Neue Westfälische - Löhner Nachrichten
Wie Ostwestfalen das Grundgesetz prägten
Das Grundgesetz wird 75 Jahre alt. Unter den Vätern und Müttern des Textes waren auch mehrere Menschen aus der Region – mit großem Einfluss.
Es ist ein Gesetz, das über allen anderen Gesetzen dieses Landes steht – und in Folge des wohl dunkelsten Kapitels der deutschen Geschichte verfasst worden ist. „Das Grundgesetz ist nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, als die Menschen den Horror und Schrecken des Nationalsozialismus noch vor Augen hatten“, betont Christiane Toyka-seid von der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB). Die Grundrechte stehen dementsprechend symbolisch direkt am Anfang – zum Beispiel, dass die Würde des Menschen unantastbar ist (Artikel 1).
Erarbeitet wurde das Grundgesetz von einem Parlamentarischen Rat in Bonn, bestehend aus Abgeordneten der Bundesländer. Dort wurde es am 23. Mai 1949 auch verkündet – vor 75 Jahren. Maßgeblich beteiligt waren auch mehrere Politiker aus Ostwestfalen-lippe.
Friederike Nadig
Nur vier Frauen wirkten an der Entstehung des Grundgesetzes mit – eine von ihnen ist die gebürtige Herforderin Friederike, genannt „Frieda“, Nadig. Die Landtags- und später auch Bundestagsabgeordnete der SPD profilierte sich in der Sozialpolitik und ist als laute Stimme für Gleichberechtigung bekannt geworden. Im Grundsatzausschuss des Parlamentarischen Rats soll sie den entscheidenden Formulierungsvorschlag eingebracht haben: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“– bis heute steht er in Artikel 3.
In den Verhandlungen stieß der Vorschlag zunächst auf Widerstand. Das Bürgerliche
Gesetzbuch sah bis dahin viele Privilegien für Ehemänner vor, zum Beispiel über das Vermögen ihrer Frauen zu verwalten oder deren Arbeitsverträge zu kündigen. Mehrfach wurde der Vorschlag, den Nadig mit ihrer Spd-mitstreiterin Elisabeth Selbert formuliert hatte, abgelehnt. Doch Nadig setzte sich durch.
In der Region machte sie sich von 1946 bis 1966 auch als Geschäftsführerin der AWO Ostwestfalen einen Namen. Nach ihr sind unter anderem ein Bildungszentrum des Verbands in Herford sowie ein Seniorenzentrum in Bielefeld benannt. Ein Denkmal am Herforder Rathaus erinnert zudem an Nadig und die anderen „Mütter des Grundgesetzes“. Sie verstarb am 14. August 1970 in Bad Oeynhausen.
Adolf Blomeyer
Der gebürtige Löhner ist unter den Mitgliedern des Parlamentarischen Rats eine Besonderheit: Er hatte kein Abgeordnetenmandat, wurde aber trotzdem vom Landtag nominiert. Er sollte das bis dato unterrepräsentierte Ostwestfalen vertreten und galt als Experte für Landwirtschaft, auch weil er nach einer Landwirtschaftslehre das ehemalige Rittergut „Haus Beck“leitete und sich als Kreisbauernführer engagierte. Das Problem: Dafür musste er in eine Partei eintreten – und wählte widerwillig die CDU.
Laut Bundeszentrale für politische Bildung sind von Blomeyer zwar nur wenige Beiträge im Parlamentarischen Rat überliefert – er habe allerdings maßgeblichen Einfluss auf das Wahlrecht sowie die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern, zum
Beispiel beim Naturschutz oder Bodenrecht, genommen. Außerdem habe er sich stark für die Lage der Heimatvertriebenen eingesetzt. Blomeyer starb am 5. März 1969 in Bünde.
Johannes Brockmann
Am 17. Juli 1888 geboren, wuchs Brockmann in einer Paderborner Eisenbahnerfamilie auf. Nach der Ausbildung wirkte er als Lehrer in Münster und schloss sich der Zentrumspartei an, für die der Landtagsabgeordnete dann auch in den Parlamentarischen Rat einzog.
Brockmann übernahm im Rat mehrere wichtige Aufgaben: Da er der nur zweiköpfigen Fraktion seiner Partei vorstand, zog er in den Ältestenrat ein und wurde Mitglied im Geschäftsordnungsausschuss.
In seinen Beiträgen warb er laut BPB für einen starken Föderalismus und demokratische Elemente wie Volksbegehren und Volksentscheide. Maßgeblich wird ihm Artikel 21 zugeschrieben, den er gegen Widerstände anderer Parteien durchgesetzt haben soll: Es ist die Pflicht, dass Parteien die Herkunft ihrer Mittel offenlegen müssen.
Brockmann, der am 14. Dezember 1975 in Münster starb, lehnte das Grundgesetz bei der Schlussabstimmung ab. Er sah die Interessen der Katholiken nicht ausreichend berücksichtigt.
Hermann Höpker-aschoff
Der gebürtige Herforder zog als Finanzexperte für die FDP in den Parlamentarischen Rat ein. Er galt laut BPB als führender Kopf auf diesem Themengebiet und Befürworter einer einheitlichen Bundesfinanzverwaltung.
Unmittelbar nach Kriegsende wurde Höpker-aschoff auch als Nrw-finanzminister gehandelt, die Ernennung lehnten die Briten allerdings ab. Der Grund: Er hatte ab 1940 im Auftrag der Nazis als leitender Mitarbeiter der Haupttreuhandstelle Ost gearbeitet. Die Aufgabe: Beschlagnahme und Verwaltung polnischer Vermögen in den „eingegliederten Ostgebieten“.
Trotzdem rückte er kurz nach seinem Eintritt in die Partei in den Fdp-vorstand auf, errang ein Bundestagsmandat, den Vorsitz des Finanzausschusses und wurde von 1951 bis 1954 sogar Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Am 15. Januar 1954 starb er in Karlsruhe.
Noch Anfang des vergangenen Jahres hatte die Personalie in Herford für Aufregung gesorgt: Die FDP sagte damals eine Gedenkveranstaltung aus Angst vor einer Protestaktion linker Aktivisten ab. Die Partei verwies darauf, dass sie Höpker-aschoff aufgrund seines Wirkens in der Ns-zeit nie geehrt habe, in Anerkennung seiner Verdienste um den Wiederaufbau der Bundesrepublik aber regelmäßig seiner gedacht habe.
Ernst Wirmer
Wirmer, 1910 in Warburg geboren, wirkte als Geschäftsführer
der Unionsfraktion im Parlamentarischen Rat. Schlagzeilen machte er mit dem Vorschlag, die Bundesflagge zusätzlich mit einem Kreuz zu versehen. Die Idee stammte von seinem Bruder Josef, der als Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus 1944 in Berlin hingerichtet worden war. Die sogenannte „Wirmer-flagge“sollte an die christlichen Werte erinnern, fand jedoch nie eine Mehrheit. Im Rat habe Wirmer sich für die Sicherung der „wohlerworbenen Rechte“des Berufsbeamtentums starkgemacht, schreibt die BPB.
Ernst Wirmer gehörte wie sein Bruder zunächst der Zentrumspartei in Warburg an und arbeitete dort als Jurist. Während des Zweiten Weltkriegs war er bei der Reichsumsiedlungsgesellschaft, einer Dienststelle des Oberkommandos der Wehrmacht, angestellt, bevor er später als Verwaltungsleiter der Reichsgesellschaft für Landwirtschaft arbeitete.
Nach dem Krieg wechselte er dann zur CDU. Im Dezember 1949 wurde er persönlicher Referent des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer, bevor er mehr als zwei Jahrzehnte in führenden Positionen im Bundesverteidigungsministerium angestellt war.