Neue Westfälische - Paderborner Kreiszeitung
Biden düpiert Netanjahu
Der Us-präsident setzt hinter anstehende Bomben-lieferungen an Israel ein großes Fragezeichen. Seine Kritiker werfen ihm den größten Fehler seiner Amtszeit vor.
Washington. Es geht um 3.500 Bomben von zwei Kalibern: 500 Pfund und 2.000 Pfund. Israel hat die Ware vor langer Zeit in den USA bestellt. Demnächst wäre bei normalem Lauf der Dinge die Lieferung fällig. Aber bleibt es beim normalen Lauf der Dinge? Us-präsident Joe Biden hat dahinter ein dickes Fragezeichen gesetzt.
In einem historisch beispiellosen Vorgang markierte Biden seine Distanz zur gegenwärtigen israelischen Regierung unter Premierminister Benjamin Netanjahu und drohte erstmals öffentlich mit einem Stopp dieser Lieferung. In einem Gespräch mit der Cnn-journalistin Erin Burnett sagte Biden, er werde die Waffen zurückhalten, falls Netanjahu einen Großangriff auf die dicht besiedelte Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens befehle. Diese Stadt anzugreifen, die derzeit mit Flüchtlingen überfüllt sei, sei „einfach falsch“. Deshalb werde er die Lieferung von Waffen untersagen, die bei solchen Einsätzen eine Rolle spielten, dazu gehöre aus seiner Sicht auch Artilleriemunition.
In westlichen Militär- und Geheimdienstkreisen wird die Drohung Bidens als politische Geste eingeordnet, die faktisch nur von geringer Bedeutung sei. Israels Armeesprecher Daniel Hagari zeigte sich auffallend unaufgeregt: „Das, was wir brauchen, haben wir.“In politischen Kreisen in Israel dagegen führte schon die bloße Aussicht auf mögliche Nachschubprobleme, ausgelöst durch Präsident Biden, zu erheblichen Aufregungen. „Wenn wir allein bestehen müssen, dann werden wir allein bestehen“, verkündete Israelspremiernetanjahu.„notfalls werden wir mit unseren Fingernägeln kämpfen.“
Auch diese Äußerung wird in Kreisen von Diplomaten und Militärs als politischer Theaterdonner bewertet. Leider habe sich das seit Langem schwer belastete Verhältnis zwischen Biden und Netanjahu in den vergangenen Wochen und Monaten weiter verschlechtert. Ein neuer Tiefpunkt war Anfang April erreicht, als die israelische Armee in Gaza versehentlich sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hilfsorganisation World Central Kitchen tötete und Netanjahu das Geschehen mit den Worten kommentierte, so etwas sei leider in Kriegen nie ganz zu vermeiden. Zu diesem Zeitpunkt hatte Biden Netanjahu schon über Monate hinweg zu einem anderen Vorgehen ermahnt.
Dem Weißen Haus schweben als Alternative zu Bombenangriffen und Artilleriebeschuss begrenzte Anti-terror-aktionen gegen die Hamas vor, bei denen die Kampfeinheiten auf der Grundlage präziser Geheimdienstanalysen sehr gezielt vorgehen und die Zivilbevölkerung viel besser schonen.
Bidens jüngste Drohungen schüren erneut Spekulationen darüber, ob der Us-präsident letztlich auf die Entmachtung Netanjahus hinarbeite. Der Us-sender CNN zitierte einen hochrangigen Berater Bidens, der namentlich nicht erwähnt wurde, mit dem Hinweis, man müsse differenzieren zwischen dem Verhältnis zu einem Premierminister und dem Verhältnis zu einem ganzen Land: „Israel ist nicht dasselbe wie Netanjahu.“Umgekehrt scheint aber auch Netanjahu an einer Entmachtung Bidens interessiert zu sein. Dieser Fall könnte am 5. November eintreten, durch einen Sieg des Republikaners Donald Trump bei der Us-präsidentschaftswahl. Trump hielt sich mit Kritik an Israel stets zurück. Dabei schielt er unter anderem auf jüdische Wählerinnen und Wähler sowie auf diverse betont israelfreundliche christliche Gruppierungen. Über Bidens Drohung mit einem Waffenstopp sagte Trump jetzt, der Präsident lasse Israel im Stich: „Sollte irgendeine Person jüdischen Glaubens für Biden gestimmt haben, soll sie sich schämen.“
Innenpolitisch hat sich Biden mit seiner Gaza-politik mittlerweile zwischen alle Stühle gesetzt. Die Republikaner halten dem Präsidenten vor, er sei zu weich gegenüber der Hamas. Linke Kritiker indessen bleiben bei ihrem Vorwurf, Biden knicke immer wieder vor Israel ein.
Aufhorchen ließ ein Kommentar der „New York Times“, wonach Biden soeben den bisher größten Fehler seiner Amtszeit begangen habe. Die Drohung gegenüber Israel sei außenpolitisch falsch, weil sie den Krieg nur verlängere. Innenpolitisch sei sie „ein Geschenk an Donald Trump“.