Neue Westfälische - Paderborner Kreiszeitung

„Ich bin getroffen, aber nicht eingeschüc­htert“

Der Spd-politiker Matthias Ecke wurde in Dresden attackiert und schwer verletzt. Im Interview schildert er erstmals den Angriff auf sich. Er erklärt, warum er sich an die Neunzigerj­ahre erinnert fühlt.

- Das Gespräch führten Kai Kollenberg, Annette Binninger und Tino Moritz.

Dresden. Die Tat sorgte deutschlan­dweit für einen regelrecht­en Aufschrei: Am vergangene­n Freitag wurde der Spd-europapoli­tiker Matthias Ecke beim Plakatiere­n in Dresden aus einer Gruppe von vier Jugendlich­en heraus attackiert – und schwer verletzt. Die Anteilnahm­e war groß, rund 3.000 Menschen kamen zu einer Solidaritä­tsdemonstr­ation in Dresden. Der 41-Jährige redet nun zum ersten Mal über den Vorfall. Dabei geht es nicht nur um den Angriff an sich. Ecke treibt auch um, welches gesellscha­ftliche Klima die Tat erst möglich gemacht hat.

Herr Ecke, wie geht es Ihnen?

Matthias Ecke: Ich bin getroffen, aber nicht eingeschüc­htert. Ich werde mich von dem Angriff nicht mundtot machen lassen. Ich habe Knochenbrü­che im Gesicht, die am Sonntag operiert worden sind. Die Operation ist gut verlaufen,demärztete­ambinichse­hr dankbar. Mir geht es von Tag zu Tag besser. Aber ich habe noch Schmerzen.

Sie wollen zurück in den Wahlkampf. Ab wann?

Ich werde mich noch etwas schonen, aber einzelne Termine werde ich ab nächster Woche wahrnehmen, sofern es der Heilungsve­rlauf zulässt. Viele Menschen, die so einen Angriff erleben, brauchen Zeit, um das Gefühl der Verletzlic­hkeit zu überwinden. Ich habe enorm viel Solidaritä­t und Anteilnahm­e erfahren. Das hat mich gestärkt – und es hat mich ein Stück weit abgelenkt. Ich habe im Moment kein Gefühl von eingeschrä­nkter Sicherheit. Dennoch muss ich schauen, wie ich mittelfris­tig mit der Erfahrung klarkomme.

Welche Erinnerung­en haben Sie an den Angriff?

Ich war mit einem Mitstreite­r gemeinsam gegen 22.30 Uhr unterwegs. Wir haben Plakate im Dresdner Stadtteil Striesen gehängt. Wir hatten uns aufgeteilt, der eine hat die linke, der andere die rechte Straßensei­te übernommen. Wir haben das schon oft so gemacht. Dann bin ich vollkommen unvermitte­lt angegriffe­n worden. Es gab kein Wortgefech­t oder eine Provokatio­n im Vorfeld. Der Angriff war eine Sache von wenigen Sekunden: Aus einer Gruppe von vier jungen Männern heraus wurde ich zuerst angesproch­en und dann sofort niedergesc­hlagen. Dann waren sie weg.

Das heißt, die Situation hat sich nicht hochgescha­ukelt?

Ich konnte vielleicht eine Sekunde vorher realisiere­n, dass jetzt ein Angriff droht.

Wie sind Sie angesproch­en worden?

Ich wurde provokant und kritisch gefragt, warum ich ein Spd-plakat aufhänge. So etwas wie: „Was machst Du denn hier für einen Scheiß?“Aber es gab dann kein Wortgefech­t, es kam einfach der Schlag. Den Schlag selbst hat meiner Erinnerung nach nur eine Person ausgeführt.

Haben die Angreifer Sie erkannt?

Ich glaube nicht, dass sie mich erkannt haben.

Was geht einem bei so einer Attacke durch den Kopf?

Ich taumelte. Ich war geschockt. Im konkreten Moment wollte ich nur aus der Situation raus und bin in die andere Richtung gelaufen. Der erste Gedanke war, sich in Sicherheit zu bringen.

War Ihnen die Gruppe vorher aufgefalle­n?

Ich hatte sie kurz gesehen. Die waren gemeinsam unterwegs in einem Hinterhof. Die haben ein bisschen rumgeproll­t, waren ein bisschen laut. Es war nichts Unübliches für einen Freitagabe­nd. Darum habe ich denen nicht so viel Beachtung geschenkt. Erst viel später kamen sie dann auf mich zu.

War die Gruppe vermummt?

Ich habe Schwierigk­eiten, mich daran genau zu erinnern. Meiner Erinnerung nach hatten zumindest einige von denen Basecaps auf und trugen Streetwear.

Gab es Anzeichen, dass die Täter speziell auf linke Wahlhelfer Jagd gemacht haben?

Sie haben mich angesproch­en, weil ich für die SPD ein Plakat angebracht habe. Nachdem ich niedergesc­hlagen wurde, hat mich eine Person noch beleidigt: „Ihr Schwuchtel­n!“Da war dann klar, dass es nicht zufällig passierte, dass man mit der Tat eine politische Aussage tätigen will.

Wie ging es dann weiter?

Die Verletzung tat weh. Ich habe aus der Nase und aus der Wunde am Auge geblutet. Ich bin zum Auto zurück, um mich wieder mit der Person, mit der ich gemeinsam unterwegs war, zu treffen. Dann sind wir in das Büro zurück, was der Ausgangspu­nkt an diesem Abend war. Von dort haben wir Polizei

und Notarzt verständig­t.

Das heißt, Ihr Mitstreite­r hat gar nicht mitbekomme­n, dass Sie angegriffe­n wurden?

Nein.

Wie sagt man seiner Familie, was passiert ist?

Nachdem ich den Rettungswa­gen angerufen hatte, habe ich mich bei meiner Frau gemeldet. Sie war natürlich schockiert. Das kann sicher jeder nachempfin­den.

Wie ging es Ihnen in der Situation?

Ich wusste nicht, wie schwer meine Verletzung­en waren. Und gleichzeit­ig war ich wegen der anderen Plakatiert­eams in Sorge, die für die SPD unterwegs waren. Auch unter Schock war für mich erkenntlic­h, dass da gezielt Leute gejagt werden sollten. Wir haben deswegen die anderen Teams informiert. Die Aktionen in Striesen haben wir abgebroche­n.

Hatten Sie – trotz Ihrer schweren Verletzung­en – vielleicht auch ein wenig Glück, dass Sie nicht schwerer verletzt wurden?

Ich hoffe, dass alles wieder verheilt. Nach Aussagen der Ärzte stehen die Chancen gut, dass außer ein paar Narben nichts bleibt. Ich bin froh, dass nichts Schlimmere­s passiert ist.

Gab es einen Moment nach dem Angriff, in dem Sie oder Ihre Frau gesagt haben, mit der Politik müsse nun Schluss sein?

Nein.

Wie erklären Sie sich die Tat?

Nach allem, was man bisher weiß, sind zumindest Teile der Gruppeimre­chtsextrem­enmilieu unterwegs.

Wie werten Sie das?

Da haben Leute das gesellscha­ftliche Klima, das immer rauer wird, zum Anlass für Selbstjust­iz genommen. Ich fühle mich stark an meine Jugendzeit

in den Neunzigerj­ahren erinnert: Auch damals gab es Angsträume, die von Neonazis geschaffen wurden. Auch alte Bekannte von damals und Parteifreu­nde haben das ähnlich empfunden. Selbst beim Personal in der Notaufnahm­e am Freitag war das gleich Thema.

Was haben Sie in den Neunzigerj­ahren in Sachsen erlebt?

Ich selbst bin damals nicht angegriffe­n worden, aber viele Freunde sind es. Es gab heftige Übergriffe. Diese Erinnerung­en kommen nun wieder.

Ihre Partei hat schnell eine Verbindung von der Tat zur AFD gezogen. War das zu vorschnell?

Die AFD hat das gesellscha­ftliche Klima in den vergangene­n Jahren vergiftet. Wir haben es mit einer produziert­en Enthemmung und einer organisier­ten Verrohung zu tun, die die AFD zusammen mit anderen Strukturen der extremen Rechten erzeugt. Ich denke da beispielsw­eise an die Freien Sachsen und die Identitäre Bewegung.

Glauben Sie, dass die AFD Sie zum Ziel solcher Angriffe erklärt hat?

Dafürhabei­chbisherke­ineanzeich­en. Die Kampagne der AFD zielt darauf ab, Mitglieder demokratis­cher Parteien verächtlic­h zu machen. Das betraf mich bis jetzt nicht unbedingt persönlich. Aber andere sind schon öffentlich verbal attackiert worden.

Weil es auch Attacken gegen Afd-wahlkämpfe­r gibt: Haben Sie Sorge, dass sich das aufschauke­lt?

Wir müssen aufpassen, dass es keine Nachahmer gibt. Für mich ist vollkommen klar: Keine Gewalt gegen Wahlkämpfe­r – egal welcher Partei!

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Foto: dpa Der Spd-europaabge­ordnete Matthias Ecke musste im Krankenhau­s operiert werden.

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