Neue Westfälische - Paderborner Kreiszeitung
„Bürgergeld-empfänger sind arme Menschen“
Nrw-arbeitsminister Karl-josef Laumann (CDU) schlägt in der emotionalen Debatte einen sachlichen Ton an und widerspricht seiner Partei. Dennoch sieht auch Laumann Korrektur-bedarf.
Herr Laumann, Sie haben für die CDU im Vermittlungsausschuss das Bürgergeld mit der Ampel-koalition verhandelt und zugestimmt. Jetzt macht ihre Partei dagegen Stimmung. Ist das populistisch?
Karl-josef Laumann: Nein, das hat nichts mit Populismus zu tun. Wir haben immer deutlich gemacht, dass wir mit der Regierung im Bundesrat zusammengearbeitet haben, um das Schlimmste zu verhindern,dassdasabernicht‚unser‘ Bürgergeld ist. Ich glaube, dass man nach knapp zwei Jahren die Auswirkungen sieht. Quer durch das parteipolitische Spektrum wird gefordert, dass wir wieder mehr vermitteln und in den Arbeitsmarkt integrieren müssen. Es ist doch logisch, dass eine Öffentlichkeit Arbeitslosigkeit in Zeiten von Arbeitskräftemangel anders beurteilt als von Massenarbeitslosigkeit. Ich sage immer: Wenn man heute in Deutschland arbeitslos ist, braucht man sehr gute Gründe dafür.
Was stört Sie konkret am aktuellen Bürgergeld?
Ich glaube, wenn man von Bürgergeld, oder wie wir sagen, Grundsicherung, leben muss, braucht es eine verbindliche Kooperationsplanung zwischen dem Hilfebedürftigen und dem Staat, an die man sich zu halten hat. Ich glaube, dass einegrundsicherunginderbevölkerung, die sie ja finanziert, nur akzeptiert wird, wenn das gesamte System darauf ausgelegt ist, die Menschen möglichst schnell in Arbeit zu bringen. Viele Jahre hatten wir nicht für alle Menschen Jobs, jetzt ist das anders. Der Arbeitskräftemangel ist täglich sichtbar. Dann ist es schwierig darzustellen, dass man Bürgergeld beziehen kann, ohne eine Bringschuld gegenüber dem Staat zu haben. Es muss einfach vollkommen klar sein, dass die Zeiten vorbei sind, dass man zum Jobcenter kommen kann, wie man will.
Ist das Bürgergeld mit 563 Euro pro Monat zu hoch?
Nein, ich gehöre nicht zu den Politikern, die spekulieren, ob es zu hoch ist. Das werden Sie von mir nicht hören.
Aber?
Was mich wirklich aufregt, ist diese Unverbindlichkeit. Wir haben ja Meldungen aus den Jobcentern, dass Leute, auch junge Leute, die man zum Gespräch einlädt, um ihnen zu helfen, einfach nicht zum Termin kommen. Das geht nicht. Das wichtigste, was eine Cdugeführte
Bundesregierung machen muss, ist hier eine absolute Verbindlichkeit einzuführen. Und das gilt, das möchte ich betonen, natürlich für beide Seiten: Auch die Jobcenter müssen dran bleiben. Die Leistungsberechtigten sollen spüren, dass wir es auch ernst meinen und mit ihnen verbindlich einen Weg in Arbeit finden wollen. Das passt sehr gut zur christlichen Soziallehre, bei der es immer Solidarität, aber auch Eigenverantwortung gibt.
Oft ist die Rede von Totalverweigerern – also von Menschen, die den ganzen Tag in der sozialen Hängematte liegen, und sich an keine Absprachen halten würden. Wie hoch ist die Anzahl in NRW?
Diese Debatte halte ich für nicht zielführend. Wir reden hier in NRW zuletzt über monatlich etwas mehr als 5.000 Menschen, denen ihre Leistungen gemindert wurden. Also bei etwa jedem 200. Leistungsberechtigten. Die Totalverweigerer sind wiederum nur ein kleiner Teil davon. Aber auch wenn die Zahl klein ist: Es ist völlig klar, dass irgendwann Schluss sein muss, wenn sich jemand der Kooperation mit dem Jobcenter vollständig verwehrt.
Unterscheiden Sie zwischen Bürgergeld-empfängern?
Ja, natürlich. Wir haben unter den Empfängern viele Leute, die aufgrund ihrer Gesundheit nicht in dem Umfang arbeitenkönnen,wieesdiemoderne Arbeitswelt erfordert. Sie stehen dem Arbeitsmarkt nur begrenzt zur Verfügung. Einige werden wir nicht in Arbeit vermitteln können. Und ich muss doch auch jemanden, der Bürgergeld bekommt, und zu Hause seine kranke Mutter pflegt oder zwei Kinder hat und alleinerziehend ist, anders beurteilen als jemanden, der als Single lebt und einfach nur nicht arbeiten will. Und vielleicht öffnen einige ihre Briefe vom Jobcenter auch einfach deshalbnicht,weilsiehochverschuldet sind. Wir wollen diese Menschen nicht ins Elend stürzen, sondern ihnen helfen, wieder Fuß zu fassen. Deshalb ist es wichtig, zu differenzieren.
Der Chef der Arbeitsagentur in NRW, Roland Schüßler, sagt, dass sich Arbeit am Ende immer lohne und dass sich der Anreiz, arbeiten zu gehen, seit Einführung des Bürgergelds nicht verändert habe. Stimmen Sie zu?
Auch hier muss man differenzieren.
Wenn ich einem Menschen sage, dass er erst mal unbegrenzt in seiner Wohnung sein kann und diese vom Staat gezahlt wird und dass dieser Mensch in einer Partnerschaft lebt und ein Vermögen von 40.000 Euro hat und wir als Staat trotzdem den Lebensunterhalt zahlen – glaube ich nicht, dass das den Anreiz stärkt, sich eine Arbeit zu suchen. Was ich teile, ist die Einschätzung, dass man am Ende auf jeden Fall mehr Geld hat, wenn man zu Mindestlohnkonditionen arbeitet, als wenn man gar nicht arbeitet. Deshalb bleibe ich dabei, dass der Lohnabstand größer sein muss – und der Mindestlohn angehoben werden muss. Wenn man als Alleinstehender von acht Stunden Arbeit am Tag nicht leben kann, dann ist das nicht in Ordnung.
Schüßler hält es für entscheidend, die Menschen weiterzubilden, um nicht immer wieder in das Sozialsystem zu rutschen. Sie wiederum wollen möglichst schnell in Arbeit vermitteln. Ist das nicht ein Widerspruch?
Nein, das kann man verbinden. Die Zahlen belegen, dass fehlende Qualifikationen einer der wichtigsten Punkte sind, warum Menschen nicht in Arbeit kommen oder schnell in die Arbeitslosigkeit zurückrutschen. Da, wo Weiterbildung zu einem Berufsverhältnis führt, ist sie immer richtig. Aber nur weiterzubilden und nicht zu vermitteln, ist nicht richtig. Es gehört beides zusammen. In NRW sind 740.000 Menschen arbeitslos. Davon haben gut 470.000 keine Berufsausbildung. Aber wir haben auch Jobs unbesetzt, für die es keine Berufsausbildung braucht und auch Menschen, die in einem Job zunächst besser aufgehoben sind als in einer Weiterbildung. Jobcenter müssen sich noch viel stärker daran messen lassen, was sie an Integration in den Arbeitsmarkt hinbekommen.
Sind viele Bürgergeld-empfänger Menschen mit Migrationshintergrund?
Ja. Natürlich spielt Zuwanderung hier eine Rolle.
Macht die CDU das Bürgergeld zum Wahlkampfthema?
Ich glaube nicht, dass es ein großes Wahlkampfthema wird. Menschen, die in der Grundsicherung sind, sind in der Regel arme Menschen. Ich glaube nicht, dass man Politik auf deren Rücken machen sollte. Bei Populismus gehe ich nicht mit. Wir müssen versuchen, die tatsächlich existierenden Probleme zu lösen.
Ein anderes Thema: Ist die Frage der Kanzlerkandidatur in der CDU entschieden? Wird es Friedrich Merz?
Ich weiß nicht, ob die Diskussion jemals aufhören wird, bevor der Kanzlerkandidat benannt wurde. Aber ich gehe davon aus, dass Merz sehr gestärkt aus dem Parteitag Anfang Mai hervorgehen wird. Und ich sage immer: Wer Vorsitzender der CDU in Deutschland ist, und auch noch der Fraktion im Bundestag, der ist natürlich auch ein Kanzlerkandidat. Punkt. Die CDU hat aber grundsätzlich mehrere Leute, die Bundeskanzler sein könnten. Ich finde, jeder der Ministerpräsident ist, kann auch Bundeskanzler.
Warum wollen Sie Bundesvize werden?
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir die Bundestagswahl nur gewinnen, wenn wir auch sozialpolitisch gut aufgestellt sind. Wir müssen auch als eine Partei der kleinen Leute wahrgenommen werden. Hierzu möchte ich meinen Beitrag leisten.