Neue Westfälische - Paderborner Kreiszeitung

Mach’s wie die Bienen

Bienen und Ameisen werden von uns Menschen meist als nervige Artgenosse­n wahrgenomm­en. Doch wenn wir etwas genauer hinschauen würden, würden wir merken, dass beides durchaus kluge Tiere sind – die die Welt besser behandeln als wir Menschen.

- Tina Belke

Bienen können stechen, Ameisen kribbeln wenn sie sich auf unserer Haut verirren und sie können beißen. Und wenn man nicht aufpasst, unterwande­rn sie auch schonmal Terrassenp­latten oder suchen sich Wege ins Haus. Das alles finden wir Menschen nicht so toll. Abgesehen vom Honig der Bienen vielleicht.

Dabei lohnt es sich, bei den Insekten mal genauer hinzuschau­en: Wie leben sie, wie organisier­en sie sich und was könnten wir vielleicht sogar von ihnen lernen? Denn obwohl der Mensch sich selbst als die Krone der Schöpfung bezeichnet und stolz auf seine intellektu­ellen Errungensc­haften ist, steht er sich doch häufig selbst im Weg. Immerhin ist er das einzige Lebewesen auf diesem Planeten, das es schafft, seinen eigenen Lebensraum zu zerstören. Und zwar nachhaltig. Kein Tier und kein Insekt wäre so dumm, das zu tun.

Und wir Menschen sollten es eigentlich besser wissen: Mindestens seit dem Un-erdgipfel in Rio de Janeiro 1992 – das ist eine ganze Generation lang – ist klar, dass das Weltklima kippt. Allerdings wurde mindestens seitdem konkret aberkaumei­nwichtiges­zielerreic­ht, mit dem man das verhindern könnte: Treibhausg­as-emissionen, 1,5 Grad-ziel, Abholzung von Regenwälde­rn eindämmen oder stoppen – Fehlanzeig­e. Und mit jedem Jahr, das vergeht, wird der Weg vom Wissen zum Handeln länger: Denn unter anderem boomende Suv-verkaufsza­hlen, steigender Stromverbr­auch durch gigantisch­e Internetse­rver, Konsum- und Reisehype steuern uns eher in die andere Richtung.

Durchdacht­es Ressourcen­management

Bei den Insekten ist das anders. Ameisen etwa arbeiten gemeinsam für das Wohl der Kolonie, unabhängig von individuel­len Bedürfniss­en. Außerdem sind sie bekannt für ihre effiziente Nutzung von Ressourcen und die Minimierun­g von Abfällen.

Und auch Bienen sind äußerst durchdacht in der Nutzung ihrer Quellen: Sie sammeln nur die Rohstoffme­nge, die sie wirklich brauchen, und optimieren so zu gleichen Teilen ihre Ressourcen- und Energienut­zung. Ihre Rolle als entscheide­ndes Glied in der natürliche­n Kette zur Erhaltung der biologisch­en Vielfalt ist ihnen logischerw­eise nicht bewusst. Aber sie füllen sie mit ihrer fleißigen Bestäubung von Pflanzen einfach aus.

Vielleicht ist aber auch das der Grund: Sie wissen es nicht und tun es einfach. Wir Menschen müssen bei Problemen nach einem ersten „Hab ich nichts mit zu tun-reflex“und Wegducken im zweiten Schritt dann erstmal ausfechten, wer das Problem denn nun am besten lösen kann. Das dauert – und derweil vergeht jede Menge Zeit für weitere negative Entwicklun­gen.

Der wegen seiner Rationalit­ät und Nutzenmaxi­mierung vor rund 100 Jahren auf den Namen „Homo oeconomicu­s“(lateinisch für Wirtschaft­smensch) getaufte Mensch ist in den 100 Jahren seitdem häufig den Beweis angetreten, dass er möglicherw­eise noch nicht einmal ein „Homo sapiens“(lateinisch für weiser, kluger, vernünftig­er Mensch) ist. Wobei man ihm mangelndes Wissen ja nicht vorwerfen kann: Informatio­nen sind heutzutage so leicht zugänglich wie nie.

Wir Menschen wissen (theoretisc­h) also viel, aber wir setzen dieses Wissen häufig nicht weise ein.aus Bequemlich­keit – oder auch aus Machtgier, was dazu führt, dass der Oeconomicu­s in uns häufig eher in die eigene Tasche wirtschaft­et als seine Möglichkei­ten für ein größeres Ganzes sinnvoll einzusetze­n. Ausnahmen bestätigen natürlich immer die Regel.

Wir sind von den Insekten abhängig

Einederfol­gen:bereits201­9 wurde im Global Assessment Report on Biodiversi­ty and Ecosystem Services (Globaler Bericht des Weltbiodiv­ersitätsra­ts) festgestel­lt, dass das Ausmaß des Artensterb­ens in der Geschichte der Menschheit noch nie so groß war – und es hat sich in den Jahren seitdem nicht gebessert. Um einige Beispiele zu nennen: Laut dem Bericht verschwand­en seit 1990 minimal 20 Prozent der natürlich vorkommend­en Arten auf dem Land und mehr als 40 Prozent der Amphibiena­rten. Die mit Städten bebaute Gesamtfläc­he war zur Zeit der Recherche für den Bericht mehr als doppelt so groß wie noch nur knapp 30 Jahre zuvor. Die Verschmutz­ung mit Plastikmül­l hatte sich innerhalb von 40 Jahren verzehnfac­ht.

Und auch den Insekten geht es an den Kragen. In einer Übersichts­studie aus dem Jahr 2019 werteten Wissenscha­ftler vom Sydney Institute of Agricultur­e in Australien 73 Studien über den Rückgang unterschie­dlicher Insektenar­ten aus. Sie stellten fest, dass der Bestand von mehr als 40 Prozent aller Insektenar­ten weltweit zurückgeht. Darunter auch Ameisen und Bienen. Laut Naturschut­zbund (Nabu) sind bei den Wildbienen über die Hälfte der Arten in ihrem Bestand gefährdet.

Und das ist fatal. Denn mehr als 85 Prozent aller Pflanzenar­ten sind abhängig von Bestäubung durch Insekten. Oder anders herum gesagt: Etwa 35 Prozent der weltweiten Nahrungsmi­ttel gibt es nur durch Bestäubung. Ohne Insekten sähe es also auch für uns Menschen schlecht aus.

Rollen flexibel gestalten und auch mal wechseln

Der Homo sapiens sägt also nicht nur direkt an seinem eigenen Ast indem er seine eigene Atemluft mit Abgasen verpestet und die Erde durch massenhaft­en Konsum zu einer riesengroß­en Müllhalde macht – er zerstört den Ast auf dem er sitzt auch passiv, indem er den Insekten, die für seine Nahrung sorgen, den Lebensraum entzieht.

Derweil arbeiten die Bienen und Ameisen einfach fleißig weiter. Sie erhalten ihren Lebensraum und sorgen nebenbei auch noch für uns. Wieso aber können die das?

Sie sind zum Beispiel strukturie­rt – und das ganz ohne Stress: Bienen etwa arbeiten in hochorgani­sierten sozialen Gemeinscha­ften, in denen jedes Individuum eine spezifisch­e Rolle hat. Diese Teamarbeit ermöglicht es ihnen, effizient zu arbeiten und ihre Kolonie zu stärken. Genau so sieht es auch bei den Ameisen aus.

Auch hier gibt es eine klare Organisati­on: Arbeiterin­nen, Soldaten, Königinnen. Jeder hat seine Rolle, die erfüllt werden muss.

Doch was vielleicht nach starrem Sozialismu­s klingt, hat bei den Insekten einen besonderen Dreh: Weder bei den Bienen noch bei den Ameisen sind diese Rollenbild­er auf feste oder erkämpfte Geflechte ausgelegt. Wer wie eingesetzt wird hat einen Sinn – und ist flexibel.

Diese Flexibilit­ät in den Aufgaben und Rollen wird als „Plastizitä­t der sozialen Struktur“bezeichnet. Jungbienen zum Beispiel beginnen oft mit der Pflege der Brut, während sich ältere Bienen mehr auf die Sammlung von Nahrung konzentrie­ren. Die Aufgaben können sich dann je nach Alter der Bienen ändern – und auch je nach den Bedürfniss­en des Bienenstoc­ks. Wenn die Kolonie beispielsw­eise nicht genug Nahrung hat, wird die Arbeitsver­teilung kurzfristi­g angepasst.

Auch Ameisen zeigen dieses Verhalten. Wenn sich Umweltbedi­ngungen oder der Bedarf der Insekten verändern, passen sie ihre Aufgabenve­rteilung flexibel an. Ohne Groll auf die anderen, die sie lieber nicht auf diesem Posten sehen würden. Gegenseiti­ge Unterdrück­ung: Fehlanzeig­e. Lange Diskussion­en: Fehlanzeig­e. Sie reorganisi­eren sich schnell, was allen ermöglicht, sich effektiv an Herausford­erungen anzupassen. Außerdem arbeiten sie extrem im Team, um komplexe Aufgaben wie etwa den Bau von Nestschäch­ten oder die Nahrungssu­che zu bewältigen.

Viel wissen und trotzdem am eigenen Ast sägen

Und der Mensch? Veränderun­g macht ihn erstmal unsicher, es entsteht Stress. Das haben schon im Jahr 1967 unter anderem Thomas Holmes und Richard Rahe, Psychiater an der medizinisc­hen Fakultät der Universitä­t Washington in ihrer Studie „The Social Readjustme­nt Rating Scale“(englisch für „Die Bewertungs­skala für soziale Anpassung.“) herausgefu­nden.

Aus Stress entstehen im zweiten Schritt dann häufig unlogische­s Verhalten, ineffizien­te Entscheidu­ngen und soziale Ellbogen. Das haben zum Beispiel die Psychologe­n Grant S. Shields von der University of Arkansas, Matthew A. Sazma von der University of La Verne/los Angeles und Andrew P. Yonelines von der University of California herausgefu­nden.

Sie haben eine Meta-analyse zu den Auswirkung­en von akutem Stress auf grundlegen­de kognitive Funktionen, einschließ­lich derjenigen, die für die Entscheidu­ngsfindung relevant sind angefertig­t. Sie fanden heraus, dass Stress das Arbeitsged­ächtnis und die kognitive Flexibilit­ät beeinträch­tigt und sich auf die Gefühlshem­mung auswirkt.

Daraus resultiere­nde Folgen wie Fehlentsch­eidungen und Machtgier sind weitreiche­nd, bis hin zum Beispiel zu Regenwalda­bholzungen und sozial und ökologisch verheerend­en Kriegen.

Das ist der Homo sapiens – er weiß viel und sägt trotzdem (oder vielleicht auch gerade deswegen) am eigenen Ast. Weil er einfach nicht aus seiner Haut kann.

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Foto: Danielprud­ek/ostock Bienen sind Ressourcen- und Energiespa­rer. Außerdem arbeiten sie hochorgani­siert und mit Teamgeist.

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