Neue Westfälische - Löhner Nachrichten
Wie Hase und Reh den jungen Wald gefährden
Weil die Wildtiere die nachwachsenden Bäume anknabbern, hat es der Wald schwer, sich artenreich zu verjüngen. Förster Markus Uhr plädiert daher für einen gezielten Abschuss.
Die Mischung macht’s. So lautet das Mantra der Forstleute, das auch Revierförster Markus Uhr gern bemüht. Möglichst artenreich soll sich der von Trockenheit, Hitze, Sturm und Borkenkäfer gebeutelte Forst verjüngen. Und hier, am Südhangdeswiehengebirgesoberhalb von Bergkirchen, hat der Wald dazu auch gute Chancen. Mindestens zehn verschiedene Baumarten macht Uhr hier auf einer einst von Fichten bestandenen, etwa zwei Hektar großen Fläche aus. Mischen ist also möglich. Wenn da nicht zwei wilde Waldbewohner wären, die das unterlaufen, indem sie die Jungbäume anknabbern: Reh und Hase.
Ernsthaft? Hasen sollen den Baumnachwuchs gefährden? Markus Uhr nickt. „Als ich neulich eine Fläche mit jungen Buchen besucht habe, dachte ich, da sei jemand mit der Heckenschere durchgegangen“, berichtet der Förster. Überall am Boden hätten fingerdicke Äste gelegen, abgetrennt wie mit einem scharfen Schnitt. Typische Hinweise auf Verbiss durch Hasen, die solch glatte Bissstellen hinterlassen, erläutert Uhr. Der wie seine Försterkollegen in ganz NRW derzeit in den Wäldern unterwegs ist, um die Schäden durch Wildtiere an den jungen Bäumen zu dokumentieren. „Verbissaufname“nennt das der Landesbetrieb Wald und Holz, in dessen Diensten Uhr steht.
2.000 Hektar Kahlflächen
Das Problem: Von den rund 930.000 Hektar Wald in NRW haben etwa 150.000 Hektar in den vergangenen Jahren ihre Bäume verloren. Vor allem die Fichte litt massiv unter Klima und Borkenkäfer. Im Wiehengebirge sind nach Uhrs Schätzung etwa 2.000 Hektar Wald betroffen. In seinem Revier im Norden Bad Oeynhausens, zwischen Kaiser-denkmal und Oberlübbe, sind es geschätzte 130 Hektar – und die Fichte ist hier fast verschwunden.
Die Folge: Die kahlen Flächen müssen wieder bewaldet werden. Das geschieht in Uhrs Revier zum Teil durch gezielte Aufforstung, zum überwiegenden Teil aber setzt der Förster auf Naturverjüngung. Das heißt: Er lässt die Bäume wachsen,diesichdortvonselbstausgesamt haben. Das aber können nur Arten sein, die auch schon im Umfeld stehen. „Wir wollen der Nachwelt aber einen vitalen Wald hinterlassen, der gut auf die Herausforderungen des Klimawandels eingestellt ist“, sagt er. Und da ist eben die bunte Mischung ein Rezept für die Widerstandskraft des Waldes. Fichten, Buchen, Lärchen, Ebereschen und Birken sprießen von ganz allein auf den Brachflächen. Will der Förster aber auch andere Arten haben – Eiche, Weißtanne, Douglasie, Wildkirsche oder Esskastanie – dann muss er sie pflanzen.
„Was Hasen anrichten, macht mich zornig“
Und genau hier kommt der Wildverbiss ins Spiel. Denn die in ungewohnt großer Zahl heranwachsenden Jungbäume schmeckenauchhaseundreh. Wobei der Feldhase, wie Markus Uhr bebachtet hat, offenbar die Äste nicht nur beknabbert, um sie zu fressen. Und: Der Feldhase vermehrt sich momentan so stark, dass der Deutsche Jagdverband gerade von einem „Allzeithoch“der wilden Hoppler sprach.
Aber auch der Bestand des Rehwildes hat sich prächtig entwickelt. „Wir haben auch hier im Wiehengebirge deutlich mehr Rehe als früher“, beobachtet der Förster. Und das Reh ist ein Feinschmecker. Die Küstentanne lässt der filigrane Wiederkäuer gern links liegen, die Weißtanne – von Laien kaum davon zu unterscheiden – gehört zu seinen Leibgerichten.esskastanienauch,wieuhr in seinem Revier deutlich erkennen kann. Für die „Verbissaufnahme“wendet ein vom Landesbetrieb Wald und Holz vorgegebenes Verfahren an. Er guckt sich einen zentralen Jungbaum aus und nimmt die Schäden in einem vier Quadratmeter großen Umfeld auf. Das wird dann im Abstand von 15, 20 Metern wiederholt.
Dasgrobeschadensbildaber war Markus Uhr schon vorher klar. Gerade die Baumarten, die der Förster gern für seine zukunftsfähige Mischung braucht, werden von den Rehen besonders geliebt. Die schlanke und kleinste europäische Hirschart zupft dem besonders gern den oberen Leittrieb ab. Was dann dazu führt, dass der junge Baum nicht mehr zielstrebig in die Höhe wächst, sondern sich schon in Bodennähe buschartig verzweigt. Ein stolzer Wald entsteht so nicht. An der Höhe der Bissschäden, aber
auch am „Schnittbild“kann der Förster erkennen, ob Hasen oder Rehe die Übeltäter waren. Denn der Biss des Hasen ist glatt, der vom Reh ausgefranst. „Rehe haben keine oberen Schneidezähne“, weiß der Förster den Grund.
„Ein Schlaraffenland für Rehe“
Obwohl Rehe den deutlich größeren Schaden verursachen, ist des Försters Verhältnis zum Hasen kritischer. „Was die Rehe anrichten, ärgert mich. Was Hasen anrichten, macht mich zornig“, sagt Uhr. Was ihn ärgert: Das Reh frisst die Triebspitzen wenigstens auf, der Hase lässt die abgetrennten Äste oft einfach unbeachtet liegen.
„Ein gewisser Verbissschaden ist im Wald natürlich zu akzeptieren, der gehört dazu“, betont Uhr. Allerdings profitierten Hase und Reh im Moment sehr von den perfekten Lebensbedingungen. Einerseits von den klimatischen Veränderungen. Aber auch von den vielen Jungpflanzen im Wald. „Gerade hier am Südhang des Wiehengebirges ist ein Schlaraffenland für Rehe“, sagt Uhr. Und mit Zäunen lassen sich nur einzelne, besondere Waldstücke schützen. Den ganzen Wald einzuzäunen, das ist nicht nur für Markus Uhr keine Option.
Der Förster plädiert deshalb für den verstärkten Abschuss vor allem des Rehwildes. „Natürlich wollen wir die Tiere nicht ausrotten“, betont der Förster. „Aber wenn wir eine gute Artenmischung im Wald der Zukunft haben wollen, dann müssen wir den Rehbestand regulieren.“Darüber habe es auch schon erste Gespräche mit der Kreisjägerschaft und den Hegeringen gegeben, berichtet der Förster. Im Mai oder Juni sollen weitere Gespräche folgen. Dann will Uhr auch die Ergebnisse der Verbissaufnahme präsentieren, mit denen sich – so ist der Förster überzeugt – auch die Notwendigkeit zum Handeln gegenüber den Jägern belegen lassen werde.
Im übrigen reicht den meisten Jungbäumen eine kurze Schonzeit, zwei, drei Jahre, in denen ihnen kein Reh die Triebspitze gekappt hat. Dann sind sie munter mehr als 1,50 Meter groß, und das Reh kann die Spitze nicht mehr erreichen. So wie das Bäumchen, das Uhr in einem seiner Untersuchungs-karrees findet, schnurgerade gewachsen und mit 1,70 Metern nun rehsicher ist. Und noch etwa anderes freut den Förster an diesem Baum besonders. Es ist eine Eiche. Und ein Beispiel für die Kraft der Selbstverjüngung des Waldes. „Die haben wir nicht gepflanzt“, sagt Markus Uhr.