das wäre brisant, denn Habeck hatte im Frühjahr 2022 eine ideologiefreie Prüfung der Frage versprochen, ob und wenn ja zu welchen Bedingungen ein Weiterbetrieb der Atommeiler bei der Bewältigung der Energiekrise helfen könnte. Habeck hatte nach Abschluss der Prüfung für das Vorhalten einer „Einsatzreserve“plädiert, während die FDP den Weiterbetrieb einschließlich der Bestellung neuer Brennstäbe gefordert hatte. Nach langem Streit setzte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) per Machtwort einen Kompromiss durch: Neue Brennstäbe wurden nicht bestellt, die Kraftwerke aber blieben bis April 2023 am Netz, um die Versorgungssicherheit zu erhöhen. Nach allem, was man weiß, war Habeck das Machtwort des Kanzlers ganz recht. Es ersparte ihm den Konflikt mit Teilen seiner Partei.
Das Magazin „Cicero“glaubt nun herausgefunden zu haben, dass es Kräfte im Hintergrund gab, die eine solche Entscheidung unbedingt verhindern wollten. „Grüne Parteisoldaten“in den Ministerien hätten aktiv dagegen gearbeitet und missliebige Einschätzungen der Fachebenen wahlweise ignoriert, zurückgehalten oder manipuliert. Vor allem den inzwischen von Habeck entlassenen Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen und dessen Umweltkollegen Stefan Tidow hat das Magazin dabei im Blick. Habeck und seine Umwelt-kollegin Lemke, so der Vorwurf, seien von den eigenen Leuten in die Irre geführt worden.
Habeck selbst, das macht er nun klar, hält diese These für ziemlichen Unsinn. „Proaktiv“hätten er und sein Ministerium die Debatte über einen möglichen Weiterbetrieb der Kraftwerke geführt, sagt der Minister. Schon vor Kriegsbeginn sei man deshalb auf die Kraftwerksbetreiber zugegangen. Deren ursprüngliche Einschätzung, dass die verbliebenen Brennelemente nur bis Jahresende 2022 reichen würden, habe sich im Laufe des Sommers verändert, und deshalbhabemandiedebatteüber eine Laufzeitverlängerung noch einmal aufgenommen und am Ende positiv beschieden. „Die Annahme, dass da eine Art Geheimwissen wäre, das mich nicht erreicht hätte, ist falsch“, betont Habeck.
Zumindest die FDP scheint Habeck überzeugen zu können. Nachdem deren energiepolitischer Sprecher Michael Kruse zuvor verkündet hatte, „enttäuscht“von Habeck zu sein, rudert der klimapolitische Sprecher Olaf in der Beek nun zurück. „So wie der Minister es heute dargestellt hat, ist es völlig logisch, wie er entschieden hat“, sagt der FDPMANN. Er habe keinen Grund, Habeck nicht zu glauben.
Auch Habecks Kabinettskollegin Steffi Lemke scheint bei ihrer Befragung im Umweltausschuss nicht in Erklärungsnot zu kommen. Atomkraft sei eben eine Hochrisikotechnologie, weshalb jede sicherheitsrelevante Entscheidung gründlich geprüft werden müsse, sagt die für Nuklearsicherheit zuständige Ministerin. „Mir geht es darum, dass wir die nukleare Sicherheit in unserem Land jederzeit gewährleisten können.“
Der Union reichen die Antworten nicht. Es gebe noch ungeklärte Fragen, sagt Cduwirtschaftspolitiker Tilman Kuban. „Klar ist: Habeck muss sein Haus neu aufstellen, damit das Wirtschaftsministerium wieder zum Hüter faktenbasierter sozialer Marktwirtschaft wird“.