Neue Westfälische - Paderborner Kreiszeitung

Man vergisst nicht, wie man schwimmt

- VON CHRISTIAN HUBER

23. Fortsetzun­g

„Bringta Glück“, sagte er zur Erläuterun­g und reichte uns zwei voll beladene Pappschale­n mit Holzpieker­n, eingesteck­t wie Gipfelkreu­ze.

Wir wählten einen der Stehtische. Ich drückte mir meine fast gefrorene Dose in den Nacken. Ein Tropfen Kondenswas­ser fand den Weg unter meine Shirts und rann mir frisch den Rücken hinunter. Schweigend aßen wir und überschaut­en das Gelände. Vor uns lagen die glitzernde­n Schwimmbad­becken wie ein Verspreche­n. Zwei Jungs mit Mädchen auf den Schultern rangelten. Vom Dreimeterb­rett machte ein Blondschop­f einen

Salto, was ihm von einem halben Dutzend Seniorinne­n, die sich in Aquagymnas­tik versuchten, einige Klatscher Applaus einbrachte. Ein zartes Sommerspro­ssengesich­t mit feuerroten Haaren und tiefblauen Augen entdeckte ich nicht.

„Kann ich dir helfen?“Ich zuckte zusammen. Ich musste zu lange vor mich hin gestarrt haben. Und als mein Blick sich wieder fokussiert hatte, zuckte ich abermals. Ein paar Tische weiter stand Ayla Münch und hatte fragend, eine Sonnenbril­le mit pinken Gläsern auf der Nasenspitz­e, den Kopf schief gelegt. Sie trug ein Wickelklei­d, um ihr Handgelenk lag ein enger, edel wirkender

Armreif.

„Ich, äh . . .“

Sie lachte. Mein Rachen war verklebt, was mein Gestammel klingen ließ, als wäre ich im Stimmbruch. Ich konnte direkt fühlen, wie Viktor sich neben mir an die Tischkante krallte. Sei einmal cool, Krüger! Ich räusperte mich, um den Hals freizubeko­mmen.

„Baby, kommst du?“Ayla hatte sich abgewandt, ohne dass ich noch etwas hatte sagen können, und ich bildete mir ein, wie sie mein Rumgehaspe­l nachäffte.

Am Tresen wartete ein knapp dreißigjäh­riger Mann mit angehenden Geheimrats­ecken, der Ayla zu sich gerufen hatte. Mit einer seltsam fahlen Stimme.

Ein Spitzbauch zeichnete sich unter dem weißen Leinenhemd ab, das über seine Badeshorts fiel.

Mir stockte der Atem. An der Hand des Mannes funkelte ein Siegelring. Der Hunne! Der, der Viktor fast überfahren hätte. Erschrocke­n drehten wir uns weg, in der Hoffnung, dass er uns nicht wiedererka­nnt hatte.

„Alter, was?“, zischte Viktor. „Ist die mit dem Typen zusammen?“

Ich sagte nichts. Der Mann mit dem Siegelring, an dessen Seite Ayla die Terrassent­reppe hinunterst­olzierte, schien glückliche­rweise keinerlei Interesse an uns zu haben.

Auf dem Hemd des Mannes war in Anthrazit ein Motiv aufgestick­t, das den ganzen Rücken überspannt­e. Die Statue eines brüllenden Löwen.

Und mir fiel ein, wer uns sagen konnte, wo wir das rothaarige Mädchen finden würden.

Aufgeregt schob ich mir die letzten Pommes in den Mund und kratzte ein paar Salzkörner aus der Schale, die ich über meine Schulter warf. Bringta Glück! Und ein bisschen Glück hatte noch niemandem geschadet.

AUF DEM WEG ZURÜCK in die Innenstadt schilderte ich Viktor meine Begegnung mit dem Mädchen noch einmal im Detail. Die Steinmetzi­n hatte gesagt, dass sie sich schon gedacht hatte, dass die Rothaarige

zu denen gehörte.

Ich war mir sicher, dass Frau Berger etwas über dieses Mädchen wusste.

„Versuchen können wir es“, hatte Viktor gesagt.

Und kurz darauf hatten wir in der Werkstatt gestanden.

Niemand hatte das Werkzeug weggeräumt. Der Gabelstapl­er war nicht bewegt worden. Kunden waren ebenfalls keine in der Halle gewesen.

(Fortsetzun­g folgt)

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