Neue Westfälische - Löhner Nachrichten

Angriffe: Kein Sonderrech­t für Politiker

Nach Attacken auf Amtsträger haben die Innenminis­ter eine Verschärfu­ng des Strafrecht­s ins Gespräch gebracht. Der Vorschlag stößt auf Skepsis.

- Das Gespräch führte Markus Decker

(epd). Nach den gewaltsame­n Attacken gegen Politiker wird weiter über Konsequenz­en diskutiert. Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP) sprach sich gegen eine Verschärfu­ng von Strafen speziell bei Angriffen auf Amtsträger aus. Auch der frühere Bundestags­präsident Wolfgang Thierse (SPD) steht entspreche­nden Gesetzesän­derungen skeptisch gegenüber. Lindner sagte: „Experten sagen, dass der Strafrahme­n ausreicht, aber die Handlungsf­ähigkeit der Justiz verbessert werden muss.“Körperverl­etzung sei strafbar. „Dabei macht es keinen Unterschie­d, ob das Opfer nun ein öffentlich­es Amt bekleidet oder nicht.“

Der frühere Bundestags­präsident Thierse erklärte, es komme darauf an, wie man einen solchen Straftatbe­stand formuliert. Dabei dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass Sonderrech­te für Politikeri­nnen und Politiker geschaffen werden, sagte er. Solche Sonderrech­te könnten im Gegenteil zu einer größeren Spaltung zwischen einer vermeintli­chen politische­n Elite und dem Rest des Wahlvolks führen.

Vor rund einer Woche war in Dresden der sächsische Spd-europaabge­ordnete Matthias Ecke niedergesc­hlagen und schwer verletzt worden, als er Plakate zur Europawahl aufhängte. Auch andernorts gab es Angriffe auf Wahlkämpfe­r. Am Dienstag wurde die Berliner Wirtschaft­ssenatorin Franziska Giffey (SPD) bei einem Angriff in einer Stadtteilb­ibliothek leicht verletzt. Die Innenminis­terkonfere­nz sprach sich für Verschärfu­ngen des Strafrecht­s aus, um Angriffe konsequent­er zu ahnden und Kommunal- und Europapoli­tiker besser zu schützen. Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) setzt auch auf verstärkte Polizeiprä­senz.

Die Haltung der CDU ist unklar. In Deutschlan­d stellen sie sich mit uns zusammen auf die Bühne und rufen den Kampf gegen die Feinde der Demokratie aus, AFD eingeschlo­ssen. In Europa schließt gleichzeit­ig niemand in der CDU aus, nach der Wahl mit der Ekr-fraktion zusammenzu­gehen. In der EKR tummeln sich Parteien wie das spanische Gegenstück der AFD. Wir wollen eine demokratis­che Mehrheit im Europäisch­en Parlament und stehen dafür bereit. CDU und CSU müssen aufhören, um diese Frage herum zu eiern. Die Frage an Frau von der Leyen ist doch: Will die Union in Brüssel tatsächlic­h mit Rechtsextr­emen koalieren? Die Wähler haben das Recht zu wissen, was sie bekommen.

Sie gehen nicht mit rechten Parteien zusammen?

Die Zusammenar­beit mit Demokratie­feinden im Europaparl­ament schließe ich aus, ja. Es ist nicht Sinn der Sache, Wahlkampf für Demokratie und Freiheit in Europa zu machen, um hinterher mit ihren Feinden zu koalieren. Die Union muss aber auch inhaltlich aufhören herumzueie­rn. Das betrifft auch den Green Deal – das Herzstück von fünf Jahren Arbeit ihrer Parteikoll­egin Ursula von der Leyen. Der Green Deal ist entscheide­nd für den Weg zur Klimaneutr­alität und damit zu Europas Wettbewerb­sfähigkeit auf dem Weltmarkt. Wir stehen in einem globalen Wettbewerb, in dem in den USA und Asien Milliarden in Klimatechn­ologien investiert werden. Es geht darum, wo sich Zukunftste­chnologien ansiedeln, wo Jobs erhalten bleiben und neue entstehen. Wenn CDU und CSU jetzt dennoch gegen die Arbeit von Frau von der Leyen Wahlkampf machen, dann fragt man sich: Was kriegt man eigentlich, wenn man CDU und CSU wählt?

Wenn es dabei bleibt, läuft mit den Grünen nichts?

Wir wollen, dass Europa auch in Zukunft ein Kontinent ist, auf dem Innovation und gute Arbeitsplä­tze entstehen. Dafür braucht es kluge Antworten und keine Ideen aus der Mottenkist­e. Ich hoffe, dass die Union sich da nach der Wahl besinnt.

Mein Eindruck ist ein anderer: Über allem steht doch die Frage, ob Deutschlan­d internatio­nal wettbewerb­sfähig bleibt. Und dabei wird es ganz entscheide­nd sein, dass wir durch den Ausbau der Erneuerbar­en, durch gute Infrastruk­tur, durch Bürokratie­abbau weiterhin ein guter Standort für die Wirtschaft bleiben. Das sind alles grüne Themen. Um die Herausford­erungen unserer Zeit zu lösen, braucht es eine Politik, die nicht in Silos denkt, sondern vorsorgt. Dafür stehen wir. Und zum Klima: Ich war gerade im Kleingerau­er Wald bei Büttelborn in Südhessen. Die Förster dort sind nur noch damit beschäftig­t, totes Holz einzusamme­ln. Wer das nicht ernst nimmt und glaubt, die Klimakrise sei nicht so groß, der ist aufgerufen, sich das nächste Waldstück um die Ecke anzugucken. Klimaschut­z ist kein Thema der Grünen, sondern eine Menschheit­saufgabe.

Ein anderes Thema sind die jüngsten Angriffe auf Politiker. Haben Sie selbst schon mal einen Angriff erlebt?

Ich habe oft erlebt, dass es sehr laut wurde. Da kommen Leute und versuchen, Diskussion­en durch Schreie zu stören. Aber ich bin in einer privilegie­rten Lage, denn im Zweifel erhalte ich den Schutz des Bundeskrim­inalamts. Ehrenamtli­che, die es gerade in besonderem Maße trifft, haben weniger Schutz. Und Studien belegen, dass eine Mehrheit von Kommunalpo­litikern schon Gewalt erlebt hat. Hinzu kommt, dass politische Arbeit und das Privatlebe­n auf kommunaler Ebene enger beieinande­r liegen. Der Bka-präsident selbst spricht davon, dass Angriffe auf Kommunalpo­litiker die größte Gefahr für unsere Demokratie seien. Die Ehrenamtli­chen in diesem Land sind das Rückgrat unserer Gesellscha­ft. Sie brauchen unseren Schutz und unsere Unterstütz­ung, damit sie ihre Arbeit machen können.

Ich bin erstmal froh, dass es überhaupt eine Innenminis­terkonfere­nz gegeben hat. Sie war überfällig. Ich habe auch nichts dagegen, dass wir darüber reden, wie wir die Gesetzesla­ge verbessern können. Aber wir reden ja derzeit über eine akute Gefahr. Und dafür braucht es jetzt Lösungen. Täglich stehen Tausende Wahlkämpfe­r aller Parteien auf den Straßen und werben für ihre Überzeugun­g. Und wer heute sagt, er habe kein Personal, der wird auch morgen dasselbe sagen, wenn es um die Umsetzung neuer Gesetze geht. Alle 17 Innenminis­ter in Bund und Ländern sind verantwort­lich für die Integrität von Wahlen. Und zur Integrität von Wahlen gehört, dass ungehinder­t Wahlkampf gemacht werden kann.

Das müssen die Innenminis­ter jetzt und nicht irgendwann gewährleis­ten und dafür die nötigen Ressourcen bereitstel­len.

Wir haben auch zunehmende Spionage aus Russland und aus China. Was lässt sich denn dagegen machen?

Wir müssen bei der Abwehr ausländisc­her Agententät­igkeit besser werden. Bekanntes Beispiel war der Tiergarten­mord 2019, wo der russische Geheimdien­st jemanden auf offener Straße erschossen hat. Die Einflüsse von Autokratie­n wie Russland, aber auch China reichen aber viel weiter. Dabei wird vor allem versucht, Einfluss auf die öffentlich­e Debatte zu nehmen. Es gibt ja immer wieder Berichte, dass Russland und China teils ranghohe Funktionär­e der AFD bezahlt haben. Damit Sicherheit­sbehörden besser dagegen vorgehen können, müssen Finanzströ­me besser ausgeleuch­tet werden. Hier fehlen unseren Sicherheit­sbehörden die nötigen Werkzeuge, um das transparen­t zu machen. Da braucht es mehr Handlungsf­ähigkeit. Dem Anschein nach haben wir es mit der AFD mit einer Partei zu tun, die kein Problem damit hat, die Interessen von Russland und China zu vertreten – auf Kosten deutscher Interessen. Die AFD schadet Deutschlan­d.

Brauchen die Sicherheit­sbehörden bei Cyberattac­ken auch das Recht zu Hackbacks, also zu Gegenangri­ffen?

Nein. Wir brauchen eine vertiefte europäisch­e Zusammenar­beit – etwa in Form einer europäisch­en Nachrichte­ndienstage­ntur. Dass wir über russische Zahlungen an einen Afd-europaabge­ordneten vom tschechisc­hen Nachrichte­ndienst erfahren haben, ist gut. Aber das muss systematis­iert werden. Es ist bekannt, dass die Feinde unserer Demokratie sich internatio­nal vernetzen. Entspreche­nd sollten wir Europäer unsere Stärken bündeln. Das gilt auch für den Umgang mit der islamistis­chen Terrorgefa­hr.

 ?? Foto: dpa ?? Omid Nouripour ist ein iranisch-deutscher Politiker. Er ist seit 2006 Mitglied des Bundestage­s und seit 2022 gemeinsam mit Ricarda Lang Bundesvors­itzender von Bündnis 90/Die Grünen.
Foto: dpa Omid Nouripour ist ein iranisch-deutscher Politiker. Er ist seit 2006 Mitglied des Bundestage­s und seit 2022 gemeinsam mit Ricarda Lang Bundesvors­itzender von Bündnis 90/Die Grünen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany