Neue Westfälische - Höxtersche Kreiszeitung
Höherer Mindestlohn verkürzt Verdienstabstand
Untere Gehälter steigen überdurchschnittlich schnell, obwohl Tarifbindung weiter schwindet.
Düsseldorf/frankfurt (dpa). Fest geregelte Arbeitszeiten, einheitliche Bezahlung und verbindliche Zusatzleistungen – in Deutschland können immer weniger Arbeitnehmer die Vorteile eines Tarifvertrags für sich in Anspruch nehmen. Nach einer Studie der gewerkschaftlichen Hans-böcklerstiftung führt das zu erheblichen Nachteilen für die Beschäftigten in tariflosen Betrieben: Sie müssten im Mittel 53 Minuten in der Woche länger arbeiten und erhielten dennoch zehn Prozent weniger Gehalt als Tarifbeschäftigte.
Das entspreche über das Jahr gesehen einer zusätzlichen Arbeitswoche, während auf dem Konto mehr als ein Monatsgehalt fehle. Auf der anderen Seite hat aber der zuletzt stark erhöhte gesetzliche Mindestlohn die Verdienstunterschiede in Deutschland abgemildert. Vor allem Geringverdiener profitierten von der Steigerung auf 12 Euro in der Stunde, berichtete das Statistische Bundesamt für den Zeitraum von April 2022 bis April 2023. Am Ende dieser Periode verdienten die oberen zehn Prozent der Beschäftigten im Schnitt das 2,98-fache der Geringverdiener aus dem untersten Zehntel der Lohnskala. Ein Jahr zuvor war es noch das 3,28-fache gewesen.
Nach einer weiteren Anhebung zum Jahresbeginn beträgt der Mindestlohn derzeit 12,41 Euro. Mit einem Bruttostundenlohn von 12,25 Euro zählte man im April 2023 gerade noch zu den Geringverdienern, während Besserverdienende mindestens auf 36,48 Euro in der Stunde auf dem
Zettel hatten. Die Entwicklung konnte unterschiedlicher kaum sein: Im beobachteten Zeitraum gab es am oberen Endederskalaeinenzuwachsvon 1,9 Prozent, während die Gehälter am Sockel um 12,4 Prozent zulegten.
Die Lohnungleichheit sei bis Anfang der 2010er Jahre zu groß geworden – mit negativen Folgen für Produktivität und Beschäftigung, sagt Arbeitsmarktforscher Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bei der Arbeitsagentur. Nun müsse aber darauf geachtet werden, dass keine falschen Job-anreize gesetzt würden.
Anteil der „Ungelernten“gestiegen
Im vergangenen Jahr sei der Anteil der Ungelernten unter den 20- bis 34-Jährigen erneut gestiegen, um knapp 100.000 Personen auf nun über 18 Prozent. Gerade in Zeiten der Transformation müsse deshalb noch mehr für Ausbildung und Qualifizierung getan werden.
Tarifverträge werden zwar zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern oberhalb des Mindestlohn-niveaus ausgehandelt, aber der schleichende Rückgang der Tarifbindung habe sich auch 2023 Jahr fortgesetzt, berichtet das Wirtschaftsund Sozialwissenschaftliche Institut der Böckler-stiftung. Nur noch 49 Prozent der Beschäftigten seien 2023 in tarifgebundenen Betrieben tätig gewesen. Im Jahr 2000 hatte der Anteil noch 68 Prozent betragen.