Neue Westfälische - Paderborner Kreiszeitung
Hermannslauf mal andersherum
Mythos Hermannslauf (2): Ursprünglich sollte der Teutoklassiker von der Sparrenburg zum Hermannsdenkmal führen. Ein Selbstversuch verdeutlicht, warum es nie dazu kam.
Bielefeld. Wer an den Lämershagener Treppen schon das Ziel sieht, der hat entweder Halluzinationen – oder läuft den „Hermann“rückwärts. „Siehst du das Denkmal dahinten am Horizont?“, fragt Ingmar Lundström. Vor der obersten Stufe der gefürchteten Treppen hat er Halt gemacht und deutet in die Ferne. Tatsächlich ragt weit hinter Oerlinghausen der Cheruskerfürst wie ein kleiner Zinnsoldat in den Himmel. Er ist unser Ziel an diesem Tag, denn wir laufen den „Hermann“in die Gegenrichtung: von der Sparrenburg zum Hermannsdenkmal. Ganz so, wie es die Erfinder des Laufs Wolfgang Schlüter und Peter Gehrmann einst vorgesehen hatten. Es kam bekanntlich anders. Oder besser: andersrum.
Aber was wäre das für ein Lauf geworden, wenn das Ziel am Hermannsdenkmal stünde? Der ideale Wegbegleiter für diesen Selbstversuch ist der Gütersloher Ingmar Lundström. Er hat den Lauf 1999 gewonnen und kann bei Fragen, in denen das Wort Hermannslauf vorkommt, ohnehin nie nein sagen. „Ich glaube, der Hermann hätte deutlich weniger Teilnehmer, wenn er in die Gegenrichtung stattfände“, vermutet Lundström. Regulär geht es am 28. April wie immer568meterhochund774 Meter runter – in Summe also bergab. Läuft man gegen den
Strich, lassen sich diese Werte umdrehen. Der Hermannslauf wäre deutlich happiger.
Wir bekommen das von Beginn an zu spüren. Wie viel Gefälle die Promenade hin zur Sparrenburg hat, begreift man erst auf dem Weg in die Gegenrichtung. Bis zum Eisernen Anton, die ersten sechs Kilometer, geht es fast nur bergauf. Besonders steil sind die Streckenabschnitte hinter der Habichtshöhe und nach Überqueren der Osningstraße. Ein ganz anderes Erlebnis als beim Standard-„hermann“, wo Läuferinnen und Läufer nach dem Startschuss drei Kilometer lang förmlich ins Heidental fallen.
Dieberüchtigtenstellenverkommen indes zu Makulatur. Die Lämershagener Treppen? Nurmehreinestolperfalle.das Schopketal? Die reinste Wohlfühloase. Der Tönsberg? Ein Hang für Höchstgeschwindigkeiten. Aber wo liegen stattdessen die neuralgischen Punkte, die höchsten Hürden? Zur Kletterpartie auf den ersten Kilometern gesellt sich der Anstieg aus dem Schopketal durch Oerlinghausen hinauf zum Tönsberg. Wer hier zwischenzeitlich nicht ähnlich breit ist wie die Kumsttonne zur Rechten, hat gut trainiert.
Ingmar Lundström, der an der Sparrenburg noch gegen die Februarkälte Mütze und Handschuhe angelegt hat, kommt jetzt ins Schwitzen. „In die Gegenrichtung ist es deutlich schwieriger, einen Rhythmus zu finden“, ist schon jetzt sein Fazit. Die 1,5 Kilometer hoch zum Ehberg – der längste zusammenhängende Anstieg beim „Hermann“– könnten abstinken gegen den steileren, über zwei Kilometer langen Trek von der Schopke hoch zum Tönsberg.
Die ebenen fünf Kilometer zwischen Stapellager Schlucht und Augustdorfer Panzerstraße können gar nicht genug Erholung stiften für das, was die Kehrseite des Ehbergs einem dann abverlangt, wohlgemerkt nach inzwischen 23 Kilometern. „Spätestens hier wären viele Läufer nur noch Spaziergänger“, ist Ingmar Lundström überzeugt, als wir die schotterbedeckte Krampframpe emporschleichen. Wie schön, dass sich das Ziel dann auf dem Abstieg vom Ehberg noch einmal in Erinnerung ruft: Sechs Kilometer vor Ankunft, grüßt der nicht mehr ganz so kleine Arminius beim Blick durchs Blätterdach.
Diese Aussicht wird auch die Erfinder des „Hermanns“entzückt haben, als sie Anfang der 70er-jahre zum Explorationslauf ausrückten. Doch dann kam das dicke Ende, erinnert sich Schirmherr Peter Gehrmann: „Wir waren damals gut trainiert und standen mit 28 Kilometern in den Beinen im Heidental.“Jetzt noch drei Kilometer bergauf? „Wir wussten, dass dann ganz viele Teilnehmer unseres Volkslaufs auf der Strecke bleiben würden.“Aus dem geplanten Lauf zum Hermann wurde letztlich ein Lauf zur Sparrenburg – und das Heidental wurde nicht zum Heidental der Tränen.
Für den Zeitungsmann bleibt die Freude am Selbstversuch spätestens einen Kilometer vor dem Ziel auf der Strecke. „20 Prozent Steigung“, schätzt Ingmar Lundström. „Ein Brett“, behauptet er. Während Normalsterbliche hier um ihr Leben kämpfen, trabt Lundström unverwüstlich seinem Lieblingsdenkmal entgegen. 2:36 Stunden sagt die Uhr, als wir Hermanns Sockel erreichen. „Eine starke Zeit“, findet Lundström. „Dieselbe Leistung in die Gegenrichtung wäre für 2:22 Stunden gut.“Zu gerne hätte er den „Hermann“zu seinen besten Zeiten mal als Wettkampf in die Gegenrichtung bestritten.