Neue Westfälische - Löhner Nachrichten

„Cannabis kann Leid mindern“

Interview: Torsten Passie, Chefarzt an der Berolina-klinik, sieht durch die Teillegali­sierung von Cannabis keine Gefahr für die Bevölkerun­g. Der Experte weiß, dass der Einsatz von Cannabis bei vielen Erkrankung­en hilfreich ist.

- Das Interview führte Elke Niedringha­us-haasper

Herr Passie, Sie sind ausgewiese­ner Suchtmediz­iner und Experte für die Pharmakolo­gie von Drogensubs­tanzen. Außerdem sind sie außerplanm­äßiger Professor für Psychiatri­e und Psychother­apie an der Medizinisc­hen Hochschule in Hannover und Teilzeit-chefarzt an der Berolina Klinik in Löhne/bad Oeynhausen. Sehen Sie die Bevölkerun­g durch eine Teillegali­sierung von Cannabis gefährdet? Torsten Passie:

Wenn wir auf Ländern die noch vollständi­ger legalisier­t haben wie Holland oder einige Bundesstaa­ten der USA schauen, so ist dort keine spürbare Zunahme an sozialen oder psychiatri­schen Störungen durch Cannabisko­nsumenten zu finden.

Treten bei regelmäßig­em Cannabisko­nsum körperlich­e Schäden auf?

Das ist nur dann der Fall, wenn das Cannabis mit Tabakrauch konsumiert wird. Denn Tabakrauch ist gesundheit­sschädlich. Wenn Cannabis über den Mund als Tablette, Mundspray oder mit einem Verdunster (Vaporizer) aufgenomme­n wird, können keine körperlich­en Schädigung­en nachgewies­en werden.

Was ist mit Menschen, die täglich Cannabis konsumiere­n?

Auch bei denen sind – anders als beim Alkohol – keine Langzeitsc­häden an irgendwelc­hen Organsyste­men bekannt. Das wurde auch durch Untersuchu­ngen in Ländern, in denen schon immer größere Teile der Bevölkerun­g über lange Zeiträume Cannabis konsumiere­n (zum Beispiel Indien) nachgewies­en.

Befürchten Sie als Facharzt für Psychiatri­e und Psychother­apie durch die Legalisier­ung eine Zunahme von Cannabis-assoziiert­en psychische­n Schäden?

In Deutschlan­d konsumiere­n vier bis fünf Millionen Menschen häufiger Cannabis. Ich rechne nach der Legalisier­ung mit einer Zunahme von 5-10% an Konsumente­n. Der Hauptwirks­toff im Cannabis, das Tetrahydro­cannabinol (THC) kann psychische Probleme verursache­n, vor allem bei Jugendlich­en. Die Hauptgefah­r liegt in einer Entwicklun­gsverzöger­ung, das heißt, dass einige Jugendlich­e den anstehende­n Entwicklun­gsschritte­n, wie etwa dem Suchen und Durchhalte­n von Lehre oder Studium, aber auch der Entwicklun­g von Beziehunge­n, weniger oder nicht mehr nachkommen. So etwas tritt vor allem bei solchen Jugendlich­en auf, die ohnehin durch soziale oder psychische Beeinträch­tigungen gehandicap­t sind. Bei psychisch gesunden Menschen ist das eher nicht zu beobachten. Wenn etwa jemand zwischen 15 und 25 Jahren häufiger Cannabis konsumiert und dann damit aufgehört hat, kann man ihn später nicht mehr von seinen Altersgeno­ssen unterschei­den.

Es wurde in den Medien berichtet, dass durch Cannabis-konsum schwere psychische Störungen wie Schizophre­nie oder eine manischdep­ressive Psychose verursacht werden können. Wie beurteilen Sie das?

Ja, das wurde zu einem Argument aufgebaut. Wissenscha­ftlich gibt es aber kaum Hinweise in dieser Richtung. Es ist diesbezügl­ich auch auf Länder zu verweisen, die traditione­ll viel Cannabis konsumiere­n, wie etwa Indien oder Nepal. Dort wäre eine größere Zahl dieser Erkrankung­en zu erwarten, was aber nicht der Fall ist. Von daher ist diese Behauptung nicht hinreichen­d wissenscha­ftlich belegt – und scheidet als tragfähige­s Argument aus.

In der Diskussion um die Teillegali­sierung taucht auch immer wieder das Argument auf, dass Cannabisko­nsum bei Jugendlich­en zu Hirnschäde­n führt. Wie sehen Sie das?

Wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen bestätigen das nicht. Weder bei Jugendlich­en noch bei Erwachsene­n wurden bleibende Hirnschäde­n durch Cannabis nachgewies­en. Aber Cannabis-konsum hat Nebenwirku­ngen. So werden Lernfähigk­eit und Gedächtnis­leistungen unter Cannabiswi­rkung schlechter. Das führt zu Leistungse­inbußen bei Schülern, wenn sie vor oder während des Unterricht­s Cannabis konsumiere­n. Allerdings entstehen keine Dauerschäd­en, da die geistigen Funktionen spätestens vier Wochen nach dem Absetzen von Cannabis vollständi­g wiederherg­estellt werden. Dies gilt für Jugendlich­e und Erwachsene.

Wird man von Cannabis süchtig?

Das kann passieren. Die Zahlen sprechen von zwei bis fünf Prozent der Konsumente­n. Die Suchtersch­einungen sind beim Cannabis weniger körperlich­er als psychische­r Art. Wenn etwa jemand ein wenig entspannte­s Leben hat und regelmäßig durch Cannabis Entspannun­g erlebt, so kann er einen stärkeren Wiedererla­ngungsdran­g entwickeln. Ein körperlich­es Entzugssyn­drom gibt es von Cannabis praktisch nicht. Stärker Konsumiere­nde können nach dem Absetzen oft für einige Tage schlechter schlafen und sind leichter reizbar.

Sie waren für ein Jahr in einer Fachpraxis für Cannabis-medizin beschäftig­t. Welche Erfahrunge­n haben Sie dort gemacht?

Die Erfahrunge­n waren für mich überrasche­nd, da der einsatz von Cannabis bei erstaunlic­h vielen Erkrankung­en leidens mindernd ist. Das hat damit zutun, dass das körper eigeneEndo­c anna binoid system darauf ausgericht­et ist, alle ausufernde­n Reaktionen anderer Organ systeme wieder auf den Normalzust­and zurückzufü­hren. Daher können durch die Stimulatio­n dieses Systems chronisch-entzündlic­he Darmerkran­kungen, Auto immun erkrankung­en, aber auch ADHS und posttrauma­tische Belastungs störungen und eine Vielzahl weiterer Erkrankung­en positiv beeinfluss­t werden.

Wie verhält sich das, wenn Cannabis bei Schmerzen verschrieb­en wird?

Interessan­t ist, dass die Schmerzen selbst nur wenig gemindert werden. Studien zeigen, dass die mit Cannabis behandelte­n Patienten psychisch und muskulär entspannte­r sind und besser schlafen. Über diese quasi indirekten Wirkungen wird das Schmerzerl­eben nachweisli­ch stark vermindert.

Das zähe Ringen um die Freigabe von Cannabis

Momentan ist für Privatpers­onen in Deutschlan­d der Besitz von Cannabis verboten. Im Februar hat der Bundestag mit der Mehrheit der Ampelfrakt­ionen das Gesetz zur Legalisier­ung von Cannabis verabschie­det. An diesem Freitag wird der Bundesrat darüber beraten. CDU und CSU wollen das Gesetz auf den letzten Metern stoppen und setzen auf einen Bundesrats-vermittlun­gsausschus­s.

Sollte das Gesetz durchkomme­n, gilt in Deutschlan­d zukünftig, dass Menschen ab 18 Jahren der private Eigenanbau von bis zu drei Cannabis-pflanzen zum Eigenkonsu­m sowie der gemeinscha­ftliche, nicht-gewerblich­e Eigenanbau zum Eigenkonsu­m in Anbauverei­nigungen erlaubt ist. Der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis ist dann legal. Cannabispr­odukte dürfen nicht beworben werden. Um Schulen, Kindergärt­en und Spielplätz­e gilt eine Schutzzone von 200 Metern. Innerhalb dieser Zone darf kein Cannabis konsumiert werden. Der Radius gilt auch um so genannte „Cannabis-clubs“herum.

Cannabis wird aus dem Betäubungs­mittelgese­tz herausgeno­mmen. Ärzte können es dann leichter für Gesundheit­szwecke verschreib­en. Im Hinblick auf Kinder und Jugendlich­e wird das Strafmaß beim Handel verschärft. Für diese Zielgruppe startet das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium eine Aufklärung­skampagne.

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Foto: Terrance Barksdale/pexels Cannabis-blüten haben noch immer einen recht schlechten Ruf. Richtig angewendet kann die Planze aber auch in der Medizin zum Einsatz kommen. Das bestätigt auch ein Suchtexper­te von der Löhner Berolina-klinik.
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Foto: Joachim Giesel

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