Neue Westfälische - Paderborner Kreiszeitung

Emotionale­r Besuch in der Heimat

Die jüdische Familie Edelmann hat früher in Bad Lippspring­e gelebt. Ein Teil der Vorfahren ist durch die Nazis gestorben. Mit Vertretern des Heimatvere­ins und der örtlichen Stolperste­in-initiative geht es durch die Stadt.

- Klaus Karenfeld

Bad Lippspring­e. Es ist ihr erster Besuch in Bad Lippspring­e. Robert und Mary Edelmann aus London haben für ein Wochenende Quartier im Hotel Scherf gemacht – nur wenige Meter von dem Haus entfernt, in dem ihre Familie gelebt und zwischen 1925 und 1935 ein anfangs gut gehendes „Spezialges­chäft für Damenund Herrentext­ilien“betrieben hat. Dann folgte das erzwungene Aus. Und die jüdische Familie bekam die volle Wucht der antisemiti­schen Ns-politik zu spüren.

Die ersten Eindrücke seien sehr emotional gewesen, berichtet Robert Edelmann bei einem Treffen mit Mitglieder­n des Badestädte­r Heimatvere­ins und der örtlichen Stolperste­in-initiative. Beim abendliche­n Spaziergan­g durch die „freundlich wirkende Stadt“seien ihm viele Fragen durch den Kopf gegangen: „Wie und unter welchen Bedingunge­n haben meine Vorfahren hier gelebt? Hatten sie Freunde? Welche Wege sind meine Eltern und Großeltern hier gerne gegangen?“

Mit einer Fotokamera hält der 72-Jährige seine sehr persönlich­en Wahrnehmun­gen fest. Aufgefalle­n sind ihm auch die fünf Stolperste­ine vor dem ehemaligen Wohn- und Geschäftsh­aus der Großeltern in der Arminiusst­raße 22, die an das Schicksal der damals fünfköpfig­en Familie erinnern. Die Familie – das sind die Eheleute Robert und Ida Edelmann. Das Paar hat drei Kinder: Heinz, 1921 geboren, sein vier Jahre jüngerer Bruder Günther und Bertha, das Nesthäkche­n.

Schon kurze Zeit nach der Machtergre­ifung Hitlers 1933 kommt es zu ersten staatlich verordnete­n Boykottauf­rufen gegen jüdische Geschäfte. Zwei Jahre später muss auch Robert Edelmann seinen kleinen Laden schließen. 1936 verzieht die Familie nach Hannover, wo noch eine Großmutter väterliche­rseits lebt. Ein Jahr später folgt ein weiterer schwerer Schicksals­schlag, als Ida Edelmann im Alter von nur 51 Jahren stirbt. Die beiden jüngsten Kinder, Günther und Bertha, werden aus der Familie gerissen und in das jüdische Waisenhaus in Paderborn gebracht. Ihrem älteren Bruder Heinz gelingt nach dem

Die Kinder kommen in das jüdische Waisenhaus in Paderborn

Novemberpo­grom 1938 die Flucht aus Deutschlan­d. Gerade einmal 18 Jahre alt, schafft er es von Oslo aus auf ein Auswandere­rschiff in Richtung New York. 1943 tritt er der amerikanis­chen Armee bei und nimmt die Staatsbürg­erschaft seines neuen Heimatland­es an. Fortan nennt er sich Harry Edelman. Nach einem Studium ist er für das Us-fernsehen und den Rundfunk tätig. Der Vater von zwei Kindern stirbt 1998.

Ganz anders verläuft der weitere Lebensweg von Günther Edelmann: 1939, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, verlässt der damals erst 14-Jährige Deutschlan­d mit einem offiziell genehmigte­n Kindertran­sport und entgeht so dem Holocaust. England wird zu seiner zweiten Heimat. Hier ist Günther Edelmann (1925-1984) zunächst als einfacher Landhelfer und später als Verwalter einer Farm tätig. Auch er wechselt seinen Vornamen und nennt sich von da an Joel.

Bertha Edelmann bleibt bis 1942 im jüdischen Waisenhaus in Paderborn. Von dort aus wird sie mit anderen in einem Viehwaggon zur jüdischen Gartenbaus­chule in Hannover-ahlem transporti­ert. Nur zwei Monate später folgt die Deportatio­n mit einem Sonderzug ins Konzentrat­ionslager Theresiens­tadt.

Die schrecklic­he Odyssee ist damit aber noch nicht zu Ende: Am 23. Oktober 1944 schließlic­h wird Bertha Edelmann nach Auschwitz verschlepp­t und ermordet. Zum Zeitpunkt ihres Todes ist sie gerade einmal 14 Jahre alt.

Ihr ältester Bruder Heinz versucht nach dem Krieg, dem Schicksal seiner Geschwiste­r auf den Grund zu gehen. Der schrecklic­he Tod seiner kleinen Schwester macht ihn so betroffen, dass er Zeit seines weiteren Lebens unter schweren psychische­n Problemen zu leiden hat. Robert Edelmann bleibt der Transport ins Konzentrat­ionslager erspart. Er

Apnrild194­2 stirbt im im Alter von 57 Jahren in Hannover. Als Todesursac­he wird in der Sterbeakte eine „schwere Lungentube­rkulose“angegeben. Freunde vermuten dagegen, dass er sich das Leben genommen hat.

Der Besuch des Enkels und Sohns von Günther Edelmann, jetzt im April 2024, hat vor Ort großes Interesse ausgelöst – sowohl beim Heimatvere­in als auch bei der Stolperste­in-initiative. „Trotz umfangreic­her geschichtl­icher Recherchen sind auch nach so vielen Jahrzehnte­n immer noch einige Fragen offen“, sagt Joachim Hanewinkel, Geschäftsf­ührer des Heimatvere­ins.

So findet sich beispielsw­eise in den Bad Lippspring­er Archivalie­n kein Foto von Bertha Edelmann. In dem kurzen Leben des jungen Mädchens hatte es offenbar nur seltene Moment des Glücks gegeben, die mit der Kamera festgehalt­en wurden. „Zumindest eine Fotografie aber gibt es“, überrascht Robert Edelmann die Gesprächsr­unde im Bad Lippspring­er Heimatmuse­um: Das Porträt-foto zeigt „Berthi“– unbeschwer­t lächelnd – als Schülerin in einem getupften Sommerklei­d. Das Schwarzwei­ß-bild soll jetzt auch Eingang in die Sammlung der Stolperste­in-initiative finden.

Die Reise nach Bad Lippspring­e hat übrigens eine Vorgeschic­hte: Robert Edelmanns Schwester Sylvie, die wie er in London lebt, spricht mehrere Sprachen fließend – darunter auch Deutsch. Bei den Recherchen zu ihrer Familienge­schichte stieß sie im Internet auch auf die Seite des Badestädte­r Heimatvere­ins. Wenig später nahm sie per E-mail Kontaktzum­vorstandau­f.am Ende wurde ein gemeinsame­s Treffen vereinbart.

Robert Edelmann und seine Frau Mary tragen sich zum Abschluss in das Goldene Buch der Stadt Bad Lippspring­e ein. Der 72-Jährige ist bis heute ein gefragter klinischer Psychologe. Für die Gesellscha­ft von morgen wünscht er sich ein menschlich­es Miteinande­r, „den Blick nach vorne gerichtet, ohne dabei die Vergangenh­eit aus den Augen zu verlieren“.

„Nach so vielen Jahrzehnte­n sind immer noch einige Fragen offen“

 ?? Foto: Klaus Karenfeld ?? Mary und Robert Edelmann beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Bad Lippspring­e. Mit im Bild sind Mitglieder des Heimatvere­ins und der Stolperste­in-initiative (v. l.) Gerda Werth, Wolfgang Dzieran, Martin Krewet, Joachim Hanewinkel, Christian Starre und Bürgermeis­ter Ulrich Lange.
Foto: Klaus Karenfeld Mary und Robert Edelmann beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Bad Lippspring­e. Mit im Bild sind Mitglieder des Heimatvere­ins und der Stolperste­in-initiative (v. l.) Gerda Werth, Wolfgang Dzieran, Martin Krewet, Joachim Hanewinkel, Christian Starre und Bürgermeis­ter Ulrich Lange.
 ?? Foto: Archiv Edelmann ?? Von Bertha Edelmann, die mit nur 14 Jahren in Auschwitz ermordet wurde, gibt es nur sehr wenige Fotografie­n.
Foto: Archiv Edelmann Von Bertha Edelmann, die mit nur 14 Jahren in Auschwitz ermordet wurde, gibt es nur sehr wenige Fotografie­n.

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