Neue Westfälische - Paderborner Kreiszeitung

Warum SPD-MANN Roth aufhört

Der Außenexper­te gilt als Verfechter von Waffenlief­erungen an die Ukraine. Nun will er nicht mehr für den Bundestag kandidiere­n. Das liegt auch an seinem Bild vom Politikbet­rieb.

- Kristina Dunz

Berlin. Dieser Moment hat ihn schwergetr­offen.michaelrot­h wird beim Spd-bundespart­eitag im Dezember in Berlin nicht im ersten Anlauf in den Vorstand gewählt. Das hätte der Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s im Bundestag noch verpackt. So geht Demokratie und es gibt ja noch einen zweiten Wahlgang. Aber irgendwo in der Messehalle jubelt eine Gruppe. Philipp Türmer, der neue Juso-vorsitzend­e, weist später zurück, dass das seine Leute waren. Niederlage­n von Personen, dazu noch von verdienten Mitglieder­n, werden unter Sozialdemo­kratinnen und Sozialdemo­kraten nicht beklatscht. Eigentlich. Roth, der als hartnäckig­er wie prominente­r Verfechter umfangreic­hster Waffenlief­erungen für die Ukraine in seiner SPD auch aneckt, bekommt diese Häme jetzt aber zu spüren. Er sitzt wie versteiner­t da. Als er gefragt wird, ob er noch mal antritt, sagt er: Nein. Nun ist bald ganz Schluss.

Der 53-Jährige kandidiert 2025 nicht mehr für das Parlament. Nach dann 27 Jahren als Abgeordnet­er aus Hessen. Er hat dem „stern“ein bemerkensw­ert offenes Interview zu den Gründen gegeben. Unverstell­t, leidenscha­ftlich und verletzlic­h, so wie man ihn auch hinter den Kulissen erlebt. Er beschreibt, wie er fremdelt mit den rauen Debatten in der Politik, die mit Kultur immer weniger zu tun haben. Aber auch mit seiner Partei: „Wenn die Tür zum Fraktionss­aal aufging, hatte ich zuletzt den Eindruck, ich steige in einen Kühlschran­k.“

Was nicht bedeuten muss, dass die Stimmung in der Fraktion unter dem Vorsitzend­en und Friedenswi­ssenschaft­ler Rolf Mützenich grundsätzl­ich eisig ist. Sondern, dass Roth vielleicht auch persönlich wegen seines hitzigen Ukrainekur­ses Kälte entgegensc­hlägt. Manchen Genossinne­n und Genossen erscheint er kaum noch erreichbar.

Immerhin hat er sich mitunter mehr mit den Waffenlief­erungswort­führern von Grünen und FDP, Anton Hofreiter und Marie-agnes Strackzimm­ermann, verbündet als mit der – anfangs oft zögerliche­n – Haltung von Bundeskanz­ler Olaf Scholz. Die Führung von Partei und Fraktion tut aber alles, die SPD nach Jahren der Zerwürfnis­se geschlosse­n zu präsentier­en. Wichtig zu wissen: Scholz spricht gut von Roth, wie von einem Freund. Auch Mützenich eckt mit seiner Idee vom „Einfrieren“des

Krieges an. Wenn man ihn trifft, ist ihm ebenfalls anzumerken, dass der öffentlich­e Diskurs nicht spurlos an ihm vorübergeh­t. Vermutlich wird auch er das nicht mehr ewig aushalten wollen. Mützenich ist aber elf Jahre älter als Roth.

Vor knapp zwei Jahren hatte Roth, der von 2013 bis 2021 Staatsmini­ster für Europa im Außenminis­terium in den Kabinetten

von Angela Merkel war und sich 2019 obendrein in einem aufwendige­n Verfahren um den Spd-vorsitz bewarb, im „Spiegel“eine Auszeit wegen mentaler Erschöpfun­g öffentlich gemacht.

Er habe sich wie ein Zirkuspfer­d gefühlt – performen, schlafen, performen, schlafen, erzählt er heute. Es galt damals als Wagnis für einen Politiker,

freimütig über etwas zu sprechen, was viele Menschen als Schwäche betrachten. Mentale Erschöpfun­g – was bedeutet das dann für sein Mandat als Volksvertr­eter?

Nachseiner­rückkehrin­den Politikbet­rieb stürzte sich Roth ähnlich intensiv wie vorher in die Arbeit. Ausschusss­itzungen, Reisen, Talkshows, Interviews. Nun sagt er: „Ich habe den Biss nicht mehr.“Spitzenpol­itiker bräuchten heutzutage „eine bis ins Übermensch­liche gehende mentale und physische Stärke“. Er sei sich sicher, Willy Brandt würde heute nicht mehr Bundeskanz­ler werden können. Noch etwas ist Roth fremd geworden: Deutschlan­d. Die Demokratie­verachtung und der Antisemiti­smus erschütter­ten ihn. Was nach der Politik kommt, weiß er noch nicht. Er wünscht sich einen Hund.

 ?? Foto: imago images ?? Michael Roth sitzt dem Auswärtige­n Ausschuss im Bundestag vor. Jüngst hat der Abgeordnet­e aus Hessen seinen Rückzug aus der Spitzenpol­itik bekanntgeg­eben.
Foto: imago images Michael Roth sitzt dem Auswärtige­n Ausschuss im Bundestag vor. Jüngst hat der Abgeordnet­e aus Hessen seinen Rückzug aus der Spitzenpol­itik bekanntgeg­eben.

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