Neue Westfälische - Höxtersche Kreiszeitung
Stadtrat greift Polizei hart an
Aus Sicht vieler Bürger sorgen die Behörden nicht ausreichend für Verkehrssicherheit. Markus Tewes erklärt, warum die Hürden hoch sind und er sich Tempo 80 auf Landstraßen wünscht. Und er kündigte eine neue Kontrollstrategie an.
Kreis Höxter. Der jüngste tödliche Unfall geschah vor genau drei Wochen. Horrorkreuzung oder Todeskreuzung wird der Bereich der L755 nahe der Nieheimer Ortschaft Merlsheim bereits genannt, wo sie von der L951 gekreuzt wird. Unter dem Eindruck der dramatischen Ereignisse stellte sich Markus Tewes, Leiter der Direktion Verkehr bei der Polizei im Kreis Höxter, im Stadtrat einer generellen Diskussion um mehr Verkehrssicherheit. Obwohl er deutliche Forderungen in den Raum stellte, waren die Lokalpolitiker am Ende mehr als unzufrieden und appellierten an den gesunden Menschenverstand.
Der gestandene Polizist hatte von Anfang an einen schweren Stand. Denn wie in fast allen Ortschaften im Kreis Höxter gibt es auch in Nieheim für verschiedene Stellen Forderungen für Tempobeschränkungen, die Polizei und Straßenbaulastträger regelmäßig abbügeln. Vor allem kurz vor Ortseinfahrten. Deswegen versuchte Tewes zunächst, ein grundsätzliches Verständnis dafür zu schaffen, wo aus Sicht der Verkehrsbehörden die größten Probleme liegen, die es zu bekämpfen gelte.
Die Geschwindigkeit bringt den Tod
Viel zu hohe Geschwindigkeit ist mit großem Abstand häufigste Ursache für schwere und tödliche Unfälle im Kreis Höxter. Sie geschehen zum größten Teil außerhalb geschlossener Ortschaften, weshalb dort auch der Fokus liege. Ein Mantra, das Tewes schon lange gebetsmühlenartig wiederholt. Er habe die „Vision Zero“, erklärt er den Ratsmitgliedern und interessierten Zuhörern. Sprich, keine tödlichen und schweren Unfälle mehr. „Man muss ja träumen dürfen“, schiebt er hinterher.
Er legt zugleich den Finger in die Wunde. Denn Abweichungen von der zulässigen Höchstgeschwindigkeit seien nur zulässig, wenn es dafür triftige Gründe gibt, die zudem im Straßenverkehrsrecht sehr eng umrissen sind. Tewes greift dafür ein klassisches Beispiel auf, das in vielen Dörfern im Kreis Höxter für großen Unmut sorgt: die zu hohe Geschwindigkeit an Ortseinfahrten.
Hohe Hürden für ein Tempolimit
Denn oft gilt bis direkt vor dem gelben Ortseingangsschild Tempo 100. Vorher schon eine 70er-zone einzurichten oder gar das Ortsschild zu versetzen, um die Autofahrer abzubremsen, ist nur möglich, wenn die geschlossene Ortslage bereits vor dem Schild beginnt. Und zwar mit Fußweg oder Hofausfahrten, durch die eine gefährliche Situation entstehen kann. Zweiter Grund für ein Eingreifen könne sein, wenn das Ortsschild für Autofahrer erst kurz vorher komplett sichtbar sei.
Dabei reichen 100 Meter aus Sicht der Verkehrsexperten aus, damit der Autofahrer abbremsen kann. Dritte Variante: Es handelt sich um einen Unfallschwerpunkt. Oder wie es im Amtsdeutsch heißt „Unfallhäufigkeitsstelle“. Dafür gibt es – außerorts – sehr eng umrissene Kriterien. Drei schwere Unfälle innerhalb eines Jahres, die auch noch die gleiche Ursache haben müssen. Oder drei bis fünf sehr schwere (tödliche) Unfälle in drei Jahren.
Mit Absicht stellt Tewes diese letzte Variante nicht in den Mittelpunkt. Denn oft genug wird den Verkehrsbehörden vorgehalten, sie reagieren erst, wenn mehrere Menschen schwer verletzt oder gar totgefahren werden. Auch in Nieheim klang dieser Vorwurf durch. Dies sei mitnichten so, sagt Tewes. Gebe es Hinweise von Bürgern und Kommunen, schauen die zuständigen Behörden die Stellen auch an. Oft gebe es aber keinerlei rechtliche Handhabe für Geschwindigkeitsbegrenzungen.
Gesunder Menschenverstand hilft nicht weiter
Tewes weiß, dass er dabei selten auf Verständnis bei den Betroffenen und den Lokalpolitikern stößt. In Nieheim gab es wenig Verständnis für die begrenzten Handlungsmöglichkeiten. Johannes Kros (CDU) will nicht wahrhaben, dass man, wenn alle dasselbe wollen, mit „gesundem Menschenverstand“nicht weiter komme. Leidenschaftlich berichtete zudem Herbert Müller (UWG), wie belastend für die Merlsheimer – auch die Kinder – die tödlichen Unfälle seien.
Das seien sie auch für ihn, sagte der Leiter der Verkehrsdirektion.
Und ihm ist auch bewusst, dass ein wesentliches Problem ist, dass viele Autofahrer die Verkehrsschilder eher als freundlichen Hinweis denn als rechtliche Vorgabe auffassen. Es wird eben selten schon vor dem Ortseingangsschild auf 50 km/h abbremst, obwohl ab dort diese Geschwindigkeit gilt. Man lässt den Wagen lieber „ausrollen“, statt zu bremsen.
Für mehr Kontrollen fehlen die Ressourcen
„Daran sind wir auch ein bisschen selbst schuld“, räumt Tewes ein. Denn lange Zeit galt die Regel, dass erst 200 Meter hinter einem Tempolimitschild geblitzt werden darf. Inzwischen hat NRW diese Vorgabe abgeschafft. Was die Frage der Kontrolle aufwirft. „Ein Verkehrsschild ist nur so gut, wie es kontrolliert wird“, stellt Helmut Wiegelmann, einst Polizist, in der Diskussion fest. Tewes bestätigt den Satz seines früheren Kollegen. Er würde sich mehr Kontrollmöglichkeiten wünschen – vor allem mit direkter Ansprache der
Autofahrer.
Das Problem: die begrenzten Ressourcen. Eine flächendeckende Kontrolle sei völlig unmöglich, dafür fehle das Personal, sagt Tewes. Deshalb fokussiere man sich auf Schwerpunkte – insbesondere außerhalb der Ortschaften. Weil dort eben die besonders heftigen Unfälle passieren. Der vom Kreis neu angeschaffte Blitzeranhänger sei ein sehr wichtiger Baustein. Vor allem, weil er eine Kontrolle rund um die Uhr ermöglicht, was die Polizei niemals leisten könne.
Gleichwohl kündigte Tewes an, sich bei Kontrollen künftig nicht mehr ausschließlich auf Geschwindigkeit konzentrieren zu wollen. Vorfahrtsund Abbiegeregeln sollen verschärft in den Blick genommen werden. Die Herausforderung sei, Verfehlungen in diesem Bereich gerichtsfest zu dokumentieren. Denn Videoüberwachungen sind in Deutschland in diesem Bereich völlig ausgeschlossen.
Generelles Umdenken wäre notwendig
Ernüchterndes Fazit: Die Polizei hat so gut wie keine handfesten Möglichkeiten, der „Vision Zero“näher zu kommen. Egal wie viele Menschen auf den Straßen im Kreis Höxter sterben oder schwer verletzt werden. Dazu bräuchte es ein grundsätzliches Umdenken im Straßenverkehr, was Tewes aus Sicherheitsgründen auch fordert.
„Tempo 130 auf Autobahnen, Tempo 80 außerhalb der Ortschaften und Tempo 30 innerorts, ausgenommen die Durchgangsstraßen“, nennt Tewes seine Wünsche. Das würde nicht nur viele Schilder, sondern vor allem sehr viel Leid ersparen.