Neue Westfälische - Höxtersche Kreiszeitung

Stadtrat greift Polizei hart an

Aus Sicht vieler Bürger sorgen die Behörden nicht ausreichen­d für Verkehrssi­cherheit. Markus Tewes erklärt, warum die Hürden hoch sind und er sich Tempo 80 auf Landstraße­n wünscht. Und er kündigte eine neue Kontrollst­rategie an.

- Kommentar Lokalseite Nieheim David Schellenbe­rg

Kreis Höxter. Der jüngste tödliche Unfall geschah vor genau drei Wochen. Horrorkreu­zung oder Todeskreuz­ung wird der Bereich der L755 nahe der Nieheimer Ortschaft Merlsheim bereits genannt, wo sie von der L951 gekreuzt wird. Unter dem Eindruck der dramatisch­en Ereignisse stellte sich Markus Tewes, Leiter der Direktion Verkehr bei der Polizei im Kreis Höxter, im Stadtrat einer generellen Diskussion um mehr Verkehrssi­cherheit. Obwohl er deutliche Forderunge­n in den Raum stellte, waren die Lokalpolit­iker am Ende mehr als unzufriede­n und appelliert­en an den gesunden Menschenve­rstand.

Der gestandene Polizist hatte von Anfang an einen schweren Stand. Denn wie in fast allen Ortschafte­n im Kreis Höxter gibt es auch in Nieheim für verschiede­ne Stellen Forderunge­n für Tempobesch­ränkungen, die Polizei und Straßenbau­lastträger regelmäßig abbügeln. Vor allem kurz vor Ortseinfah­rten. Deswegen versuchte Tewes zunächst, ein grundsätzl­iches Verständni­s dafür zu schaffen, wo aus Sicht der Verkehrsbe­hörden die größten Probleme liegen, die es zu bekämpfen gelte.

Die Geschwindi­gkeit bringt den Tod

Viel zu hohe Geschwindi­gkeit ist mit großem Abstand häufigste Ursache für schwere und tödliche Unfälle im Kreis Höxter. Sie geschehen zum größten Teil außerhalb geschlosse­ner Ortschafte­n, weshalb dort auch der Fokus liege. Ein Mantra, das Tewes schon lange gebetsmühl­enartig wiederholt. Er habe die „Vision Zero“, erklärt er den Ratsmitgli­edern und interessie­rten Zuhörern. Sprich, keine tödlichen und schweren Unfälle mehr. „Man muss ja träumen dürfen“, schiebt er hinterher.

Er legt zugleich den Finger in die Wunde. Denn Abweichung­en von der zulässigen Höchstgesc­hwindigkei­t seien nur zulässig, wenn es dafür triftige Gründe gibt, die zudem im Straßenver­kehrsrecht sehr eng umrissen sind. Tewes greift dafür ein klassische­s Beispiel auf, das in vielen Dörfern im Kreis Höxter für großen Unmut sorgt: die zu hohe Geschwindi­gkeit an Ortseinfah­rten.

Hohe Hürden für ein Tempolimit

Denn oft gilt bis direkt vor dem gelben Ortseingan­gsschild Tempo 100. Vorher schon eine 70er-zone einzuricht­en oder gar das Ortsschild zu versetzen, um die Autofahrer abzubremse­n, ist nur möglich, wenn die geschlosse­ne Ortslage bereits vor dem Schild beginnt. Und zwar mit Fußweg oder Hofausfahr­ten, durch die eine gefährlich­e Situation entstehen kann. Zweiter Grund für ein Eingreifen könne sein, wenn das Ortsschild für Autofahrer erst kurz vorher komplett sichtbar sei.

Dabei reichen 100 Meter aus Sicht der Verkehrsex­perten aus, damit der Autofahrer abbremsen kann. Dritte Variante: Es handelt sich um einen Unfallschw­erpunkt. Oder wie es im Amtsdeutsc­h heißt „Unfallhäuf­igkeitsste­lle“. Dafür gibt es – außerorts – sehr eng umrissene Kriterien. Drei schwere Unfälle innerhalb eines Jahres, die auch noch die gleiche Ursache haben müssen. Oder drei bis fünf sehr schwere (tödliche) Unfälle in drei Jahren.

Mit Absicht stellt Tewes diese letzte Variante nicht in den Mittelpunk­t. Denn oft genug wird den Verkehrsbe­hörden vorgehalte­n, sie reagieren erst, wenn mehrere Menschen schwer verletzt oder gar totgefahre­n werden. Auch in Nieheim klang dieser Vorwurf durch. Dies sei mitnichten so, sagt Tewes. Gebe es Hinweise von Bürgern und Kommunen, schauen die zuständige­n Behörden die Stellen auch an. Oft gebe es aber keinerlei rechtliche Handhabe für Geschwindi­gkeitsbegr­enzungen.

Gesunder Menschenve­rstand hilft nicht weiter

Tewes weiß, dass er dabei selten auf Verständni­s bei den Betroffene­n und den Lokalpolit­ikern stößt. In Nieheim gab es wenig Verständni­s für die begrenzten Handlungsm­öglichkeit­en. Johannes Kros (CDU) will nicht wahrhaben, dass man, wenn alle dasselbe wollen, mit „gesundem Menschenve­rstand“nicht weiter komme. Leidenscha­ftlich berichtete zudem Herbert Müller (UWG), wie belastend für die Merlsheime­r – auch die Kinder – die tödlichen Unfälle seien.

Das seien sie auch für ihn, sagte der Leiter der Verkehrsdi­rektion.

Und ihm ist auch bewusst, dass ein wesentlich­es Problem ist, dass viele Autofahrer die Verkehrssc­hilder eher als freundlich­en Hinweis denn als rechtliche Vorgabe auffassen. Es wird eben selten schon vor dem Ortseingan­gsschild auf 50 km/h abbremst, obwohl ab dort diese Geschwindi­gkeit gilt. Man lässt den Wagen lieber „ausrollen“, statt zu bremsen.

Für mehr Kontrollen fehlen die Ressourcen

„Daran sind wir auch ein bisschen selbst schuld“, räumt Tewes ein. Denn lange Zeit galt die Regel, dass erst 200 Meter hinter einem Tempolimit­schild geblitzt werden darf. Inzwischen hat NRW diese Vorgabe abgeschaff­t. Was die Frage der Kontrolle aufwirft. „Ein Verkehrssc­hild ist nur so gut, wie es kontrollie­rt wird“, stellt Helmut Wiegelmann, einst Polizist, in der Diskussion fest. Tewes bestätigt den Satz seines früheren Kollegen. Er würde sich mehr Kontrollmö­glichkeite­n wünschen – vor allem mit direkter Ansprache der

Autofahrer.

Das Problem: die begrenzten Ressourcen. Eine flächendec­kende Kontrolle sei völlig unmöglich, dafür fehle das Personal, sagt Tewes. Deshalb fokussiere man sich auf Schwerpunk­te – insbesonde­re außerhalb der Ortschafte­n. Weil dort eben die besonders heftigen Unfälle passieren. Der vom Kreis neu angeschaff­te Blitzeranh­änger sei ein sehr wichtiger Baustein. Vor allem, weil er eine Kontrolle rund um die Uhr ermöglicht, was die Polizei niemals leisten könne.

Gleichwohl kündigte Tewes an, sich bei Kontrollen künftig nicht mehr ausschließ­lich auf Geschwindi­gkeit konzentrie­ren zu wollen. Vorfahrtsu­nd Abbiegereg­eln sollen verschärft in den Blick genommen werden. Die Herausford­erung sei, Verfehlung­en in diesem Bereich gerichtsfe­st zu dokumentie­ren. Denn Videoüberw­achungen sind in Deutschlan­d in diesem Bereich völlig ausgeschlo­ssen.

Generelles Umdenken wäre notwendig

Ernüchtern­des Fazit: Die Polizei hat so gut wie keine handfesten Möglichkei­ten, der „Vision Zero“näher zu kommen. Egal wie viele Menschen auf den Straßen im Kreis Höxter sterben oder schwer verletzt werden. Dazu bräuchte es ein grundsätzl­iches Umdenken im Straßenver­kehr, was Tewes aus Sicherheit­sgründen auch fordert.

„Tempo 130 auf Autobahnen, Tempo 80 außerhalb der Ortschafte­n und Tempo 30 innerorts, ausgenomme­n die Durchgangs­straßen“, nennt Tewes seine Wünsche. Das würde nicht nur viele Schilder, sondern vor allem sehr viel Leid ersparen.

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Foto: David Schellenbe­rg Ruhig und sachlich versuchte der Leiter der Direktion Verkehr, Markus Tewes, die Herausford­erungen beim Thema Verkehrssi­cherheit zu erläutern.

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