Neue Westfälische - Paderborner Kreiszeitung

Angeklagte­r ist psychisch krank

Ein Bad Lippspring­er wird abends angerufen. Unvermitte­lt sticht Juri T. mit einem Messer zu.

- Jutta Steinmetz

Bad Lippspring­e. Als Juri T. (Namen geändert) Anfang Januar auf Andreas Q. einstach, stand das so gar nicht in Einklang mit seiner Persönlich­keit. Denn dem 38-Jährigen sind eigentlich Aggression­en und Gewalt fremd. Dass Juri T. das Leben des Mannes in Gefahr brachte, der ihm und seiner Familie nach der Flucht vor dem russischen Angriffskr­ieg auf seine ukrainisch­e Heimat geholfenha­tte,istseiners­chweren psychische­n Erkrankung geschuldet. Er leidet an einer „schizotype­n Störung“.

Zu diesem Ergebnis ist nach zwei Tagen Hauptverha­ndlung vor dem Schwurgeri­cht Paderborn der psychiatri­sche Gutachter Gerhard Dankwarth gekommen, der Juri T. im Untersuchu­ngsgefängn­is gründlich untersucht und die Beweisaufn­ahme verfolgt hat.

Anscheinen­d war der 38Jährige mit seiner Erkrankung schon seit vielen Jahren mutterseel­enallein. In der Familie sei diese bagatellis­iert worden, sagt Dankwarth. Denn Juri T. hatte schon als Kind Visionen und Erscheinun­gen. Die Eltern rieten dann anscheinen­d stets, sich auszuschla­fen und sich zu erholen.

Trotz seiner Visionen kam Juri T. zurecht, er schaffte das Abitur sowie ein rechtswiss­enschaftli­ches Studium und führte gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder die Geschäfte der Eltern. Auch seiner Frau erzählte er nur selten von dem, was er da zu sehen und zu hören glaubte.

Dass Juri T., der im Winter 2022 zusammen mit seinem Bruder und anderen Freiwillig­en im ukrainisch­en Kriegsgebi­et unterwegs war, um Medikament­e und Lebensmitt­el in die schwer umkämpfte Stadt Cherson zu bringen, durch das Erlebte eine Posttrauma­tische Belastungs­störung erlitten hat, dafür gibt es laut Gutachter Dankwarth keine Hinweise.

Aber es könne sehr gut sein, dass der erlebte Stress die psychische Erkrankung des 38Jährigen verstärkt habe, sagt er.

Fortan entwickelt­e Juri T. das Gefühl, seine Frau betrüge ihn. Diese „nicht reale, sondern krankheits­bedingte Eifersucht“, so der Experte, ließ ihn dann am Abend des 3. Januar bei Andreas Q. auftauchen – wie andere Visionen war ihm zuvor das Bild des Lippspring­ers erschienen.

Deshalb sei die Schuldfähi­gkeit des 38-Jährigen erheblich eingeschrä­nkt gewesen, sagt Dankwarth. Aber keinesfall­s völlig aufgehoben, denn Juri T. sei in der Lage, das Irreale seines Handelns zu erkennen. Allerdings betont der Experte: Wenn die Erkrankung­nichtbehan­deltwerde,sei mit weiteren vergleichb­aren Taten zu rechnen.

„Es war eine Verkettung tragischer, unglücklic­her Umstände im Kopf des Angeklagte­n“, bilanziert so wenig später Staatsanwa­lt Kai Uwe Waschkies in seinem Plädoyer. Er fordert eine Verurteilu­ng wegen Totschlags und gefährlich­er Körperverl­etzung sowie die Verhängung einer fünfjährig­en Haftstrafe.

Als Juri T. mit seinem Küchenmess­er auf Andreas Q.s Oberkörper einstach, habe er mit Tötungsvor­satz gehandelt, so der Ankläger. Außerdem seien der Bad Lippspring­er und seine Familie durch die Tat „schwer gezeichnet“– gerade weil es für die Attacke „keinen nach vollziehba­ren Grund“gebe. Andreas Q., seine Frau und seine Töchter seien „massiv eingeschüc­htert“und hätten mit schweren „psychische­n Folgen“zu kämpfen.

Geht es nach dem Willen von Staatsanwa­lt Waschkies, ordnen die Richter zudem die Unterbring­ung von Juri T. in einem forensisch­en Krankenhau­s an. Nur dort könne die Krankheit behandelt werden.

Die Verhandlun­g wird mit den Plädoyers von Nebenklage und Verteidigu­ng am Montag, 27. Mai, fortgesetz­t. Dann wird voraussich­tlich auch ein Urteil gefällt.

Erkrankung wird in der Familie bagatellis­iert

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