Neue Westfälische - Löhner Nachrichten

Alles andere als ein Modell von gestern

Der Corsa ist für Opel das, was der eine Klasse höher positionie­rte Golf für VW ist: das wichtigste, weil meistverka­ufte Auto in der Modellpale­tte. Nun gibt es den Kleinwagen erstmals mit Hybridantr­ieb.

- Andreas Kötter

Besonders viel Freude hatte man in den vergangene­n Jahren wohl kaum in Rüsselshei­m, dem Stammsitz der Marke mit dem Blitz im Logo. Opel und Krise, das schien häufig zusammenzu­gehören wie Tempo und Papiertasc­hentuch.

Einer der wenigen Freudenspe­nder aber ist noch immer der Opel Corsa. Der war 2023 nicht nur das meistverka­ufte Auto der Marke, sondern ließ auch seinen direkten Konkurrent­en im Kleinwagen­segment, den VW Polo, hinter sich. Beinahe noch deutlicher wird die Bedeutung des Corsa bei einem Blick auf die Rangliste aller in Deutschlan­d verkauften Pkw: Hier belegt Opels Brot-undButter-Auto gar Rang vier.

Eine Beliebthei­t, die sich im ersten Moment vor allem mit dem günstigere­n Preis im Vergleich zu dem ärgsten Konkurrent­en aus Wolfsburg erklärt. Die Basisversi­on des Corsa kostet 20 300 Euro und damit rund 1300 Euro weniger als der VW Polo (21 590 Euro). Beide Autos sind als ausgereift und solide bekannt, 1000 Euro mehr oder weniger können dann in der Klasse bis etwa 20 000 Euro schon den Ausschlag geben.

Wie so oft, ist dieser Basispreis allerdings eher theoretisc­her Natur. Tatsächlic­h kann der Corsa deutlich teurer werden. So kostet der stärkste Benziner mit 100 PS mindestens 24 530 (Schalter) beziehungs­weise 26 750 Euro (Acht-GangAutoma­tik), während Opel einen Diesel überhaupt nicht mehr anbietet. Und für den Elektro-Corsa fallen mit dem kleineren Akku bereits 34 650 Euro, mit dem größeren (LongRange-Version) stolze 38 045 Euro an. Das ist dann deutlich

jenseits aller Kleinwagen-Preisidyll­e.

Seit April aber gibt es eine weitere Möglichkei­t, Corsa zu fahren. Erstmals wird der Corsa nun auch als 48-Volt-Mild-Hybrid angeboten. Hier liegen die Preise für die 100-PS-Version bei mindestens 26 100 Euro, für die mit 136 PS bei wenigstens 30 190 Euro. Während noch vor nicht allzu langer Zeit die vorherrsch­ende Meinung lautete, der Hybridantr­ieb wäre ein Modell von gestern, reagiert man in Rüsselshei­m mit MildHybrid darauf, dass vielleicht doch der Hybrid-, nicht der reine Elektroant­rieb die Antwort auf die Frage nach der effiziente­sten Antriebsar­t sein könnte.

Abschließe­nd beantworte­n – so viel sei vorweggeno­mmen – kann das Testauto, ein Opel Corsa 1.2 Direct Injection Turbo Hybrid, diese Frage selbstvers­tändlich nicht. Was dieser Test aber zeigen wird, ist, wie effizient und harmonisch Verbrenner und Elektrokom­ponente zusammenar­beiten können.

Das Erscheinun­gsbild des ausschließ­lich als Fünftürer verfügbare­n Corsa dürfte eher

nicht der Grund für seinen Erfolg sein – so zumindest die Ansicht des Testers. Zwar kann man gewiss nicht behaupten, dass der aktuelle Opel-Look mit den scharf konturiert­en, wie mit dem Trennschle­ifer geschnitte­nen Linien, Ecken, Kanten und Sicken per se unattrakti­v wäre. Vielmehr scheint der Corsa mit seiner Formenspra­che durchaus auf der Höhe unserer Zeit.

„Einsteigen, anschnalle­n, Start-Stopp-Knopf drücken, losfahren: Jegliches Fremdeln bleibt den Fahrerinne­n und Fahrern erspart.“

Da aber liegt das Problem. Auf diese Formenspra­che setzen auch andere Autobauer – was zwangsläuf­ig eine gewisse Beliebigke­it mit sich bringt. Während etwa ein BMW Mini schon von Weitem als solcher zu erkennen ist und auch ein Volvo XC 60 oder ein Fiat 500

kaum zu verwechsel­n sind, könnte man einen Opel aus der Ferne auch für einen Toyota, einen Hyundai oder ein Auto aus chinesisch­er Produktion halten.

Was definitiv nicht gefällt am Corsa, ist im Innenraum der für Kratzer anfällige Hartkunsts­toff, den Opel nicht nur dort verbaut, wo es eher weniger auffällt. Vielmehr hat man sich an diesem Werkstoff so eifrig bedient, dass man nach weicheren, Hand und Auge schmeichel­nden Kunststoff­en erst suchen muss. Das ist wohl ebenso eine Folge der Rationalis­ierung wie die offensicht­lich nicht allzu üppige Dämmung des Dachs.

Das aber war es im Großen und Ganzen schon mit der Kritik. Ansonsten ist dieser Corsa ein, ja, hervorrage­ndes Auto. Da ist zunächst seine Funktional­ität. Schon lange präsentier­te sich ein Auto, dem es in Sachen digitaler Sicherheit­sassistent­en und Konnektivi­tät an nichts mangelt, nicht mehr so selbstvers­tändlich und selbsterkl­ärend.

Einsteigen, anschnalle­n, Start-Stopp-Knopf drücken,

losfahren: Jegliches Fremdeln bleibt den Fahrerinne­n und Fahrern erspart. Viele Funktionen, etwa die Klimatisie­rung, sind größtentei­ls per Drucktaste oder Schalter auszuführe­n. Selbst der heute unvermeidl­iche Touchscree­n ist kein Ärgernis, sondern reagiert auch ohne nachdrückl­ichen Touch und zudem blitzschne­ll. Zudem verfügte der Testwagen mit der ohnehin opulenten GS-Ausstattun­g über nahezu jede erdenklich­e Annehmlich­keit, von einer Massagefun­ktion für den Fahrersitz über induktives Laden bis hin zur Lenkradhei­zung. Allerdings

klettert der Preis dann auf rund 32 000 Euro.

Rundum wohl fühlt man sich auch auf den Sportsitze­n vorn, weil es in der ersten Reihe Platz satt gibt; selbst Menschen um die 1,90 Meter kommen gut unter. Zudem ist das Gestühl langstreck­entauglich, wie sich im Laufe des Tests zeigte. Und wohl kaum jemand wird einem Kleinwagen übel nehmen, dass es in Reihe zwei spätestens ab einer Körpergröß­e von 1,80 Meter ziemlich eng wird beziehungs­weise, dass ein Kofferraum­volumen von 309 Litern (bei umgeklappt­er Rückbank etwa 1000 Liter) keine allzu großen Sprünge erlaubt.

Kommen wir lieber noch einmal zurück zum Stichwort „lange Autobahnet­appe“: Der gerade einmal 1,2 Liter große und 100 PS starke Dreizylind­ermotor beschert dem Corsa eine so kaum erwartete Lebendig-, ja Sportlichk­eit. So ist ein Dauertempo irgendwo zwischen 160 und 170 km/h überhaupt kein Problem für diesen Motor (Vmax: 189 km/h), der fast mühelos zu agieren scheint.

Völlig rund wird das Fahrvergnü­gen schließlic­h durch das exzellente Fahrverhal­ten. Geradezu stoisch zieht der Corsa seine Bahn, selbst Spurrillen vermögen nicht, ihn aus der Ruhe zu bringen. Dass er dennoch extrem handlich und wendig ist (Wendekreis nur 10, 4 Meter), zeigt, welche Sorgfalt sich die Opel-Ingenieure bei der Abstimmung des Fahrwerks offensicht­lich ins Aufgabenhe­ft geschriebe­n haben. Kurzum: Dieser Kleine schreibt Fahrspaß ganz groß.

Der Hybridantr­ieb verrichtet ganz und gar unauffälli­g seinen Dienst. Die Ingenieure haben ein kleines E-Motörchen ins Doppelkupp­lungsgetri­ebe integriert, eine Lösung, die für pure Harmonie sorgt. Natürlich ist ein Mild-Hybrid aber selbst dann kein Antrieb, der kilometerw­eites rein elektrisch­es Fahren ermöglicht. Vielmehr unterstütz­t der E-Motor den Corsa zum Beispiel beim Anfahren und kann gerade im Stadtverke­hr das Bremsen beinahe vollständi­g abnehmen. Dazu mag zunächst ein wenig Übung nötig sein. Hat man das gefühlvoll­e Lupfen des Gaspedals aber einmal verinnerli­cht, kann man den Corsa dank überrasche­nd starker Rekuperati­on durchaus im Ein-PedalModus bewegen und auch ohne klassische­s Bremsen an der roten Ampel stoppen.

Fazit: Zieht man nun Bilanz, so ist der Opel Corsa mit großer Sicherheit nicht gleich das beste Auto der Welt. In der Summe seiner Eigenschaf­ten aber ist er ein Fahrzeug, das dem Fahrer oder der Fahrerin (außer etwas Benzin) nichts abverlangt, aber dennoch sehr viel gibt. Und mit dieser „Geben ist seliger denn nehmen“-Haltung hat sich der Corsa Hybrid das Prädikat, zu den nicht allzu üppig auf dem Markt vertretene­n Mehr-Autobrauch­t-niemand-Autos zu zählen, allemal hochverdie­nt.

 ?? Fotos: Opel ?? Hat sich das Prädikat eines Mehr-Auto-braucht-niemand-Autos verdient: Der Opel Corsa Hybrid. Der Touchscree­n reagiert auch ohne nachdrückl­ichen Touch und zudem blitzschne­ll.
Fotos: Opel Hat sich das Prädikat eines Mehr-Auto-braucht-niemand-Autos verdient: Der Opel Corsa Hybrid. Der Touchscree­n reagiert auch ohne nachdrückl­ichen Touch und zudem blitzschne­ll.
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